Einst zogen Milchrebellen vors Parlament, um für bessere Preise zu kämpfen. Jetzt lassen viele Molkereien sie hart abblitzen.

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Bauernbundpräsident Jakob Auer: "Ich habe erlebt, dass wir angespuckt wurden. Man hat uns gesagt: Schleichts euch. Der Riss ging quer durch Familien."

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STANDARD: 37 Bauern der einstigen Initiative "Freie Milch" haben Ende der Woche keinen Abnehmer mehr. Werden sie ihre Milch wegschütten und ihre Kühe verkaufen müssen?

Auer: Wir versuchen derzeit mit allen Mitteln Abnehmer zu finden. Am Samstag gab es dazu eine Versammlung bei der Gmundner Molkerei. Ihr Obmann wie auch jener eines anderen Verarbeiters zeigten sich dazu bereit, noch einmal zu schauen, wie viele sie aufnehmen könnten. Es sind jedenfalls mehrere Stellen damit beschäftigt.

STANDARD: Es gab dazu jüngst auch Gespräche im Landwirtschaftsministerium. Wie konnte sich die Lage der vertraglosen Höfe überhaupt dermaßen zuspitzen?

Auer: Exponenten der "Freien Milch" haben die Genossenschaften viele Jahre lang mit allen Kräften bekämpft. Jetzt wollen sie wieder zu ihnen zurück. Dass das nicht zur Freude vieler der Genossenschafter ist – das ist wohl zu verstehen.

STANDARD: Molkereien betonen, aufgrund des Überangebots an Milch seien ihnen die Hände gebunden. Es geht um gut fünf Millionen Liter Milch im Jahr. Bringen diese das Fass wirklich zum Überlaufen?

Auer: Es geht um mehr. Außerdem steigt im Frühling mit dem Grünfutter die Anlieferung. Die betroffenen Bauern haben jedoch die anderen Landwirte, die weiter ihren Genossenschaftsanteil einzahlten und mit ihrem Vermögen hafteten, über Jahre als Dumme angeschaut. Warum also sollten diese nun akzeptieren, dass ihre Genossenschaft zu viel Milch erhält?

STANDARD: Was war so verwerflich daran, in der Vermarktung andere Wege gehen zu wollen, abseits von Raiffeisen und Genossenschaften?

Auer: Das hat mit Raiffeisen nichts zu tun. Es gibt viele Molkereien, die haben bei Raiffeisen nicht einmal ein Konto. Aber ich habe erlebt, dass wir angespuckt wurden, dass uns unsere Publikationen vor die Füße geworfen wurden. Man hat uns gesagt: Schleichts euch!

STANDARD: Damit dies künftig nicht mehr passiert, wird jetzt an einzelnen Bauern ein Exempel statuiert?

Auer: Überhaupt nicht. Ihre betroffenen Betriebe liegen nur weit verstreut, und Milchmenge lässt sich nicht von heute auf morgen logistisch neu steuern. Viele Genossenschafter zeigen aber ohnehin bereits Solidarität – letztlich helfen ja immer wieder alle zusammen. Zum Nulltarif, zum gleichen Preis wird es das jedoch sicher nicht geben. Das ist undenkbar. Wissen Sie, was die "Freie Milch" wirklich wollte? Sie wollte unsere herkömmlichen genossenschaftlichen Strukturen zerstören – Strukturen, die sich in Österreich über ein Jahrhundert bewährt haben.

STANDARD: Für viele offenbar nicht. Kritiker sagen, dass sich viele Bauern fast als Leibeigene der großen Molkereien sehen. Von einem starken Missverhältnis ist die Rede bis hin zu Missbrauch von Marktmacht.

Auer: Das ist lächerlich. Natürlich kann man manches hinterfragen. Die Genossenschaften haben aber ihren Sinn. Es steht im Übrigen jedem frei, ihnen beizutreten oder die Milch lieber selbst zu vermarkten. Chancen auf Absatz hat man jedoch nur mit einer Stadt oder einem großen Markt vor der Tür. Die Gruppe um die "Freie Milch" hätte es ja beweisen und zeigen können, wie man es besser macht – sie hatten es selbst in der Hand. Wir haben freien Wettbewerb.

STANDARD: Einstige Rebellen sprechen von Monopolen: Ihnen seien von Anfang an unüberwindbare Hürden in den Weg gelegt worden.

Auer: Das stimmt nicht.

STANDARD: Molkereien hätten etwa allen Frächtern energisch nahegelegt, ihre Höfe nicht anzufahren, ihre Milch nicht einzusammeln.

Auer: Das ist eine billige Ausrede. Schuld haben immer die anderen. Es kann sein, dass bestehende Logistiker lieber für bewährte Molkereien fuhren. Es gibt aber genug neue Transporteure, die ihre Fahrzeuge innerhalb kurzer Zeit bereitstellen. Wo aber sind jetzt die verantwortlichen Exponenten? Sie haben die Bauern verführt. Und jetzt haben sie sich vertschüsst.

STANDARD: Viele ringen seit Monaten um Lösungen für ihre Kollegen.

Auer: Mit mir geredet hat keiner. Über die Presse wurde mir ausgerichtet, dass ich einen Brief erhalte, der dann drei Tage später ankam. Die feine Art ist das nicht.

STANDARD: Lässt sich der tiefe Riss, der durch die Milchwirtschaft geht, kitten?

Auer: Es braucht wieder Ruhe in den Bauerndörfern. Der Riss ging quer durch die Gemeinden, quer durch Familien. Aber die Menschheit lernt niemals aus. Wobei die Milchbauern nur ihre Großväter hätten fragen müssen, wie es ihnen ergangen war, bevor sie Genossenschaften hatten. (INTERVIEW: Verena Kainrath, 24.4.2017)