Nicht alles in Thaddaeus Ropacs Galerien muss verkäuflich sein, ...

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... auch nicht in Ely House in London.

Foto: WB, Galerie Thaddaeus Ropac

STANDARD: Zwei Standorte in Salzburg, zwei in Paris, in wenigen Tagen eröffnen Sie im Londoner Mayfair Ihre insgesamt fünfte Galerie. Warum ausgerechnet London? Waren nicht auch Istanbul oder asiatische Metropolen im Gespräch?

Ropac: Stimmt. In Istanbul waren wir schon wirklich weit. Dass wir da die Kurve gekratzt haben, ist ein Glücksfall. Ich bin ein glühender Europäer und wollte im europäischen Kontext bleiben. Und mit London und Paris deckt man im Grunde viel ab, es sind die zwei wichtigsten Städte in Europa, hier gibt es die größten und wichtigsten Sammlungen, die besten Museen – und jedes Museum hat ein kuratorisches Team, das nicht zu überbieten ist. Ich habe in Salzburg und Paris viel erreicht, London ist also keine Notwendigkeit. Aber es macht Spaß, dieses Riesending gemeinsam mit meinen hundert Mitarbeitern anzupacken. Wir schaffen das! Und so, wie es im Vorfeld wahrgenommen wird, ist es schon ein Erfolg. Der Guardian hat über uns als "the most anticipated opening of the year" geschrieben.

STANDARD: Hat der Brexit Ihrer Begeisterung einen Dämpfer versetzt?

Ropac: Natürlich war das britische Votum für den EU-Austritt ein Schock. Ich war damals schon mitten im Umbau. Aber selbst wenn ich noch nicht vertraglich gebunden gewesen wäre, hätte der Brexit an meinen London-Plänen nichts geändert. Kunst bewegt sich anders. So, wie Museen miteinander agieren, wie Sammler gewisse Orte anfliegen, wie und wo Künstler schaffen, hebelt das existierende Grenzen aus.

STANDARD: Fürchten Sie nicht, dass viel Geld aus London abgezogen wird?

Ropac: Ich befürchte keine Einbußen. Wenn ein paar reiche Leute London verlassen, ist mir das egal. Mir geht es darum, Ausstellungen zu machen, die wirklich beachtet werden. Wir docken dort an, wo die Kunst am stärksten schlägt. In London ist der Markt vielleicht noch größer als in Paris, weil die wichtigsten Auktionshäuser dort angesiedelt sind. In London gibt es die interessantesten Kunstkritiker, allein die Financial Times beschäftigt zehn, die zu den wichtigsten Europas zählen. Auch das gehört zur Critical Mass.

STANDARD: War es schwierig, das Ely House – ein ehemaliges Bischofspalais – für zeitgenössische Kunst zu adaptieren?

Ropac: Beim Londoner Denkmalamt hat man uns gesagt: "Sie haben Ihre Kronjuwelen gefunden – aber wagen Sie es nicht, auch nur einen Türknauf zu ändern." Ein von mir beauftragter Kunsthistoriker hat überprüft, was wirklich historisch ist und was später eingebaut wurde. Der Stuck, die Dekorationen beispielsweise waren nicht aus dem 18. Jahrhundert, die durften wir abschlagen.

STANDARD: Wird sich das Programm von jenem in Paris unterscheiden, es ergänzen?

Ropac: Ich möchte in London auch historische Ausstellungen machen. Und ich habe große Lust, mehr mit Nachlässen zu arbeiten. Der Nachlass von Robert Rauschenberg ist von Gagosian zu uns gewandert, wir verwalten die Nachlässe von Emilio Vedova und Robert Mapplethorpe, mehr und mehr haben wir auch mit Marcel Duchamps Nachlass zu tun.

STANDARD: Neben Gagosian gehören Sie zu den größten Galerien weltweit. Was sagen die Konkurrenten zu Ihren London-Ambitionen?

