Antje Herzog / Edition Büchergilde
Antje Herzog / Edition Büchergilde

Antje Herzog:
Lampe und sein Meister Immanuel Kant

Edition Büchergilde 2017
Hardcover, 152 Seiten, 26 Euro

Antje Herzog / Edition Büchergilde

Ein Comic über Immanuel Kant, das klingt nach bemühtem Sachbuch, nach reiner Vernunft, verpackt in hübsche Bilder, kurz gesagt: etwas öde. Dass man sich dem großen Philosophen, mit dessen Namen auch heute noch automatisch Ehrfurcht, Respekt und diverse Schultraumata mitschwingen, ganz anders annähern kann, das demonstriert die deutsche Illustratorin Antje Herzog in ihrer Graphic Novel "Lampe und sein Meister Immanuel Kant", kürzlich erschienen in der Edition Büchergilde.

Sie beleuchtet den Doyen der Aufklärung nämlich quasi aus einer Homestory-Perspektive. Und untrennbar verbunden mit Kants Haushalt ist ebenjener Martin Lampe, der 40 Jahre lang sein treuer Diener und Assistent war – bis Kant ihn rausschmiss. Doch dazu später.

Popstar des 18. Jahrhunderts

Obwohl Kant seine Heimatstadt Königsberg kaum verließ, war er schon zu Lebzeiten weithin bekannt (geboren im Jahr 1724 hätte er übrigens am 22. April seinen 293. Geburtstag gefeiert). Wie es sich für einen Popstar – auch einen des 18. Jahrhunderts – gehört, kursierte jede Menge Gossip über den produktiven Philosophen. Herzog sammelte alles an Klatsch und Tratsch, was sie finden konnte, durchforstete Briefe und Zeitzeugen-Berichte und verarbeitete alles für ihre ganz persönliche Kant'sche Charakterisierung.

Über den ehemaligen Soldaten Lampe (dessen Name nicht bezeichnender sein könnte für einen Helfer im Sinne der Aufklärung) ist wenig bekannt, doch war er eine so wichtige Figur in Kants Privatleben, dass die Beziehung zu ihm das Grundgerüst für die episodenhafte Erzählung bildet. Und so ist es auch Lampe, der auf den ersten Seiten des Buches Licht ins Dunkel bringt – mit einem schönen Übergang vom Sternenhimmel über eine absolut schwarze Doppelseite bis hin zum Schein einer Kerze, mit der sich Lampe aufmacht, um Kant zu wecken.

Antje Herzog / Edition Büchergilde

Der Intellektuelle wird vorgestellt als schrulliger Kauz, dessen tägliche Routine um Punkt 4:55 mit Lampes Weckruf "Es ist Zeit!" beginnt, wonach er in seine Schlapfen steigt, um sich gleich anschließend die einzige Pfeife des Tages reinzuziehen. Wir lernen Kant als ziemlich verstockt kennen, was seinen Tagesablauf betrifft, andererseits zeigt er sich als feinsinniger, geselliger und gewitzter Zeitgenosse.

Scherz, Witz und Laune

Er empfing gerne Gäste, mit denen er das Neueste aus der Welt diskutierte, aber durchaus auch Banales austauschte oder ganz einfach seine Gedanken laufen ließ. Die Tischgespräche drehten sich um alles, nur nicht um Philosophie – zumindest, was über Küchenphilosophie hinausging. Johann Gottfried Herder sagte über Kant: "Seine offene, zum Denken gebaute Stirn war der Sitz der Heiterkeit, und die gedankenreichste, angenehmste Rede floß von seinem gesprächigen Munde. Scherz, Witz und Laune standen ihm zu Gebot, immer aber zu rechter Zeit, und also daß wenn jedermann lachte, er dabei ernst blieb."

