Wien – Eigentlich heißt es ja immer, dass es wirklich schlimm ist, wenn die Kinder dieselbe Musik wie die Eltern hören. Man ist ja schließlich beste Freunde. Das führt dazu, dass man heute bei Punkkonzerten in mit dem Stammpublikum alt gewordenen städtischen Undergroundhütten mitunter Eltern sieht, die sich mit ihrem Nachwuchs einen Joint und Härteres teilen. Das wiederum führt zu großer Dankbarkeit für die eigene nicht unglückliche, auf jeden Fall aber glücklose Landjugend mit Radio Dullijöh, Hias dem Urviech, dem Wunschkonzert und Peter Alexander.

Die Gorillaz alias Russell, Noodle, 2D und Murdoc als Projektionsfläche für Britpopstar Damon Albarn.
Foto: Warner

Ob Damon Albarn am Beste-Freunde-Symptom leidet, ist nicht bekannt. Nach Projekten im Segment der Weltmusiken unter besonderer Berücksichtigung Afrikas sowie einer waschechten Oper hat sich das ehemalige Mastermind der Britpop-Superstars der 1990er-Jahre namens Blur allerdings darauf besonnen, wieder einmal seinem eigentlichen Beruf nachzugehen. Ein Popstar ist oft besonders begabt, Popsongs zu schreiben – so er sie selbst komponiert. Und was ist heutzutage schon Pop, wenn nicht jene Musik, die daheim bei der halbwüchsigen Tochter aus dem Taschentelefon plärrt.

Anlässlich der Wiederbelebung seiner Comicband Gorillaz, die er seit den Nullerjahren gemeinsam mit Comiczeichner Jamie Hewlett ("Tank Girl") im losen zeitlichen Abstand betreibt, wollte Damon Albarn laut einem aktuellen Interview genau jene Musik machen, die dieser seiner Tochter gefällt. Ob das bei den insgesamt 20 Stücken des nun erscheinenden neuen Albums "Humanz", des ersten seit "Plastic Beach" und "The Fall" von 2010, wirklich geklappt hat oder vielleicht doch eher unter jene Peinlichkeiten fällt, die entstehen, wenn ein Vater mit den Kindern eine Whatsapp-Gruppe gründen will, um dort urcoole Instagrams zu snapchatten?

Gorillaz

Eines steht jedenfalls fest, Damon Albarns Tochter hört gern Black Music zwischen R 'n' B, Hip-Hop, Klingelton, Autotune und futuristischem jamaikanischem Dancehall mit Schnellfeuer-Rap und Spielhallengetöse.

Die Gorillaz waren trotz ihres mittlerweile auch schon ordentlich mit Patina versehenen Vintage-Charmes einer beinahe untergegangenen Comic-Ära immer schon Damon Albarns entschieden modernstes, strikt einer künstlerischen Zeitgenossenschaft zugewandtes Projekt. Spätestens seit dem Debüt "Gorillaz" von 2001 und dem dazugehörigen Hit "Clint Eastwood" und Nachfolgearbeiten wie "Demon Days" und "Feel Good Inc." von 2005 wurde bei den Gorillaz immer auch mit jeweils neuen Produktionsmöglichkeiten experimentiert, ohne dabei den obligaten Ohrwurm im Getriebe zu zermerschern. Letzthin produzierte Albarn das gratis an Fans vergebene "The Fall" weitgehend im Alleingang auf seinem iPad, während er sich auf US-Tour befand.

Hipstermäßig gut aufgestellt

Bei den neuen Songs, die wohl irgendwie auch eine dazugehörige Erweiterte-Realitäts-Applikation sowie eine noch in Produktion befindliche animierte TV-Serie marketingtechnisch unterstützen sollen, ist nun der Song wichtiger als dessen Schöpfer geworden. Albarn nimmt bei den meisten Stücken nur noch die Rolle des Gastgebers ein. Die Hauptparts dieser digitalen High-End-Produktion werden von Gästen bestritten, die derzeit in hipstermäßig gut aufgestellten Jugendzimmern einen Namen haben.

Gorillaz

Neben den alten Hip-Hop-Helden De La Soul oder einem Cameo der jamaikanischen Diva Grace Jones hasten, hetzen und verschnaufpausen sich auf dem deklarierten, im 3-D-Drucker-Verfahren entstandenen Partyalbum "Humanz" Jungstars und etwas ältere ewige Hoffnungen: Rapper Vince Staples, Dancehall-Artist Popcaan, Danny Brown, R-'n'-B-Sängerin Kelela, Pusha T, Zebra Katz, Benjamin Clementine, Savages-Neo-Postpunk-Heulboje Jehnny Beth oder D.R.A.M.

"Humanz" ist ein Album, für das sich Zeichner Jamie Hewlett lange weigerte, die Gorillaz nach dem geplanten Finale 2010 weiterzubetreiben. Vielleicht hatte er mit seiner ursprünglichen Meinung recht. Die Songs sind gut und slick gefertigt, bleiben aber kaum hängen. Ökonomisch gesehen ist Damon Albarn aber im Vergleich zu seinen Ambitionen als cooler Dad ziemlich vorn mit dabei. (Christian Schachinger, 27.4.2017)