Der Winterschlaf der ER-5 hat so lange gedauert, dass das Auswintern letztes Jahr so spät abgeschlossen war, dass sich gerade noch eine Proberunde ausgegangen ist. Obwohl sich monatelang mehrere Mechaniker um Gummilager, Schläuche, Flüssigkeiten, Vergaser, Reifen und Elektrik gekümmert haben, ist die Blaue noch ein wenig angenascht und rennt nicht ganz sauber. So beleidigt verschwindet sie dann auch in der Garage, bis sie vor wenigen Tagen wieder rausdurfte. Den Winterschlaf vom Sattel gewischt, Schlüssel ins Schloss, Choke auf Anschlag, anstarten.

Kawasaki ER-5, ab Mitte der 1990er-Jahre eine erfolgreiche, weil zierliche 500er.
Foto: Kawasaki

Sie ist immer noch beleidigt. Sie rennt nur mit vollgezogenem Choke mit Standgas auf 3.000 Touren oder verhaschpelt sich und stirbt ab. Unter viel gutem Zureden fahren wir die ersten Meter durch den Ort. Hust. Ruckel. Am Ortsschild schalte ich zurück auf die Zweite, drehe den Gashahn auf Süden, bis der Drehzahlmesser das erste Mal wieder, eh aus einer gesunden Entfernung, den roten Bereich sieht. Das dauert zwar seine Zeit, aber die rund 15 Jahre alte Dame hat sichtlich Spaß daran, die 34 gedrosselten Pferde wieder in den Dienst zu stellen.

Die Alte hat die 30.000 Kilometer vollstreckt wie damals als Junge.
Foto: Guido Gluschitsch

Es dauert nur ein paar Kilometer, bis sie sich demonstrativ an einem Honda-Käfig vorbeischraubt, als der Kilometerzähler auf 30.000 springt. Sie ist wieder da, und ihre zwei Zylinder schreien wieder durch das Rohr, das jedem Kamin eine Zierde wäre. Schlichte Formen waren damals anscheinend schwer angesagt. Das runde Design der Räder spiegelt sich im Scheinwerfer, den Armaturen und dem Endrohr wider.

Die Z650 ist die neueste ER-5, wenn man so will.
Foto: Guido Gluschitsch

Ganz anders ist das beim Enkerl der ER-5, der Z650, die gerade ihren Marktstart feiert und die ER-6n ablöst. Die ER-6n übernahm ja nach dem Auslaufen der ER-5 2006 bravourös das Erbe der wendigen Mittelklasse-Maschine bei Kawasaki – und war in der ersten Generation schon etwas eigen designt. Die Z650 ist auch nicht zeitlos, sie ist schnittig und modern gezeichnet. Weiß der Tank und das Heck, grün der neue Gitterrohrrahmen, martialisch die Maske und böse der Akrapovic. Nein, Letzterer ist nicht serienmäßig verbaut, passt der Z650 aber gut, finden wir.

Nur zur Erinnerung, die erste ER-6.
Foto: Kawasaki

Nicht nur optisch hat sich zur ER-6n alles verändert. Die Z650 ist 17 Kilogramm leichter – im Vergleich zur ER-5 sind das auch noch zwölf Kilogramm – und mit einer Sitzhöhe von 790 Millimetern noch einmal um eineinhalb Zentimeter niedriger als die ER-6n. Jetzt mag man annehmen, dass das für einen 190-Lulatsch wie mich ein Krampf ist, mit dem Motorrad zu fahren – aber wenn man gerade von der ER-5 steigt, fühlt sich die Z650 regelrecht erwachsen an. Und bärenstark.

Der Akrapovic ist nicht serienmäßig drauf, steht der Z650 aber gut.
Foto: Guido Gluschitsch

68 PS leistet der 649 Kubikzentimeter große Reihen-Zweizylinder und reißt vor allem im mittleren Drehzahlbereich gut an. Gleichzeitig bleibt sie dem Familienmotto treu und ist supereinfach zu fahren. Weil da auch gleich wieder die Fahrschulen auf das Radl anspringen werden, gibt es sowohl einen Fahrschulkit als natürlich auch eine auf 35 kW gedrosselte Version. Aber alle haben sie die neue Assist- und Rutschkupplung. Da reicht es, wenn man den Hebel scharf anschaut, und die Kupplung ist gezogen, so leicht geht das jetzt. Das liegt an einer neuen Konstruktion der Kupplung mit drei Federn – nix, was man wissen muss.

Die Z650 ist einfach zu fahren und sehr handlich.
Foto: Guido Gluschitsch

Was man auch nicht mehr wissen muss, ist, welchen Gang man eingelegt hat. Das steht jetzt in den Armaturen, und eine Schaltanzeige hat die Z650 selbstverständlich auch. Bei der ER-5, nur so zum Vergleich, gibt es gerade einmal eine Tankuhr, die aber eher die Neigung des Motorrads als die Menge des Tankinhalts anzeigt. Und noch etwas kann die Z, womit sich die ER noch sehr schwergetan hat: bremsen. Während man auf der Alten überlegt, ob man beim Anbremsen nicht den Birkenstockeinsatz riskieren soll, zangelt die Z mit ihren zwei Scheiben vorne wie aus dem Lehrbuch. Nicht zu bissig, aber eben auch nicht zahnlos.

Im Vergleich zur ER-5 ist die Armatur der Z650 ein Hochleistungsrechner.
Foto: Guido Gluschitsch

Das beschreibt übrigens die ganze Z650 recht gut. Sie ist ein handliches Bike, das viel Spaß macht, einen aber selten überfordert. Das trifft so auch auf die alte ER-5 zu, nur, ihr merkt man das Alter an. In Bezug auf Fahrwerk, Leistung und Bremserei hat sich in den letzten Jahren schon noch einmal viel getan. Das merkt man aber auch beim Preis. Die Z650 gibt es gerade in der Aktion um 7.199 Euro, eine alte ER-5, die halbwegs beinander ist, bekommt man mit etwas Verhandlungsgeschick um 1.000, 1.500 Euro. Prestigeradl hat man dann aber natürlich noch keines. Trotzdem geb ich meine nicht für viel Geld her. Weil jetzt rennt sie wieder und zieht an wie ein unbändiger – na ja, Maulwurf vielleicht ... (Guido Gluschitsch, 20.4.2017)

Foto: Guido Gluschitsch

Nachlese:

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