Im April 1986 ereignete sich im ukrainischen Tschernobyl der bisher schwerste Reaktorunfall der Geschichte. Zum 30. Jahrestag der nuklearen Katastrophe hatte der Dokumentarfilm Tschernobyl – Eine Chronik der Zukunft des luxemburgischen Regisseurs Pol Cruchten Premiere. Nun kommt er auch in die österreichischen Kinos.

Erschreckende Direktheit ohne grauenhafte Bilder: Pol Cruchtens "Eine Chronik der Zukunft".
Foto: Filmdelights / Jerzy Palacz

Der Film basiert auf dem gleichnamigen, bereits 1995 erschienenen Roman der ukrainischen Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, die in langer Recherchearbeit Augenzeugenberichte versammelt hat.

Als kollektive Romane oder Roman-Oratorien werden ihre Werke bekannt, die sich durch einen dokumentarischen Prosastil auszeichnen. Cruchten übernimmt in seinem Film nicht nur die Zeugenaussagen, die sich als Voice-over über die Bilder legen, sondern auch den eigenen Stil der Autorin. An Originalschauplätzen gedreht, ist der Film doch weit von bloßen Interviews oder Archivmaterialien, die die Katastrophe dokumentieren sollen, entfernt. Es handelt sich vielmehr um ästhetisch komponierte Szenerien einer leergefegten Stadt, durch die sich Schauspieler als einzige Protagonisten bewegen. Sie leihen den Augenzeugen Gesicht und Stimme.

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Als roter Faden ist die Geschichte einer jungen Frau (Dinara Droukarova) angelegt, die ihren Partner beim Sterben begleitet und seinen zunehmenden Zerfall beschreibt. Auch die Strahlung selbst ist – in Form von Licht- oder Sonnenstrahlen – stets als lyrischer Schrecken präsent. Der Dokumentarfilm zeigt keine Bilder des Grauens, dieses ist nur in der Tonspur zu finden. Und genau in dieser fiktional aufgeladenen Stimmung liegen der Reiz und auch die erschreckende Direktheit des Films. (kst, 26.4.2017)