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Marine Le Pen gab sich im Wahlkampffinale siegessicher.

Foto: AP / Kamil Zihnioglu

Europa soll für eine Präsidentin Marine Le Pen planen, schreibt der Politologe Mark Leonard im STANDARD – und deutet an, dass die EU sehr wohl einen Weg finden kann, mit einer Rechtsaußen-Staatschefin in Frankreich umzugehen. Er geht dabei davon aus, dass der Front National eine Minderheitsfraktion in der Nationalversammlung bleiben wird.

Tatsächlich kann – nach Brexit und Trump – am 7. Mai das dritte demokratische Horrorszenario Wirklichkeit werden, wenn es am Sonntag etwa Jean-Luc Melenchon oder auch ein angeschlagener Francois Filon neben Le Pen in die Stichwahl schafft und dann entweder sehr viele konservative oder linke Wähler zuhause bleiben. Gegen Emmanuel Macron, der viele Wählerschichten ansprechen kann, ist Le Pen wahrscheinlich chancenlos.

Bedeutet das das Ende der EU, wie viele befürchten? Geht Frankreich den Weg Russlands unter Wladimir Putin oder jenen der Türkei unter Tayyip Erdogan?

Was bringen die Parlamentswahlen?

Alles hängt davon ab, ob ein Le Pen-Wahlsieg den Front National bei den Parlamentswahlen im Herbst beflügelt, sodass er, wenn auch ohne Mehrheit, zu einer bestimmenden Fraktion werden kann – oder ob es nicht viel eher zu einer "Oh Gott, was haben wir getan?"-Reaktion der Wähler kommen wird, der die traditionellen Parteien, allen voran die Republikaner, in der Nationalversammlung stärken wird.

Frankreich würde jedenfalls politisches Neuland bewegen. Die drei Cohabitation-Phasen zwischen 1986 und 2002 von François Mitterrand mit Jacques Chirac bzw. Éduard Balladur sowie von Chirac mit Lionel Jospin waren eine Art von Großer Koalition, bei der es zumindest in der Außen- und Europapolitik viel Konsens gab. In der Innenpolitik gab der Premier den Ton an.

Oppositionsführerin im Präsidentenpalast

Mit Le Pen im Élysée-Palast wäre alles anders. Mit Parlament und Regierung gegen sie könnte die Rechtspopulistin nicht viel bewegen, weder den Euro verlassen noch Muslime des Landes verweisen. Das französische Präsidentenamt ist zwar mächtig, aber die Exekutivgewalt liegt doch zumeist bei der Regierung. Frankreich würde ungemütlicher werden, aber doch noch ein demokratischer Rechtsstaat und ein verlässlicher Partner bleiben.

Allerdings könnte Le Pen die Regierung auf Schritt und Tritt behindern, Gesetze und Reformen blockieren, und den Premierminister dann für den daraus resultierenden Stillstand verantwortlich machen. Sie könnte aus dem Präsidentenpalast heraus effektive Oppositionspolitik betreiben.

Le Pen könnte jederzeit Neuwahlen ausrufen

Vor allem könnte Le Pen zu einem günstigen Zeitpunkt das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen – und mit dem Argument, Frankreich braucht wieder eine geschlossene und starke Führung, auf eine Mehrheit für ihren Front National hoffen. Wenn das innerhalb der nächsten fünf Jahre gelingt, wäre der Weg frei für eine Putinisierung oder Erdoganisierung Frankreichs – und die Zerstörung der EU.

Möglich wäre allerdings auch, dass eine starke Anti-Le-Pen-Parlamentsmehrheit schon bald die Verfassung ändert und die Kompetenzen der Präsidentin zurechtstutzt. Das würden zwar Le-Pen-Anhänger als Angriff auf die Demokratie beklagen, es würde Frankreich aber vor noch Schlimmerem bewahren.

Mein Tipp: Präsident Fillon

Mein persönlicher Tipp für die Präsidentenwahl lautet übrigens, dass im ersten Wahlgang Fillon und Macron ganz knapp vor Le Pen liegen werden – und in der Stichwahl dann Fillon gewinnt, weil die Le-Pen-Wähler den Konservativen stärker unterstützen werden als die wirklich Linken den moderaten Macron. Der siegreiche Präsident wäre der lebende Beweis, dass man selbst die schlimmste Affäre nur aussitzen muss, um in einer so turbulenten Zeit seine Siegeschancen zu bewahren. (Eric Frey, 22.4.2017)