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"Nein – Wir werden gewinnen" ist der Slogan der Protestierenden geworden.

Foto: AP/Emrah Gurel

Ankara/Wien – Die türkische Führung will die Proteste gegen die Manipulationen beim Referendum vom vergangenen Sonntag offenbar nicht mehr dulden und lässt nun Wortführer der abendlichen Demonstrationen in mehreren Städten festnehmen. 34 Verhaftungen meldeten türkische Oppositionsmedien am Donnerstag. Darunter waren Journalisten wie Ali Ergin Demirhan von sendika.org und Hakan Gülseven, der Chefredakteur von Redaktif, einem linksgerichteten Nachrichtenportal. Beide Medien werden von Aktivisten gelesen, die seit Wochenbeginn trotz des geltenden Ausnahmezustands in Istanbul, Ankara, Izmir, Bursa und anderen Städten demonstrieren.

Der türkische Justizminister und Vizepremier Bekir Bozdag erklärte Bemühungen um eine Revidierung des Abstimmungsergebnisses für aussichtslos. "Unsere Verfassung besagt eindeutig, dass Entscheidungen der Wahlkommission endgültig sind und dass es keine Stelle gibt, bei der diese Entscheidungen angefochten werden können", zitierte ihn am Donnerstag die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.

Staatschef Tayyip Erdogan und seine konservativ-islamische Regierungspartei AKP hatten nach vorläufigen Angaben der Wahlkommission den Volksentscheid über die Verfassungsänderung knapp mit 51,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Zahlreiche Videos und Bilder sind nach der Abstimmung aufgetaucht, die Unregelmäßigkeiten bei der Wahl nahelegen.

Besonders strittig ist aber die Entscheidung der nationalen Wahlkommission in Ankara noch während des Referendums, auch Umschläge und Stimmzettel zuzulassen, die nicht den offiziellen Stempel trugen. Damit wurde ein massiver Wahlbetrug möglich, behauptet die Opposition. Sie spricht von 2,5 Millionen manipulierten Stimmen für das Ja zur Einführung des Präsidialregimes. Das wären doppelt so viele Stimmen, wie der Unterschied zwischen Befürwortern und Gegnern betragen haben soll.

Erdogan greift deutschen Politiker an

Staatschef Erdogan reagierte scharf auf Kritik von Odihr, der Behörde der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die auch Wahlen beobachtet. Sie sei eine Helferin einer Terrororganisation, erklärte Erdogan in einem Fernsehinterview. Erdogan bezog sich dabei auf den deutschen Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko, den europapolitischen Sprecher der Partei Die Linke. Von Hunko, der auch der Parlamentarischen Versammlung des Europarats angehört, kursierte im Internet ein Foto mit der kurdischen Fahne. Hunko war als Wahlbeobachter kurzzeitig in Diyarbakir festgenommen worden.

Eine Wahlanalyse von Ipsos nach dem Referendum, über die das Massenblatt Hürriyet berichtete, zeigte den Einbruch des Ja-Lagers. So stimmten 73 Prozent der Wähler der rechtsgerichteten MHP gegen die Verfassungsänderungen. Erdogan hatte auf das Bündnis mit der MHP gezählt, um eine deutliche Mehrheit zu erhalten. Auch zehn Prozent der AKP-Wähler sagten demnach Nein. (Markus Bernath, 21.4.2017)