Wien – Das Interview mit Thomas Prantner im "Profil", in dem der ORF-Onlinechef und Technikvizedirektor von "Verhören" im ORF-Studio spricht, ließ "ZiB 2"-Sendungschef Wolfgang Wagner Prantner ein Mail schreiben. "Der Vergleich eines TV-Interviews mit einem Verhör ist unpassend, eigentlich dumm", schreibt er: "Das Einzige, was Profiler, Staatsanwälte, Untersuchungsrichter und ein Interviewer gemeinsam haben sollten: Den Willen zur Wahrheitsfindung. Dafür notwendig: Perfekte Vorbereitung, professionelle Fragetechnik, Aufspüren von Widersprüchen, beharrliches Nachfragen, Einfühlungsvermögen."

Thomas Prantner "und allen anderen, die öffentlich vom 'Verhör' sprechen", wirft Wagner vor, "journalistische Errungenschaften zu gefährden".

Nicht zur Veröffentlichung gedacht

Das Mail ging an einen relativ breiten, ORF-internen Verteiler, es liegt auch dem STANDARD vor. Wagner erklärt auf STANDARD-Anfrage, das Schreiben an Prantner wäre intern und nicht zur Veröffentlichung gedacht, die er ausdrücklich missbillige.

Wagners ausführliche, wenn auch teils persönlich gehaltene Argumentation mit Beispielen aus einer langen Tradition von teils legendären, hoch gelobten und von Rundfunkbehörden und Höchstgericht als gesetzeskonform erkannten ORF-Interviews findet die Redaktion aber wesentlich und erhellend für die aktuelle Debatte zur ORF-Information. (red, 25.4.2017)

Das Mail im Wortlaut

"Lieber Tommy,

Deine Interviewaussagen, "es ist unzumutbar für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn das TV-Studio wie ein Verhörraum oder eine Anklagebank wirkt" und "es gibt einzelne Fälle, in denen für den Interviewpartner und auch das Publikum dieser Eindruck entstehen musste" sind unglaublich. Wie oft warst Du in einem Gerichtssaal? Ich als Berichterstatter für die ZIB hunderte Male, z.B. in den Fällen Unterweger, Küssel, Fuchs. Ich wünsche niemandem, auch Dir nicht, als Angeklagter, ja nicht einmal als Zeuge unter Wahrheitspflicht, verhört zu werden. Ich habe hochintelligente, selbstbewusste Menschen stammeln gehört, sich in Widersprüche verwickeln, in Tränen ausbrechen gesehen. Mit Verlaub: Der Vergleich eines TV-Interviews mit einem Verhör ist total unpassend, eigentlich dumm.

Das Einzige, was Profiler, Staatsanwälte, Untersuchungsrichter und ein Interviewer gemeinsam haben sollten: Den Willen zur Wahrheitsfindung. Dafür notwendig: Perfekte Vorbereitung, professionelle Fragetechnik, Aufspüren von Widersprüchen, beharrliches Nachfragen, Einfühlungsvermögen. Dennoch bleibt der entscheidende Unterschied zwischen polizeilichen/gerichtlichen Verhören und einem TV-Interview – ins Studio kommen die Interviewpartner freiwillig, zu den Verhören wird man vorgeladen, gegebenenfalls zwangsvorgeführt, schlimmstenfalls aus der U-Haft.

Eine Erklärung, warum mich Dein Untergriff/Angriff emotional heute mehr berührt: Auf den Tag genau vor zehn Jahren hat mich GD Wrabetz mit der ZIB2-Sendungsverantwortung betraut. In dieser Zeit sind ca 2.500 Studiogespräche on air gewesen. In dieser Zeit haben wir 100.000 Zuschauer gewonnen. Die Bewertung ist überdurchschnittlich. In der von Dir verantworteten TV-Thek liegen die ZIB2-Gespräche regelmäßig bei den Abrufzahlen an der Spitze. Dort gibt es auch – wie Du weißt – ein Archiv "Best of ZIB2-Interviews", eingeleitet mit dem Satz "Vor allem diverse Studiogespräche haben der Sendung in den vergangenen Jahren ein einzigartiges Profil gegeben".

Für eines bin ich Dir dankbar: Du hast mir heute den Anlass geliefert, vier historische Interviews anzusehen: Nagiller/Waldheim 1986, Hochner/Vranitzky 1996, Hochner/Stronach 1998, Thurnher/Schüssel 2000. Ich fürchte, Du hast das vor Deinem Profil-Interview nicht gemacht, daher war Dir nicht bewußt, dass Armin und Lou vom "einzigartigen ZIB2-Profil" nicht abweichen. Es wurde und wird hartnäckig nachgefragt, um Widersprüche aufzuzeigen. Und auch unterbrochen wird in jedem dieser Interviews, beim Stronach-Gespräch von Robert Hochner mit dem legendären Satz eingeleitet "Auch auf die Gefahr hin, dass Sie den ORF kaufen und mich rauswerfen". Dieser Satz klingt fast makaber im Kontext mit dem aktuellen Wolf/Pröll-Interview (das übrigens zu Recht an erster Stelle im "Best of" angeboten wird) und dem, was es ausgelöst hat. Was dieses Interview von den vorher zitierten unterscheidet, ist einzig und allein die Reaktion Prölls.

Das führt mich zu einem Satz von Dir im Profil, den ich unterstreiche: "Fairness, Korrektheit und Respekt gegenüber einem Interviewpartner schließen eine harte Interviewführung nicht aus." Alles andere wäre ein zurück hinter die Errungenschaften des ORF-Gesetzes 1967 nach dem Rundfunkvolksbegehren. Davor gab es ja Interviews der Sorte "Wie geht es ihnen?/Was haben sie vor?/Danke für das Gespräch."

Lieber Tommy, ich werfe Dir und allen anderen, die öffentlich vom "Verhör" sprechen, vor, journalistische Errungenschaften zu gefährden. Anders als Du mache ich meine Replik intern und schicke sie nur meiner Redaktion, der FD1-Chefredaktion, dem Redakteursrat und der ORF-Geschäftsführung.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang"