Wien – Leopold S. hat wohl ein Leben zerstört – und ist dennoch kein Mörder. Der 54-jährige Taxilenker soll sich im November an einer jungen Frau, die in seinem Wagen eingeschlafen war, vergangen haben – und ihr zusätzlich 200 Euro gestohlen haben.

"Seit wann fahren Sie denn Taxi?", will Andreas Böhm, der Vorsitzende des Schöffengerichts, vom Angeklagten wissen. "Seit 1984." – "Und? Haben Sie so was schon öfters gemacht?" – "Nein." – "Warum sagen Sie bei der Polizei dann was anderes aus?" – "Das habe ich falsch verstanden, ich dachte, es ging um betrunkene Fahrgäste."

Im Vernehmungsprotokoll liest sich das anders: Als S. bezüglich weiterer Straftaten befragt wurde, schätzte er, er habe in vier bis fünf Fällen Frauen sexuell belästigt. Angeklagt sind diese Fälle aber nicht, da keine Opfer bekannt sind.

An Brüsten gestreichelt

Im Fall der jungen Frau ist der Unbescholtene geständig. Es sei 3.30 Uhr in der Früh gewesen, das Opfer sei auf der Rückbank eingeschlafen. "Ich wollte sie wecken. Habe sie zuerst an der Schulter gerüttelt, sie ist nicht aufgewacht. Dann habe ich ihre Brüste gestreichelt, über und unter der Kleidung." Und schließlich vergewaltigte er sie.

Erst da schreckte das Opfer hoch, bekam aber offensichtlich nicht mit, was passiert war. "Sie wollte zahlen, da ist ihr die Tasche heruntergefallen, und 200 Euro sind da gelegen." Die nahm S., das Fahrtgeld ließ er sich zusätzlich auszahlen.

Warum er die Tat begangen habe, wollen Böhm und Beisitzerin Olivia-Nina Frigo wissen. Sie erhalten zwei Antworten: "Irgendwie habe ich ein Blackout gehabt" sowie "Sie hat mir irgendwie gefallen."

Beklemmende Aussage

Der Auftritt des Opfers ist beklemmend. Sie kann sich nur noch erinnern, dass sie am 25. November von einer Feier mit Arbeitskollegen mit dem Taxi weggefahren sei. Extrem alkoholisiert sei sie nicht gewesen, der Filmriss dauerte dennoch bis zum nächsten Morgen.

Da fiel ihr auf, dass sie eine Verletzung an einem Finger hatte und die 200 Euro fehlten, und sie bemerkte einen üblen Geruch im Intimbereich. Nach einer Anzeige ließ sie sich im Spital untersuchen, wo die Spermaspuren gefunden wurden.

"Montagfrüh hat mich die Polizei angerufen und gesagt, ich bin vergewaltigt worden", erzählt sie dem Senat. Die Folgen waren verheerend. "Ich war eine Woche im Krankenstand. Länger ging nicht, da ich erst im November in der Agentur angefangen habe." Sie informierte ihren Arbeitgeber über das Verbrechen, der offenbar wenig Verständnis zeigte. Im Februar wurde sie gekündigt, da sie wegen der psychischen Probleme immer wieder in Krankenstand ging.

Nach Nervenzusammenbruch im Spital

Mit ihrem Freund kam es häufig zu Streitereien. "Er ist heute auch nicht gekommen, da er es nicht aushält", verrät sie. Rund einen Monat nach der Tat erlitt sie einen Nervenzusammenbruch, der einen stationären Aufenthalt erforderte.

Bei ihr wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert: Die Ungewissheit, was genau passiert sei, belastet sie, außerdem hat sie ausgeprägte Schuldgefühle wegen des Alkoholkonsums. Mindestens bis Herbst sei eine psychologische und psychiatrische Betreuung notwendig, sagt die Ärztin.

"Ich kann nicht mehr alleine nach Hause fahren", schildert die junge Frau. "Ich habe mir früher nie was Böses gedacht und bin eher offen auf die Menschen zugegangen. Danach habe ich mich nicht einmal mehr getraut, manche Sachen anzuziehen, da ich Angst hatte, zum Objekt der Begierde zu werden", sagt sie unter Tränen.

Gutachten notwendig

Für die Einholung eines Gutachtens, wie schwer die psychischen Folgen für das Opfer sind, muss Böhm schließlich auf den 2. Juni vertagen. Die Antwort auf die Frage ist wichtig, da sich der Strafrahmen von ein bis zehn Jahren auf fünf bis 15 Jahre erhöhen würde. "Viel Glück" wünscht der Vorsitzende der Zeugin noch, als sie den Saal verlässt. (Michael Möseneder, 21.4.2017)