Es ist erstaunlich, welche Klarstellungen im Jahr 2017 noch immer nötig sind. Dass Frauen Opfer von Gewalt werden, hat nicht im Geringsten damit zu tun, wie sie aussehen, wie sie sich kleiden, wie alt sie sind oder wie sie sich verhalten, das ist eine Tatsache. Das ist so eine Klarstellung. Allein der Hinweis darauf, dass der Zusammenhang von Gewalt und dem Verhalten von Frauen ein frei erfundener ist und von zahlreichen Studien über Gewalt an Frauen widerlegt ist, wirkt wie aus einer anderen Zeit.

Doch der Mythos, dass Frauen nur bitte schön keinen kurzen Rock tragen oder ein tiefes Dekolleté zeigen sollen, und schon führen sie ein sicheres Leben, lebt. Österreich stellt diesen Zusammenhang her, nicht vor zwanzig Jahren, sondern heute: "Kim hat nichts gelernt" schreibt das Blatt über den US-Star Kim Kardashian. Sie wurde vergangenes Jahr in Paris Opfer eines brutalen Raubüberfalls. Sie wurde mit einer Waffe bedroht, gefesselt, eingesperrt und ausgeraubt. "Aufreizende Kleidung und ständige Protz-Postings. Das waren Mitgründe für den brutalen Überfall in Paris", schreibt die Zeitung allen Ernstes. Und weiter: Sie habe daraus "wenig gelernt", denn "sie zeigte sich wieder halb nackt".

Vergangenheit noch nicht vorbei

Fantasieren könnte man es auch nennen, einfach mal schnell hingerotzt, betrifft ja nur so ein Reality-Soap-Sternchen, das ständig ihren Busen in die Kamera hält, "selber schuld".

Wir sind zwar heute so weit, dass wir wissen, dass niemand "selber schuld" ist, wenn sie oder auch er Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt wird. Doch wir wissen auch, dass viele Betroffene von Gewalt diese auch heute noch nicht thematisieren oder anzeigen, weil ihnen unsere Vergangenheit voller offener Frauenverachtung und rigider Geschlechterrollen noch in den Knochen sitzt. "Berichte" wie dieser katapultieren uns wieder in diese Vergangenheit – und machen einige Arbeit von Gewaltschutzeinrichtungen angesichts einer nicht zu vernachlässigenden Reichweite wohl wieder zunichte. Ob aus Ignoranz oder purer Misogynie unerheblich – das Fantasieren muss ein Ende haben. (Beate Hausbichler, 24.4.2017)