Trau dich doch! Auf diesem Bild sind mehrere Damen, aber keine Osterhöschen zu sehen. Dafür haben wir ein verwegen dreinblickendes Osterhäschen zu bieten.

Grafik: Felix "Fearless" Grütsch

Felix Baumgartner hat nur eine Statistenrolle im aktuellen Fall öffentlicher Inszenierung von geheuchelter Moral inne, die seit ein paar Tagen das Land erschüttert wie ein Erdbeben – stark genug, um bis nach Hamburg spürbar zu sein, wo sogar der Online-Spiegel über den Vorfall berichtete. Nur um nicht missverstanden zu werden: Ich finde Baumgartners persönlichen Angriff auf Corinna Milborn geschmacklos und dumm. Doch der Auslöser der Debatte, ein Sujet der Unterwäschemarke Palmers, ist den Aufruhr, den er verursacht hat, nicht wert.

Viel Erregung

Eine Gruppe schlanker, junger, weiblicher Models rekelt sich bäuchlings – nackt bis auf das beworbene "Osterhöschen" – auf dem Boden eines Zimmers, das gegen die Fenster hin mit Wald und Wiese zu verschmelzen scheint. Der Wortwitz ist kein besonders subtiler, und in Kombination mit dem Setting ("Häschen" im Gras) versteht auch der dümmste Betrachter, worum es hier geht. Oder doch nicht?

Von allen Palmers-Sujets der letzten Jahre ist dieses das mit Abstand am wenigsten erotisierende, was wohl an der lieblos-schlampigen Art liegen dürfte, mit welcher die verantwortlichen Kreativen Bild und Text gestaltet haben. Es scheint so, als hätte der Marketingchef des Unternehmens am Karfreitag einen spontanen Einfall gehabt und ihn noch schnell seinem Team untergejubelt, bevor er sich in die Osterferien verabschiedete.

Die Idee war schlecht, die Umsetzung noch schlechter. Ein kreativer Reinfall, durchaus. Aber handelt es sich bei dem Bild auch um einen legitimen Anlassfall, um wieder einmal über die Ausbeutung von Frauen zu diskutieren? Aus Sicht mehrerer namhafter Journalistinnen ganz offensichtlich. Corinna Milborn, Infochefin und Moderatorin bei Puls 4, etwa attestierte dem Sujet die "Ästhetik eines Mädchenhändler-Tatorts", Falter-Journalistin Nina Horaczek fühlte sich an einen "verhungerten Kindergeburtstag" erinnert, und Euke Frank, Herausgeberin und Chefredakteurin von Woman, fragte: "Was sind 'Osterhöschen'? Warum kommt Erde durchs Fenster? Warum liegen da abgemagerte Mädchen fast nackt rum? Ich versteh's nicht ..."

Für die junge Zielgruppe

Was genau gibt es da nicht oder falsch zu verstehen? Eine Firma, die Unterwäsche verkauft, macht Werbung für ihr Produkt. Da es sich um Unterhöschen handelt, sind die Models nackt. Sie in Jeans und Sweater abzubilden, wäre eine Themenverfehlung. Und da die Höschen – so viel lässt sich am Stil erkennen – für eine junge Zielgruppe gedacht sind, sieht man keine Mittvierzigerinnen, sondern junge, schlanke Frauen. Abgemagert oder gar magersüchtig? Mitnichten. Kindergeburtstag? Das Schutzalter in Österreich liegt schon seit geraumer Zeit bei 14 Jahren. Doch die Models sind mit Sicherheit älter und somit alt genug, um – wenn sie nicht mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen wurden – freiwillig und legal bei einer solchen Kampagne mitzumachen. Mädchenhändler? Jeder sieht das, was er oder sie gerne sehen möchte.

Die deutsche Feministin Alice Schwarzer tritt gegen Pornografie und Prostitution auf. Für die Britin Laurie Penny hingegen ist weder das eine noch das andere per se problematisch. Während Schwarzer jeder Frau (mit Ausnahme der Mitglieder von Femen), die sich in der Öffentlichkeit nackt auszieht, unterstellt, sie würde DIE Würde DER Frauen verletzen, gesteht Penny zu, dass "Würde" etwas ist, über das jede Frau für sich selbst entscheidet.

Emanzipation und Würde

Und das macht Sinn. Denn wenn jemand anderer als die jeweils betroffene Frau darüber befindet, was sie tun oder lassen soll, hat das mit Emanzipation und Selbstbestimmung nichts zu tun. Freiheit bedeutet, freiwillig auch das tun zu können, was anderen nicht gefällt – auch Frauen, insbesondere Feministinnen.

Die Kritik, durch schlanke Models würden junge Mädchen in die Magersucht getrieben, ist unseriös, und zwar deshalb, weil es für diese Annahme keinen wissenschaftlichen Beleg gibt. Somit ist sie genauso spekulativ wie ihr Gegenteil: Werbung mit schlanken, sportlichen Frauen könnte weniger schlanke und weniger sportliche dazu animieren, mehr Bewegung zu machen und auf ihre Ernährung zu achten, was womöglich ihrer Gesundheit zuträglich wäre.

Sexismustest

Dass gerade Euke Frank und Corinna Milborn sich über schlanke, nackte junge Frauen alterieren, entbehrt nicht einer gewissen Heuchelei. Das Magazin Woman hat wohl schon die eine oder andere Unterwäschewerbung geschaltet. Und so manches, was auf Puls 4 zu sehen ist, würde den Sexismustest der beiden Journalistinnen nicht bestehen. Verletzen Frank und Milborn DIE Würde DER Frauen? Nein, denn es obliegt ihrer je eigenen Autonomie, ob sie sich für moralische Inkonsistenz entscheiden oder konsequenterweise auch jene Hand beißen, die sie füttert. (Georg Schildhammer, 21.4.2017)