Eineinhalb Wochen nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei beschloss der Europarat, verstärkt die Einhaltung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in dem Land zu prüfen.

Foto: APA/AFP/OZAN KOSE

Ankara/Straßburg – Eine "politische Operation" hat es der Sprecher des Präsidenten im Vorfeld genannt, ausgeführt von "manchen unserem Land übel gesinnten Kreisen". Es müssen sehr große Kreise sein, vor denen Ibrahim Kalin, der intellektuell-asketische Sprecher des türkischen Staatschefs Tayyip Erdoğan, warnte. Praktisch zwei Drittel Europas sprachen am Dienstag der Türkei ihr Misstrauen aus. Erdoğan selbst sprach von einer "gänzlich politischen" Entscheidung des Europarats, die er nicht anerkennen werde.

Die parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg stimmte am Dienstag für die Wiedereinführung des Monitoring-Verfahrens für das Mitglied Türkei. Das Votum gilt als Vorzeichen des näherrückenden Bruchs zwischen der Türkei und Europa. "Die Türkei ist nicht mehr das Land, das wir kennen", stellte eine norwegische Abgeordnete während der Debatte fest.

"Ernsthafte Verschlechterung"

Erdoğan hatte eine Abrechnung mit der EU für den Tag nach dem Verfassungsreferendum angekündigt. Die kam erst einmal nicht. Jetzt sind es Europarat, EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten der Union, die Konsequenzen aus dem Verfall der Demokratie in der Türkei und der Serie beleidigender Angriffe Erdoğans gegen europäische Regierungen ziehen. In ihrer Resolution fordert die parlamentarische Versammlung des Europarats die schnellstmögliche Aufhebung des Ausnahmezustands in der Türkei und konstatiert eine "ernsthafte Verschlechterung der Funktionsweise demokratischer Institutionen in der Türkei".

Die Wiederaufnahme des Monitorings, bei dem die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderer rechtlicher Standards des Europarats in der Türkei durch regelmäßige Untersuchungsberichte überwacht werden soll, hat dabei große politische Symbolik: Der Europarat hatte 2004 die Überwachung der Türkei für beendet erklärt und damit auch den Weg für die Beitrittsverhandlungen des Landes mit der EU geebnet. 13 Jahre später heißt es zurück zum Anfang. Selbst in der regierungstreuen Presse in der Türkei war von einer Rückstufung in die Zweitklassigkeit die Rede.

Zweifel am Nutzen

Der Antrag war in Straßburg mit 133 Stimmen angenommen worden; 45 Delegierte sprachen sich dagegen aus – im Wesentlichen die Vertreter der türkischen Regierungspartei AKP und aus Aserbaidschan, dem engsten Partner der Türkei. Eine Reihe von Delegierten machten allerdings geltend, dass die Wiedereröffnung eines Monitoring-Verfahrens den Beziehungen zur Türkei nur schade und den Menschen im Land konkret nichts bringe. 47 Staaten gehören dem Europarat an; die Türkei ist seit dem Beginn 1949 Mitglied. Der derzeitige türkische Außenminister Mevlüt Çavusoglu war selbst von 2010 bis 2012 Präsident der parlamentarischen Versammlung des Europarats. Sein Ministerium wies die Entscheidung am Nachmittag als ungerechtfertigt und politisch motiviert zurück.

Bereits am Freitag wollen die Außenminister der EU bei einem Treffen in Malta mit den Beratungen über eine neue Form der Beziehungen zur Türkei beginnen. Die Beitrittsverhandlungen sind de facto bereits eingefroren. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn hat sich – wie berichtet – zu Wochenbeginn erstmals offen für eine "Neubewertung" ausgesprochen: Die EU könnte mit der Türkei eine aufgewertete Zollunion ausarbeiten oder aber einen neuen Assoziationsvertrag. Die österreichische Regierung war innerhalb der EU bisher allein mit ihrer Forderung, die Beitrittsverhandlungen komplett abzubrechen – Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sprach sich am Dienstag erneut für ein Ende der Gespräche und für "mehr Ehrlichkeit und Klarheit vonseiten der EU in Richtung der Türkei" aus.

Der türkische Staatschef wird als Reaktion nun möglicherweise Tempo bei der Wiedereinführung der Todesstrafe machen und damit den Bruch mit den Europäern perfekt machen. Die Todesstrafe war in der Türkei nach 2001 schrittweise abgeschafft worden. Eine Wiedereinführung sei Sache der Parteien, sagte Justizminister Bekir Bozdag.

Der Führer der rechtsgerichteten Nationalistenpartei MHP, Devlet Bahçeli, der 2001 noch Vizepremier war, hatte die Abschaffung der Todesstrafe immer schon als Fehler bezeichnet. Er dürfte dieses Mal eine Kampagne für ihre Wiedereinführung anführen. In Ankara wird derzeit über eine Kabinettsumbildung gesprochen. Erdoğan selbst wird wieder Mitglied seiner AKP, sobald das Ergebnis des Referendums im Amtsblatt veröffentlicht ist. Dann hat die Türkei auch offiziell ihren ersten parteiischen Präsidenten. (Markus Bernath, 25.4.2017)