Durch die frühkindliche Ernährung wird der Stoffwechsel entscheidend "programmiert", was den Weg zur Fettleibigkeit ebnen kann.

Foto: Begsteiger / Alexa Bente

Graz – Seit den 1980er-Jahren hat sich laut der Weltgesundheitsorganisation WHO die Verbreitung von Fettleibigkeit verdreifacht, am stärksten bei Kindern und Jugendlichen. So wuchs in Österreich die Zahl der übergewichtigen Mädchen zwischen 2008 und 2012 von zehn auf 16 Prozent an, die der Buben von zwölf auf 17 Prozent.

Allein mit der Durchführung von Ernährungs- und Bewegungsprogrammen wird man dieses Problem vermutlich nicht in den Griff bekommen. Um anhaltende Effekte zu erzielen, muss auch die Entstehung von Adipositas noch besser erforscht werden. Ein wichtiger Aspekt dabei ist etwa die Prägung des Stoffwechsels durch die frühkindliche Ernährung. Denn während der schnellen Entwicklung der Organe vor und nach der Geburt können Stoffwechsel und andere Faktoren langfristige Auswirkungen auf den Organismus haben.

Dieser "metabolischen Programmierung" will sich das kürzlich eröffnete Josef-Ressel-Zentrum am Institut Hebammenwesen der Fachhochschule Joanneum in Graz widmen. 15 Mitarbeiter aus den Bereichen Medizin, Hebammenwesen, Pflege, Ernährung, Psychologie, Bioanalytik und Informationstechnologie arbeiten in diesem für fünf Jahre geförderten Forschungsvorhaben zusammen, um die Entstehungsmechanismen von Übergewicht und Adipositas zu ergründen. "Dabei wollen wir vor allem den Einfluss von Qualität und Menge der aufgenommenen Nahrung auf die Prägung von Übergewicht in den ersten 1000 Tagen des Kindes untersuchen" , sagt Zentrumsleiter Erwin Zinser.

Fehlende Sättigungshormone

Um die Unterschiede zwischen gestillten und mit Formula, also Fertigpräparaten, ernährten Babys zu ermitteln, sollen 80 normalgewichtige, gesunde Frauen mit ihren Säuglingen fast zwei Jahre lang in regelmäßigen Abständen im FH-eigenen Health Perception Lab und bei sich zu Hause beobachtet und untersucht werden. "Es ist bekannt, dass mit Formula ernährte Kinder ein bis zu dreifach erhöhtes Risiko haben, an Adipositas zu erkranken", so die Leiterin des Studiengangs Hebammenwesen Moenie van der Kleyn, die maßgeblich am Aufbau des neuen Zentrums mitgewirkt hat.

"Da die Formula-Nahrung eine andere Zusammensetzung hat als Muttermilch, geht man davon aus, dass eine Überernährung damit auch stärkere Auswirkungen mit sich bringt." So hat die industriell produzierte Säuglingsnahrung beispielsweise einen höheren Eiweißgehalt als Muttermilch und besitzt keine Sättigungshormone. Aber nicht nur für Babys, die mit Formula ernährt werden, steigt die Gefahr, dick zu werden. Generell erhöht die Fütterung mit der Flasche – egal, ob darin Muttermilch oder Ersatznahrung ist – dieses Risiko. "Dabei spielt ein aufgezwungenes Trinkvolumen oft eine wichtige Rolle", sagt Moenie van der Kleyn. "Häufig werden die Sättigungssignale des Säuglings von der Mutter nicht richtig wahrgenommen."

Entwicklung von Körperfett

Derzeit gibt es allerdings kaum wissenschaftliche Daten über Trinkmenge und Fütterungsverhalten bei Formula-ernährten im Vergleich zu gestillten Babys. In ihrer Studie wollen die Forscher daher Zusammenhänge zwischen Trinkvolumen und Wachstumsgeschwindigkeit des Säuglings untersuchen und mögliche Verbindungen zum Körperfettanteil sowie zum Nährstoff- und Energiegehalt der Muttermilch analysieren. Zur Messung der Körperzusammensetzung wurden zwei besondere Geräte angeschafft: ein sogenannter PeaPod für die Babys und ein BodPod für die Mütter, mit welchen der Körperfettanteil sanft und exakt über die Luftverdrängung ermittelt werden kann.

"Die Entwicklung der Körperfettmasse in den ersten beiden Lebensjahren ist deshalb so wichtig, weil Fettzellen des Fettgewebes als Hormondrüsen wirken, welche die Entwicklung des Organismus stark beeinflussen", sagt Zinser. Um Entwicklungen auf physiologischer und molekularer Ebene mitverfolgen zu können, bestimmen die Forscher mittels Biomarkern in Blut-, Harn-, Stuhl-, Speichel- und Haarproben etwa die Hormone des Energiehaushalts und der Stressbalance sowie Sättigungshormone und Entzündungsparameter. Und da die Bakterien im Darm unsere psychische und physische Gesundheit massiv beeinflussen und das Risiko für Fettleibigkeit erhöhen können, wird auch das Mikrobiom erfasst.

Ein weiteres Ziel ist die Identifizierung eindeutiger Sättigungszeichen des Babys: Dafür wird die Fütterung per Video aufgezeichnet, wobei Sensoren gleichzeitig Muskelaktivität, Atmung und Puls des Säuglings messen.

Als Wirtschaftspartner ist Milupa Österreich am Ressel-Zentrum beteiligt. "Damit haben wir neben der finanziellen Förderung auch Zugang zum Know-how des firmeneigenen Muttermilchforschungszentrums in Utrecht, das wiederum von unseren Erkenntnissen profitieren wird", so van der Kleyn. Eines aber ist unbestritten: Muttermilch ist die optimale Säuglingsnahrung, und ihre Qualität wird von industriellen Alternativen nicht erreicht. Da in manchen Fällen auf Fertignahrung aber nicht verzichtet werden kann, ist deren laufende Verbesserung extrem wichtig. (Doris Griesser, 28.4.2017)