Ropac: Spätestens seit wir 2012 in Pantin im Norden von Paris unser Kunstareal in einer ehemaligen Kesselfabrik eröffnet haben, werden wir auf Augenhöhe gesehen. Natürlich sorgt es in London auch für Unruhe unter den Galeristen, Gagosian und White Cube decken einen Großteil der Künstler ab, die wir in Paris vertreten. Aber ich möchte da gar nicht hineinbullen, man kann Dinge zeigen, die in London vernachlässigt waren. Es gab beispielsweise seit 15 Jahren keine gute Beuys-Ausstellung mehr. Also ich habe viele gute Ideen, es gibt genügend zu tun.

STANDARD: Joseph Beuys zeigen Sie ja auch in der Eröffnungsausstellung.

Ropac: Wir beginnen tatsächlich exemplarisch: Joseph Beuys gehört sozusagen zu meiner DNA, so wie auch Gilbert & George. Die werden in London von White Cube vertreten, aber die mussten sein! Ihre frühen Arbeiten aus den 1970er-Jahren sind lauter unverkäufliche Leihgaben – so wie übrigens auch die dreißig Beuys-Zeichnungen, die wir neben seiner berühmten Skulptur Rückenstütze zeigen. Im Hauptraum realisiert der junge Brite Oliver Beer eine Mischung aus Installation, Performance und Musik, bei der zwölf Sängerinnen und Sänger durch ihr Summen und die dadurch entstehenden Schwingungen den inneren Ton des Gebäudes hörbar machen.

STANDARD: Auch nicht verkäuflich? Fast museale Ansprüche?

Ropac: (lacht) Stimmt, vieles ist unverkäuflich. Aber wir zeigen auch die Highlights aus der Sammlung Marzona. Da ist uns im Vorjahr ein Coup gelungen. Marzona hat ja einen Teil seiner Sammlung Berliner Museen geschenkt, aber wir konnten wichtige Hauptwerke – Donald Judd, Richard Serra, Carl André, Robert Ryman, Richard Tuttle, Sol LeWitt, Lee Lozano – erwerben, die fast 25 Jahre im Hamburger Bahnhof in Berlin waren, ehe wir sie dort abgeholt haben.

STANDARD: Verliert man bei einem so großen Betrieb mit hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht manchmal das Wichtigste, nämlich die Kunst, aus den Augen?

Ropac: Die Gefahr besteht. Aber dadurch, dass ich viel seltener als früher selbst Verkäufe abwickle und auch bei Messen eher beim Aufbau dabei bin und meist am Eröffnungsabend wieder zurückfliege, kann ich mich auf die Künstler und die Kunst konzentrieren.

STANDARD: Aber wollen die großen Sammler und Museen nicht nur mit Ihnen verhandeln?

Ropac: Wenn man die nicht abgeben kann, kann man nicht wachsen. Ich empfinde es jeden Tag als großes Privileg, so nahe an bedeutenden Künstlern zu sein, mir Ausstellungen ausdenken zu dürfen – und dann in Topmuseen anrufen zu können und sie um Leihgaben zu bitten. Vor zehn Jahren haben die noch gedacht, ob wir spinnen. Jetzt sind wir in einer Position, in der wir die Dinge nicht immer, aber oft bekommen.

STANDARD: Wo wird künftig Ihr Hauptwohnsitz sein? Salzburg, Paris oder London?

Ropac: In Salzburg bin ich ja, ausgenommen zur Festspielzeit, nur einen Tag pro Monat. London ist großartig, ich habe auch eine Wohnung dort, aber Paris ist um eine Spur mehr sophisticated. Mein Herz gehört Paris.

STANDARD: Inwiefern?

Ropac: London ist sehr geld- und erfolgsgetrieben geworden, sehr amerikanisch, das war es früher nicht. In Paris wäre man sofort in "Social Siberia", wenn man anfinge, den Erfolg so ungeniert raushängen zu lassen. Hier macht man das Geschäft, wenn es das Geschäft verlangt, aber abends oder privat darüber zu reden ist total daneben. Da sind die Franzosen viel mehr "gauche caviar". Das ist natürlich auch ein wenig verlogen, aber das macht es vergnüglicher, hier zu leben. Bei Abendgesellschaften selbst in bürgerlichen Häusern sitzen Künstler, Literaten, Schauspieler, Politiker, Unternehmer – und dazwischen schöne Frauen. Das ist ein Klischee, aber so funktioniert Paris. Das ist Lebensqualität. (Andrea Schurian, 20.4.2017)