Produkte, die Gluten oder Laktose enthalten, werden von vielen Menschen gemieden – auch, wenn keine Unverträglichkeit oder Allergie vorliegt.

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Immer mehr Menschen glauben heute, an Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder -allergien zu leiden. Mit einer neuen Broschüre will die Interessensgemeinschaft Allergenvermeidung (IGAV) nun Missverständnisse zu dieser Thematik klären und einen Überblick zu Symptomen, Ursachen und Diagnosemöglichkeiten geben. Im Rahmen eines Pressegesprächs wurde der Ratgeber in Wien vorgestellt.

Die Angst vor Gluten, Histamin, Fruktose oder Laktose – eigentlich natürliche Bestandteile von Lebensmitteln – scheint größer zu werden, Kochen und Essengehen schwieriger. "Nicht die Menschen ändern sich, sondern die Ernährungsgewohnheiten", sagt Stefan Wöhrl vom Allergiezentrum Floridsdorf. Der durchschnittliche Fruktosegehalt in Nahrungsmitteln habe sich beispielsweise von rund 20 Gramm in den 1960er-Jahren auf über 80 Gramm in den 90ern gesteigert. Fruktosequellen wie Maisstärke seien außerdem billig und daher häufig in Fertiggerichten zu finden. "Der Körper ist dadurch einfach überlastet."

Unterscheidung zwischen Allergie und Intoleranz

Vieles werde als Intoleranz bezeichnet, das gar keine ist. "Intoleranzen können nie gefährlich sein, sondern nur Verdauungsprobleme verursachen", betont Gunter Sturm von der Arbeitsgruppe Allergologie der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV). "Richtige" Nahrungsmittel-Allergien, etwa auf glutenhaltiges Getreide, Eier, Nüsse oder Fisch, betreffen lediglich ein bis drei Prozent der Bevölkerung und sind somit relativ selten. Bereits Spuren des Auslösers können zu heftigen Reaktionen oder lebensbedrohlichen Zuständen führen. Bei einer Laktose-Intoleranz besteht hingegen ein Enzym-Mangel, der unter anderem zu Bauchschmerzen, Krämpfen, Durchfall oder Müdigkeit führen kann.

Wichtig sei laut IGAV jedenfalls, zu wissen, woher die Intoleranz kommt. Werden Nahrungsmittel nicht vertragen, fragen viele Betroffene der Einfachheit halber "Dr. Google" oder greifen zu Angeboten wie Selbsttests aus dem Internet. "Vertrautes, Simples wird bevorzugt, gerade wenn sehr viele Informationen vorhanden sind", erklärt die Psychologin Ulrike Schiesser. "Viele suchen nach Lösungen, wenn es ihnen nicht gut geht, da ist die Nahrungsmittel-Unverträglichkeit oft ein willkommener Sündenbock. Die Ernährung ist auch etwas, das man unter Kontrolle hat."

Abklärung durch Facharzt erforderlich

"Doch die Diagnose ist immer ein mehrstufiger Prozess. Alle Krankheitsbilder brauchen fachliche Abklärung", betont Sturm. Dies soll auch der Ratgeber vermitteln. "Sich Zeit nehmen ist aber im medizinischen System heute aber nicht unbedingt vorgesehen", kritisiert Schiesser. "Nicht, weil die Ärzte das nicht wollen. Viele Betroffene, die das Geld haben, gehen dann in die esoterische Ecke. Qualität erkennt man aber oft daran, dass es keine einfachen Antworten gibt."

Vor "fragwürdigen Diagnoseverfahren" und "selbstverordneten Maßnahmen" warnt auch Diätologin Martina Fischl. "Immer mehr, meist besonders gesundheitsbewusste Menschen kaufen zur Vorsicht und ohne jeglichen medizinischen Hintergrund diese Produkte. Beispielsweise ist die glutenfreie Ernährung sehr modern geworden. Gesunden bringt sie aber keinen Vorteil und im Fall einer Zöliakie behindert diese Diät sogar die exakte Diagnose."

Ein großer Markt auf Kosten der Betroffenen habe sich hier entwickelt. Auf Krankenschein gebe es eine Ernährungsberatung durch Experten, wie sie laut IGAV empfohlen wird, "leider jedoch nach wie vor nicht". (apa, 25.4.2017)