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Särge der getöteten Soldaten in Mazar-i-Sharif.

Foto: Reuters

Kabul – Beim bisher folgenschwersten Angriff der Taliban auf einen Militärstützpunkt in Afghanistan sind mehr als hundert Soldaten getötet oder verletzt worden. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums waren die meisten Opfer gerade beim Freitagsgebet, als Angreifer in Armeeuniformen den Stützpunkt nahe Mazar-i-Sharif in Nordafghanistan stürmten.

Während am Sonntag ein nationaler Trauertag abgehalten wurde, wurden im Internet Rücktrittsforderungen laut.

Zehn Angreifer in afghanischen Uniformen und mit Sprengstoffwesten drangen am Freitag in das Militärgelände ein. "Sie kamen mit zwei Militärfahrzeugen mit Maschinengewehren auf dem Dach", berichtete der Soldat Mohammed Hussain, der bei dem Angriff verletzt wurde, der Nachrichtenagentur AFP. "Dann haben sie auf jeden geschossen." Danach seien die Angreifer in die Moschee und den Speisesaal des Militärstützpunkts eingedrungen und hätten dort "alle wahllos getötet". Zwei der Angreifer sprengten sich in die Luft. Die radikalislamischen Taliban übernahmen die Verantwortung für den Angriff.

Laut Verteidigungsministerium wurden alle Angreifer getötet. Wie viele der überwiegend jungen Soldaten auf dem Stützpunkt bei der fünfstündigen Attacke getötet wurden, teilte das Ministerium nicht mit, sondern sprach von mindestens hundert Toten und Verletzten. Angaben von örtlichen Behördenvertretern und Armeeangehörigen schwankten zwischen 135 und 160 Todesopfern.

Laut einem afghanischen Militärangehöriger könnten die Angreifer "Hilfe von Innen" gehabt haben. Sie hätten mindestens sieben Kontrollposten passieren müssen, um auf das Gelände zu gelangen.

Landesweite Trauer

Landesweit herrschte am Sonntag Trauerbeflaggung, mit Gebeten wurde der Opfer gedacht. In sozialen Netzwerken machten viele Afghanen ihrer Wut Luft. "Wer wird nach dem Desaster von Mazar zurücktreten? Der Verteidigungsminister, der Vizeminister oder irgendein kleiner Mann?", fragte der politische Beobachter "Badloon" im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Die beste Art, (die Toten) zu ehren, ist, diejenigen zu bestrafen, die mit dem Feind kooperiert haben: ein paar Verantwortliche müssen gehen", forderte ein anderer Nutzer. "Wir brauchen keinen nationalen Trauertag", lautete ein weiterer Kommentar. "Was macht die Regierung, um solche Gräueltaten zu verhindern?"

Der Experte Atikullah Amarkhail sagte der AFP, der Angriff sei ein "immer wiederkehrendes totales Fiasko" für die afghanischen Geheimdienste. "Wir stehen einer Guerilla gegenüber, die in kleinen Gruppen angreift", sagte er. "Wir sollten lernen, uns dieser Taktik entgegenzustellen."

Die Europäische Union warb unterdessen für eine "umfassende friedliche" Lösung des Afghanistan-Konfliktes. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ließ zu dem Taliban-Angriff erklären, sie habe sich in den vergangenen Tagen in Peking und Indien für ein Engagement regionaler Akteure für den Frieden in Afghanistan ausgesprochen. Dies werde sie kommende Woche auch beim russischen Außenminister Sergej Lawrow tun. Moskau hatte Mitte April eine Afghanistan-Konferenz organisiert, zu der China, Indien, Pakistan und der Iran kamen, aber nicht die USA.

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich rapide verschlechtert, seit die NATO ihren Kampfeinsatz Ende 2014 offiziell durch einen Ausbildungseinsatz ersetzt und die Truppen reduziert hat. Die afghanischen Streitkräfte erleiden im Kampf gegen die Taliban seit Monaten schwere Verluste. US-Generäle warben jüngst um mehr Truppen. Der Angriff vom Freitag deutet auf ein weiteres Erstarken der Taliban hin, die bald ihre alljährliche Frühjahrsoffensive ankündigen dürften.

Gescheiterte Friedensgespräche

Mehrere Anläufe der afghanischen Regierung für Friedensgespräche mit den Taliban sind gescheitert. Mehr als ein Drittel des Landes steht nicht unter Regierungskontrolle, viele Regionen sind umkämpft. Die NATO-Staaten haben derzeit noch mehr als 13.000 Soldaten in Afghanistan stationiert. Rund 8.400 von ihnen stellt das US-Militär.

In Mazar-i-Sharif ist die deutsche Bundeswehr im Rahmen der NATO-Mission "Resolute Support" im Einsatz, bei dem es vor allem um Ausbildung, Beratung und Unterstützung einheimischer Sicherheitskräfte geht. Bundeskanzlerin Angela Merkel kondolierte dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani. Die Nachricht von dem "hinterlistigen, brutalen Angriff der Taliban" habe sie mit "großem Entsetzen" aufgenommen. Deutschland stehe an der Seite der Menschen in Afghanistan, "die sich gegen den Terror wenden und für eine friedliche, demokratische Zukunft ihres Landes einsetzen". Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte der Zeitung "Bild am Sonntag", der Anschlag "bestärkt uns in der Entschlossenheit, die afghanische Bevölkerung weiter darin zu unterstützen, eigene Sicherheitskräfte im Land auszubilden und dem Terror die Stirn zu bieten". (APA, 22.4.2017)