Eine Geste mit Symbolkraft: 2015 wurden 15 Tonnen Elfenbein in Kenia verbrannt. Das Feuer entzündete Kenias Präsident Uhuru Kenyatta.

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"Man kann Wilderei nicht dadurch stoppen, dass einzelne Wilderer verhaftet oder gar getötet werden", sagt Wildleaks-Gründer Andrea Crosta.

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STANDARD: Gleich die erste Studie der Elephant Action League rund um Wilderei hat 2013 hohe Wellen geschlagen. Warum?

Crosta: Gemeinsam mit Koautor Nir Kalron habe ich fast zwei Jahre in Kenia gearbeitet. Dort erfuhren wir von einem Wildereinetzwerk in Somalia und haben realisiert, dass die militante islamistische Bewegung Al-Shabaab damals davon profitiert hat. Aber ich muss betonen, dass diese Studie das geopolitische Bild gezeichnet hat, das sich uns von 2010 bis 2012 darbot. Wie die Situation heute ist, wissen wir nicht. Es war die erste Untersuchung dieser Art und hat das Narrativ rund um Elefantenschutz verändert: Denn bis dahin ging es bei der Diskussion rund um Elfenbein um die Wilderei von Elefanten. Danach rückten auch die Menschenrechte in den Vordergrund.

STANDARD: Ein Jahr später haben Sie dann Wildleaks gegründet. Was steckt dahinter?

Crosta: Dabei handelt es sich um die erste Whistleblowerplattform im Bereich Umweltverbrechen. Wildleaks ist keine Organisation, sondern ein dauerhaftes Projekt, das aus der Elephant Action League (EAL) hervorgegangen ist. 90 Prozent unserer Aktivitäten bei EAL umfassen Informationssammlung und Arbeit im Feld. Und Wildleaks ist das zweite Standbein und sammelt Informationen aus der ganzen Welt.

STANDARD: In einem anderen ostafrikanischen Land, in Tansania, wurde die Elefantenpopulation hauptsächlich durch Wilderei seit 2009 um 60 Prozent reduziert. Wie kann man diese Dynamiken stoppen, solange ein Paar Stoßzähne das Dreifache eines durchschnittlichen Jahresgehalts garantieren?

Crosta: Genau, das ist der Punkt. Man kann Wilderei nicht dadurch stoppen, dass einzelne Wilderer verhaftet oder gar getötet werden. Und nebenbei: Jedes Jahr werden Tausende von Wilderern getötet, es werden von Regierungen nur keine Zahlen dazu veröffentlicht. Viele von ihnen sind sehr arm, oft ohne Einkommen und haben Familie. Ich würde vermutlich ähnlich handeln. Und deshalb haben wir Wildleaks gegründet. Wir glauben, dass NGOs und Medien ihren Fokus zu sehr auf die Wilderei anstatt auf den Handel gelegt haben. Es ist viel zielführender, einen Mittelsmann zu "entfernen" als einen Wilderer. Ein Wilderer wird schon am nächsten Tag ersetzt werden.

STANDARD: Wie unterscheidet sich die Arbeit von Wildleaks von traditionellen NGOs?

Crosta: Wir arbeiten mit geheimdienstlichen Experten, auch mit ehemaligen Mitarbeitern des FBI oder von Strafverfolgungsbehörden, zusammen. Wir sind davon überzeugt, dass komplexe und weitverzweigte Probleme wie Umweltverbrechen nicht nur von Fachleuten behandelt werden sollten. Wir rücken daher Informationsbeschaffung in das Zentrum unserer Arbeit. Oft dauert es Monate, um zu verstehen, wer wie in den illegalen Handel involviert ist.

STANDARD: Im Rahmen von Wildleaks werden Straftaten aufgezeigt, mit denen viel Geld lukriert wird. Wie gefährlich ist diese Arbeit?

