Es war ein Eklat mit Anlauf: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ließ schon vor Wochen Sigmar Gabriel die Warnung zukommen, dass er bei einem Treffen des deutschen Außenministers mit Menschenrechtsorganisationen den Termin in seinem Regierungssitz absagen werde. Beide hielten an ihrer Position fest und wollten ihr Gesicht nicht verlieren, so dass es zur Kollision kam. Da nützte auch eine Vermittlungsaktion von Bundeskanzler Christian Kern nichts, der just vor dem geplanten Gabriel-Empfang seinen Gesprächstermin mit Netanjahu hatte. Kerns Vorschlag, Telefonat statt eines Treffens, nahm Israels Premier zwar auf, aber der deutsche Außenminister nahm den Anruf zunächst nicht an. Sowohl in Deutschland als auch in Israel erntete der jeweilige Politiker Lob für seine Standfestigkeit.
Aber dass Israels Präsident Reuven Rivlin, der wie Netanjahu dem Likud angehört und dem Premier in Abneigung verbunden ist, den SPD-Politiker nicht nur empfing, sondern auch die deutsche Demokratie demonstrativ lobte, zeigt: Der wegen diverser Korruptionsvorwürfe unter Druck geratene Netanjahu handelt auch aus innenpolitischen Gründen. Und er hat die Kritik der Europäer, die am deutlichsten von Deutschlands Vertretern formuliert wird, satt.
Der erst seit Jänner als Außenminister amtierende Gabriel wählte den direkten, eigentlich undiplomatischen Weg der Konfrontation, während Bundeskanzlerin Angela Merkel noch Termingründe vorschob, als sie die für Mai geplanten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen absagte. Dabei war es eigentlich der Ärger über das neue Siedlungsgesetz, das die deutsche Regierung zu dieser Terminstornierung bewog – Netanjahus Absage kann daher auch als Retourkutsche gewertet werden.
Bisher galt mit Blick auf die Verantwortung aus der Nazizeit in Deutschland die Maxime, dass alles, was aus Israel kommt, mitgetragen oder zumindest ertragen wird. Aber seit die Regierung Netanjahu auch mit gesetzlichen Einschränkungen gegen Friedens- und Menschenrechtsorganisationen vorgeht, die teilweise mit Mitteln aus Deutschland finanziert werden, will man in Berlin nicht mehr leisetreten – Gabriels Sache ist das ohnehin nicht.
Deutsche Vertreter wagen sich am weitesten vor, in der EU insgesamt nimmt die Kritik an Israels Positionen zu. Bundeskanzler Christian Kern entschied sich bei seinem Israel-Besuch für den typisch österreichischen Weg, sich in einen Konflikt nicht direkt einzumischen: Er forderte in seinen öffentlichen Statements weder die Zwei-Staaten-Lösung noch übte er Kritik an der israelischen Siedlungspolitik und besuchte keine NGOs. Kern pries die "Start-up-Nation Israel" und lud Netanjahu nach Wien ein.
Kern, der in Israel immer wieder auf den wachsenden Antisemitismus angesprochen wurde und als einziger ausländischer Staatsgast zum Holocaust-Gedenkakt eingeladen war, traf in Bezug auf die Vergangenheit den richtigen Ton. Er bekannte sich zu den "dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte" und erklärte, dass es Jahrzehnte gedauert habe, ehe sich Österreich seiner Rolle und Mitschuld am Holocaust gestellt habe.
Richtig sicher fühlte sich Kern, wenn es um Zukunftsprojekte im technischen Bereich ging. Aber zu "wahrer Freundschaft", die Kern mit Netanjahu beschwor, gehören auch offene Worte zu Problemen in der Gegenwart.
(Alexandra Föderl-Schmid, 26.4.2017)