Antje Herzog / Edition Büchergilde

Wie Stimmen aus dem Off begleiten Zitate nicht minder bekannter Freunde Kants die Erzählung (mit einem Quellenverzeichnis am Ende des Buches), hervorgehoben durch ein eigenes Schriftbild. Überhaupt nimmt das Lettering eine wichtige Rolle ein: Kant spricht in der damals üblichen Kurrentschrift, Lampe in einer fettgedruckten, bleiern wirkenden "Walbaum Fraktur", die dessen Soldatenpersönlichkeit unterstreichen soll, wie Antje Herzog schon vorweg erklärt.

Schriftzüge und Farbtupfer

Auch wenn die handgeletterten Schriften etwas adaptiert sind, und die Idee an sich lobenswert ist, sind die Buchstaben in Kombination mit Vokabular und Grammatik des 18. Jahrhunderts zum Teil ziemlich schwer leserlich, was den Flow einigermaßen stört.

Hervorgehoben wird Kant zusätzlich durch einen gelben Rock als Farbtupfer zwischen den Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Auch ein netter Zug, zumal Kant damit tatsächlich ein Modestatement abgab. Dennoch schade, dass die Farbgebung oft notwendig ist, um die Figuren überhaupt unterscheiden zu können. Denn obwohl die Graphic Novel sämtliche Freuden, Leiden und Marotten Kants enthüllt, bleibt er selbst etwas blass und gesichtslos.

Antje Herzog / Edition Büchergilde

Das mag aber auch damit zu tun haben, dass die Stärke des Buches in der bezaubernden grafischen Umsetzung an sich liegt und weniger in der Ausgestaltung der Figuren. Angelehnt an Bildlexika des 18. Jahrhunderts, illustriert Antje Herzog die bevorzugten Speisen und Getränke Kants, zeichnet einen Stadtplan von Königsberg um 1800 samt der täglichen Spazierroute Kants nach, dehnt eine Abbildung seiner federgetriebenen Strumpfhalterkonstruktion auf vier Seiten aus oder zeigt eine schematische Darstellung der richtigen Anordnung von Nachtmütze, Leselicht und Zeitung, damit beim Lesen im Bett nichts anbrennt.

Häftlinge und Heiratspläne

In neun Kapiteln rollt die Graphic Novel mit allerlei originellen Stilmitteln auf, wie Kant mit diversen Störenfrieden umging (von Nachbars Hahn bis zum Gesang von Häftlingen in der nahegelegenen Strafanstalt), was er davon hielt, dass Lampe zum zweiten Mal heiratete, ohne dass er von der ersten Hochzeit gewusst hatte und warum er schließlich beschloss, Lampe vergessen zu müssen (was er schriftlich festhielt). Der Diener konnte offenbar seine Alkoholsucht nicht mehr im Zaum halten, womit sein Meister absolut nicht leben konnte.

Wer sich Bezüge auf Immanuel Kants Philosophie erwartet, wird allerdings enttäuscht sein. Ein paar mit "Interludium" betitelte Seiten greifen einzelne Sätze aus Kants Werk heraus – eine etwas magere Angelegenheit, was wohl einer Kapitulation vor dem schlicht ausufernden, und nicht gerade leicht verdaulichen Oeuvre gleichkommt.

Penibel und verspielt

In den liebevollen Zeichnungen spiegelt sich aber eine tiefe Kenntnis des am meisten rezipierten Philosophen der Geschichte wider. Insgesamt acht Jahre beschäftigte sich Antje Herzog mit Person und Werk Kants. Die Zeichnungen passen sich der Ordnungsliebe des überaus peniblen, um nicht zu sagen pedantischen Menschen Kant an, bleiben etwas spröde und doch gleichzeitig verspielt, was auch sein Naturell gut treffen dürfte. Das kompensiert auch die inhaltlichen Mankos – wie auch jenes, dass bis auf die Köchin keine Frauen in dem Buch vorkommen.

Dafür kann man aber sicher sein, nach der Lektüre dem Namen Kant nicht nur mit Respekt zu begegnen, sondern auch mit einem Lächeln darüber, dass er auch nur ein Mensch war. (Karin Krichmayr, 2.5.2017)