Crosta: Umweltverbrechen sind ein sehr profitables Geschäft. Aktuell werden damit knapp 200 Milliarden Euro pro Jahr lukriert. In einigen Ländern ist es also sehr gefährlich, diese Verbrechen aufzuzeigen, auch für Journalisten. Wir übernehmen die Aufgabe, diese Taten zu veröffentlichen.

STANDARD: Die Plattform garantiert den Informanten Anonymität. Welche Technologie wird genutzt?

Crosta: Die Plattform basiert auf "Tor", einem Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten. Das garantiert den Informanten komplette Anonymität.

STANDARD: Welche Kooperationen ist Wildleaks bisher eingegangen?

Crosta: Erst vor zwei Wochen sind wir eine Partnerschaft mit dem National Whistleblowing Center in Washington, D.C. eingegangen. Es wird von Anwälten betrieben, die jede Form von Whistleblowing in Bereichen wie nukleare Sicherheit, Wirtschaftskriminalität oder Umweltschutz in den Vereinigten Staaten behandeln. Vor kurzem wurde ein Fachbereich im Tier- und Artenschutz gegründet. Wildleaks soll hier als eine Art Mauer zwischen der Quelle, die dadurch anonym bleibt, dem Whistleblower Center und der US-Regierung fungieren.

STANDARD: Einige Jahre schien es so, als würde die globale Nachfrage an Elfenbein nachlassen. Der erneut legalisierte Handel hat seit 2008 wieder die Schleusen geöffnet. Preise für Stoßzähne und auch Rhinozeroshörner schießen in den Himmel. Welche Dynamiken spielten hier zusammen?

Crosta: Es kamen einige Umstände zusammen. 2008 wurde China und Japan im Rahmen des Washingtoner Artenschutzübereinkommen Cites der legale Verkauf von Elfenbein aus afrikanischen Lagerbeständen wieder erlaubt. Die beiden Länder kauften gemeinsam mehr als 100 Tonnen Elfenbein aus Lagerbeständen von Ländern wie Botswana oder Südafrika ein. Das geschah zu einer Zeit, als die chinesische Mittelklasse erstarkte, für die Elfenbein zum Statussymbol wurde. Die chinesische Regierung entschied sich sogar dazu, Elfenbeinschnitzerei in das chinesische Kulturerbe zu inkludieren. Das gab auch dem Schwarzmarkt Aufwind: 90 Prozent von illegalem Elfenbein werden heute nach China exportiert. Die legale Einfuhr erleichtert Schmugglern die Arbeit.

STANDARD: Auf diesen Umstand haben Sie bereits in dem Dokumentarfilm "The Ivory Game" hingewiesen, in dem im Vorjahr der globale Elfenbeinhandel thematisiert wurde. Wie können diese Entwicklungen in China gestoppt werden?

Crosta: Das erste Mal in der Geschichte hat eine einzige Person das Schicksal einer ganzen Spezies in der Hand. Dabei handelt es sich um den chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Er ist der Einzige, der entscheiden kann, den Markt für Elfenbein zu schließen. Denn China ist der Motor hinter der Krise. Es gibt Hoffnung: Die chinesische Regierung hat Ende 2016 verkündet, dass der Markt Ende 2017 geschlossen werden soll. Die neue Krise entsteht jedoch bereits rund um Rhinozeroshörner.

STANDARD: Viel Zeit scheinen wir nicht mehr zu haben. Laut Weltnaturschutzunion IUCN wird alle 15 Minuten ein Elefant gewildert. In fünf Jahren wird die Population um die Hälfte reduziert sein.

Crosta: Einige lokale Populationen wurden für immer ausgelöscht. Da gibt es keine Hoffnung mehr. Das betrifft etwa den Kongo, Kamerun oder Gabun. In Tansania, Mosambik, Kenia oder Sambia könnten sich die Bestände noch erholen. Es liegt nun an China. Im März wurden etwa wie versprochen die ersten Fabriken für Schnitzereien und Einzelhandel geschlossen. Das gibt Hoffnung. (Julia Schilly, 20.4.2017)