Das beste Mittel gegen Bluffer: Setzen Sie auf Ihre eigenen Stärken. Eine davon ist bei zurückhaltenden Menschen oft exzellente Vorbereitung", sagt Karrierecoach Martin Wehrle.

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Jeder kennt solche Situationen: Ein ganzes Team arbeitet an einem Projekt. Aber am Ende steckt sich ein einzelner Bluffer die Lorbeeren an seinen Hut. Er präsentiert das Ergebnis in der "Ich"-Form, schmückt seinen Anteil aus und lässt seine Kollegen unerwähnt.

Oder: Der Chef fragt im Meeting, ob ein Liefertermin zu halten sei. Zwei stille Experten schütteln die Köpfe, doch ein Großmaul behauptet in wohlklingenden Worten, dass der Termin "kein Problem" sei, sofern alle dasselbe täten wie er: den Einsatz verdoppeln. Der Chef nickt ergriffen, die Sache ist gebongt.

Viele zurückhaltende und aufrichtige Menschen hadern damit, dass sich heute oft nicht die beste Leistung durchsetzt, sondern die beste Rhetorik. Wer am lautesten spricht und am meisten verspricht, findet am ehesten Gehör. Auch wenn er nur Unsinn redet. Aber wie behauptet man sich als eher leiser Mensch in diesen lärmenden Zeiten?

Keinesfalls imitieren

Wichtigste Regel: Imitieren Sie nie die Lauten! Das wäre so, als wollten Sie mit einem Fisch um die Wette tauchen: In seinem eigenen Element wird er Sie schlagen. Es ist ein Witz, dass stille Menschen so oft in Rednerkurse gedrängt werden – aber Laute keine Kurse im Zuhören besuchen. Ein Witz, dass Bücher für Hochsensible ein Verkaufsschlager sind, während sich die Unsensiblen nicht über ihre mangelnde Einfühlung informieren. Warum werden die Leisen immer nur als Nachhilfeschüler gesehen und die Lauten als Vorbilder? Es müsste umgekehrt sein!

Das beste Mittel gegen Bluffer: Setzen Sie auf Ihre eigenen Stärken. Eine davon ist bei zurückhaltenden Menschen oft exzellente Vorbereitung. So ließe sich die leichtfertige Terminzusage des Schwätzers durch Fakten entzaubern: "Ich habe gerade noch mit der Produktionsabteilung telefoniert und mich nach einem realistischen Liefertermin erkundigt. Ich zitiere jetzt mal drei Aussagen …"

Gegen solche handfesten Tatsachen wird der Bluffer nichts mehr ausrichten. Erst recht nicht, wenn Sie Ihre Botschaft in einem Papier zusammengefasst haben und jetzt austeilen, mit ihrem Namen als Urheber – wunderbare Selbst-PR, ohne dass Sie dafür große Sprüche klopfen müssten.

Über die Sache sprechen

Und wie gehen Sie gegen den Kollegen vor, der die Arbeit des ganzen Teams für sich beansprucht? Stille Menschen sind oft empathisch, das hilft in dieser Situation: "Ich finde es wichtig, dass wir jedes Teammitglied für seine Leistung würdigen. Petra, was hast du beigetragen?" Nutzen Sie die Kraft der Gruppe, lassen Sie erst die anderen berichten, ehe Sie Ihren Anteil schildern. Auch der gutgläubigste Chef wird begreifen: Nicht das ganze Team schwindelt. Sondern der Bluffer.

Und was tun, wenn Sie ein Schwätzer frontal angreift: "Deine Argumentation ist genauso blass wie deine Gesichtsfarbe." Diese Rhetorik soll Sie in die Arena des rhetorischen Schlammcatchens locken, dort ist er Ihnen überlegen. Fallen Sie nicht drauf rein! Lenken Sie den Disput zurück auf das Feld Ihrer Stärken, die Sachebene. Zum Beispiel können Sie sagen: "Das sagt viel aus, was du hier über meine Gesichtsfarbe behauptest. Aber noch mehr interessiert mich dein Standpunkt in der Sache. Hast du da noch was zu sagen?"

Indirekt geben Sie zu verstehen: Sein Angriff lässt Rückschlüsse auf ihn selbst zu, auf seinen Charakter. Und sobald er gezwungen ist, wieder über die Sache zu sprechen, wird auffallen, wie dünn seine Argumente sind.

Vorrang der Lauterkeit

Zum Bluffen gehören immer zwei: einer, der es tut – und einer, der darauf reinfällt. Wir brauchen eine Arbeitswelt, in der es nicht länger um Lautstärke geht, sondern um Lauterkeit. Denn gerade stille und ehrliche Menschen sind oft die Leistungsträger. Wie singt der Liedermacher Konstantin Wecker so schön: "Es sind nicht immer die Lauten stark, nur weil sie lautstark sind." (Martin Wehrle, 21.4.2017)