Gewerkschafter Stephan Maresch kündigt weitere Protestmaßnahmen an.

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Wien – Buhrufe tönen durch die Reihen. Über tausend Lehrer empören sich darüber, dass Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) und Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) nicht an den zwölf Verhandlungsrunden zur Schulautonomie mit der Gewerkschaft teilgenommen haben. Applaus brandet auf, als Stephan Maresch, Vorsitzender der Gewerkschaft der Wiener Landeslehrer, weitere Protestmaßnahmen gegen die geplante Bildungsreform ankündigt. "Mit Zurufen von außen ist zu rechnen. Bei diesen Aktionen gilt aber die Macht der Geschlossenheit", ruft er seinen Kolleginnen und Kollegen zu.

Die Wiener Landeslehrer haben sich am Donnerstag zu einer eineinhalbstündigen Informationsveranstaltung zusammengefunden. Um vorerst den regulären Betrieb an den Schulen nicht zu stören, hat die Gewerkschaft von jedem Standort zwei Pädagogen eingeladen, teilzunehmen. Es geht um das Schulautonomiepaket. Die Regierung hat den Gesetzesentwurf Ende März vorgelegt, am Sonntag endet die Begutachtungsfrist. Bis Donnerstag sind bereits 900 Änderungsvorschläge via Website des Parlaments eingegangen.

Unterschriftenaktion

Vor allem die Lehrervertreter sind mit der Reform unzufrieden. Die Wiener Gewerkschafter haben nun eine Unterschriftenaktion gestartet, die Maresch am Donnerstag seinen Kollegen präsentierte. Gefordert wird darin unter anderem, dass die Klassenschülerhöchstzahl von 25 Schülern erhalten bleibt. Hammerschmid will, dass künftig die Schulleiter selbst entscheiden können, wie groß oder klein die Klassen sind. Für den ländlichen Raum bringe das vielleicht mehr Flexibilität, sagt Maresch zum STANDARD, für den Ballungsraum sieht er aber keine Vorteile. Schon jetzt gebe es Personalengpässe, und die Stadt Wien wachse weiter.

"Die Direktoren werden sich für größere Klassen entscheiden müssen", sagt er. Deshalb sei "Feuer am Dach", wenn das tatsächlich umgesetzt werde. Auf den Verweis, dass die Politik die Reform auch ohne Zustimmung der Gewerkschaft umsetzen kann, sagt er: "Die nächsten Wahlen kommen bestimmt. Die Eltern und Lehrer werden sich das merken."

Gewerkschaft pocht auf Freiwilligkeit

Ein weiterer Kritikpunkt sind die Cluster: Mehrere Schulen sollen sich künftig zusammenschließen und einen Clusterleiter bekommen. Unter bestimmten Bedingungen können die Behörden ohne Zustimmung der Schulen und Lehrer diese Cluster verordnen. Die Gewerkschaft pocht hier auf Freiwilligkeit. Ob sich hier das Bildungsministerium erweichen lässt, ist offen, bisher betonte Hammerschmid, an den Eckpunkten der Reform festhalten zu wollen.

Für Empörung bei den anwesenden Lehrern sorgen vor allem die Bestimmungen für die sogenannten Bereichsleiter. Sie sind dem Clusterleiter unterstellt und am Standort selbst tätig. Für ihre Aufgaben werden sie zum Beispiel für einen Cluster von bis zu 700 Schülern eine bis vier Stunden pro Woche freigestellt. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie sich das ausgehen soll", sagt eine Wiener Direktorin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, zum STANDARD. Eltern und Schüler würden ständig vor ihrer Türe stehen. Diese Aufgaben könne ein Clusterleiter, der an einer anderen Schule sitzt, gar nicht übernehmen.

"Kinder kommen gar nicht vor"

"Das ist eine Verwaltungsreform, die Kinder kommen gar nicht vor", ärgert sich eine Kollegin. Die Lehrerinnen berichten von vielen Flüchtlingskindern, die kein Wort Deutsch sprechen und für die es keine zusätzlichen Ressourcen gebe. "Ich habe eine Lehrerin im ersten Dienstjahr, die in den letzten Wochen fünf Flüchtlingskinder dazubekommen hat. Dafür bekommt sie null Unterstützung. Wenn es da keine Direktorin gibt, die ihr hilft, wie soll das funktionieren?", fragt sie sich. "Und dann heißt es, wir sind schuld, wenn die Kinder nicht lesen können", ärgert sich eine Pädagogin.

In einigen Detailpunkten wird das Bildungsministerium jedenfalls noch nachschärfen. