Der neue Festwochen-Chef Tomas Zierhofer-Kin (48) wünscht sich, dass "die Menschen die Angebote, etwas zu imaginieren, sich auseinanderzusetzen und letzten Endes auch zu handeln, annehmen".

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In "Hamamness" soll Hamam-Kultur auf postkolonialen Diskurs treffen. Das "Performeum" in Favoriten wird Zentrum der Festwochen und ein Herzstück der neuen Ära: "Ein bisschen wie beim Donaufestival."

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Das Schloss Neugebäude in Wien-Simmering (noch vor seiner Revitalisierung Anfang der 2000er-Jahre) – die neue Clubkulturschiene "Hyperreality" und Shuttledienste sollen frische Festivalgänger hierher locken – für 25 bis 30 Euro Abendeintritt.

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STANDARD: Zur Programmpräsentation im Februar gab es Kritik. Etwa, ob Sie etwas gegen das bisherige Publikum hätten. Haben Sie?

Zierhofer-Kin: Das ist ganz absurd, wir haben nichts gegen irgendwen. Aber wir wollen uns verbreitern. Es geht darum, das alte Publikum zu behalten und neues dazuzugewinnen. Denn man muss schon sagen, dass das bisherige Publikum der Festwochen ein sehr kleiner Anteil der Bevölkerung Wiens ist. Ich kenne viele Leute aus den Bereichen Musik, bildende Kunst und Performance, die die Festwochen nie besucht haben, weil sie sagen, das sei ein konservatives Theaterfestival. Dieses Imageproblem wollen wir revidieren. Aber wir wollen natürlich auch die, die überhaupt nicht kulturaffin sind. Da bereiten wir künftige Projekte vor. Das jetzt ist ein zarter Beginn.

STANDARD: Konzerthaus und Musikverein haben Sie aufgekündigt, das bis dato stark vertretene Theater und Musiktheater abgespeckt. Ein Schlagwort im Programm lautet "Solidarität" – gibt es keine mit jenen, die traditionellere Ansprüche haben?

Zierhofer-Kin: Wir wollen ein Festival für die Kunstformen unserer Zeit sein. Die Gründungsidee der Festwochen war, Wien wieder zu internationalisieren, zu entnazifizieren, Utopie zu initiieren. Aber heute macht das keinen Sinn mehr. Das Konzertprogramm war ja so, als würde ich, wenn ich nach Schönbrunn ins Glashaus gehe, drei Gummibäume mitbringen. Viele sagen, das ist eine Tradition aus den 50er-Jahren, wie kann man die so leichtfertig aufgeben? Na ja, eben deshalb! Aufgabe der Festwochen kann es nicht sein, Dinge zu verdoppeln, die sowieso jeden Tag stattfinden. Wir arbeiten daran, im Konzertbereich in Zukunft wieder etwas zu machen, aber das muss ein sehr spezielles Programm sein.

STANDARD: Jetzt wird man sich etwa von Kindern gratis die Haare schneiden lassen können. Bestand, indem man Sie berufen hat, die Intention, den Kurs hart zu wechseln?

Zierhofer-Kin: Sowohl vom Festwochen-Präsidenten Rudolf Scholten als auch vom Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny her war klar, dass man eine Veränderung haben will – obwohl die Festwochen sehr, sehr gut besucht sind. Das hat mich fasziniert! Sicher geht es da auch um Publikumsverjüngung. Mit der Perspektive von fünf Jahren, die man mir gegeben hat, ist das auch leichter zu erreichen als in drei. Es gibt ja riesige Vorläufe.

STANDARD: Wie viel vom großen Plan sieht man also heuer schon? Wie viel ist noch Kompromiss?

Zierhofer-Kin: Kompromiss würde ich nicht sagen. Wir zeigen auch Produktionen mit Künstlern wie Romeo Castellucci oder Peter Brook, die schon oft hier waren, wo wir sagen, dass es für ein Publikum wichtig ist, dass es sich irgendwo anhalten kann. Und vielleicht passiert es, dass es sagt: Eh wunderschön, aber mir hat das Performeum eigentlich viel mehr gegeben, denn so was habe ich im Normalfall nicht hier. Vielleicht wird das Performeum sich dann ausdehnen. Wir müssen einfach schauen, wie was angenommen wird, wie wir uns entwickeln und inwieweit wir eine Verschiebung in neue Formate starten können.

STANDARD: Im Performeum als einem Wunderland in Favoriten soll es Performance, Tanz, bildende Kunst, Vorträge ... geben.

Zierhofer-Kin: Ein bisschen wie beim Donaufestival. Das wäre der Köder für Leute, die sagen: Mich langweilt bürgerliche Attitüde.

STANDARD: Kann halbwegs klassisches Theater gar nichts mehr?

Zierhofer-Kin: Mich interessiert es eigentlich nicht mehr. Mich stört am Sprechtheater die Repräsentation, nicht nur im machtpolitischen Sinn, sondern von ‚Ich spiele etwas‘. Es hat viele Entwicklungen verschlafen, wohingegen ich anderswo merke, dass da etwas passiert, bei dem ich ganz anders gefordert werde als in der bürgerlichen Idee von Lernen, Analysieren, Verstehen.

STANDARD: "Neudefinition", "Selbstbehauptung" oder "aktivistisch" liest man im Programmbuch immer wieder. Statt darbieten wollen Sie herausfordern.

Zierhofer-Kin: Die passive Idee, irgendwelche teuer produzierten toten Fische herzutun, die wahnsinnig schön sind, wo man aber danach nur sagen kann, wo gehen wir essen, das ist nicht meines. Ich gehe davon aus, dass Kunst eine gewisse Kraft hat. Ich möchte, dass etwas mit den Menschen passiert, sie nachher verstört sind oder euphorisch. Dass sie bei den Festwochen irgendetwas tun, was sie aus der Alltäglichkeit bringt – als Anstoß für Veränderung.

STANDARD: Das klingt sehr unmittelbar, und niederschwellig soll auch die neue Clubkulturschiene sein. Doch das Programmbuch ist bis an die Zähne theoretisch bewaffnet.

Zierhofer-Kin: Es mag für manche zu wenig einladend klingen, für andere ist es wiederum sehr wichtig, so eine Sprache zu wählen, die nicht mehr nach Theaterfestival klingt. Eine stark politische Aussage zu treffen ist mir umso wichtiger, je größer ein Festival wird. Wir wollen diesen Diskurs in Zukunft aber auch mehr herunterbrechen, für Leute mit weniger Zugang zu Sprache, Bildung, Kultur. Mit Hyperreality versuchen wir den Club als gesellschaftspolitisch queeren Ort zu setzen, an dem etwa Herrschaftsstrukturen temporär außer Kraft gesetzt werden, sich widerständige Szenen entwickeln können.

STANDARD: Pardon, aber ist das nicht Bobo-Romantik? Wie die "Antifaschistische Ballettschule" in Kaufhäusern à la Lugner City?

Zierhofer-Kin: Na ja, es ist mit allem natürlich gewissermaßen Bobo-Romantik. Wir müssen da sicher raus und weg. Was ich vom konkreten Projekt, das gab es ja schon einmal, aber weiß, ist, dass darauf unglaublich viele Leute angesprochen haben. Vielleicht gar nicht, weil es antifaschistisches Ballett heißt, sondern die fanden einfach toll, dass da ein offener Workshop stattfindet. Die Festwochen müssen in der Stadt spürbarer werden. Und Kommerztempel sind die Orte, die einen großen Querschnitt der Gesellschaft liefern. Wenn ich mir im Sommer den Hof im Museumsquartier anschaue – dort etwas zu machen finde ich problematischer.

STANDARD: Christoph Schlingensief hat damals zwecks Spürbarkeit einen Container vor die Staatsoper gestellt. So ein Aufreger fehlt heuer.

Zierhofer-Kin: Ich gestehe, wir haben Projekte auf Lager gehabt, die viel stärker sichtbar waren, aber einfach nicht zustande gekommen sind. Endlich ein Zentrum außerhalb des Gürtels zu legen ist aber auch sehr wichtig. Man arbeitet an vielen Baustellen ...

STANDARD: Kommt das nicht auch daher, dass es heuer statt Spartenkuratoren ein Kuratorenteam gibt?

Zierhofer-Kin: Was mich an den Bereichsdirektoren gestört hat, war, dass da halt Budgets verteilt wurden und die jeweiligen Kuratoren haben sehr autistisch drauflos programmiert, um ihren Etat auszugeben. Was so entsteht, ist ein relativ unorganisches Programm. Jetzt ist es so, dass wir alle in den Wald ausströmen, jagen und sammeln und dann legen wir unsere Beute zusammen und schauen, was wer erwischt hat und versuchen, das Ganze sinnstiftend zusammenzubringen. Da sind schöne Querbezüge entstanden, es gibt aber auch durchlaufende Bögen.

STANDARD: Ab wann sagen Sie: Diese Festwochen sind ein Erfolg?

Zierhofer-Kin: Es wäre vermessen zu sagen, dass es nicht auch an der Besucherzahl liegt. Ein gutes Zeichen wäre auch, wenn jemand über eine neue Programmschiene das Schlupfloch in die Festwochen gefunden hat – oder umgekehrt. Wenn es keine Ghettos gibt. Auch die Eröffnung ist ja ein Relikt, auch über sie muss man auf jeden Fall nachdenken. Aber ich finde es großartig, dass da immer Publikum kommt, das auch bei schlechtem Wetter ausharrt. Solche Leute will ich nicht enttäuschen, ich will sie abholen. (Michael Wurmitzer, 21.4.2017)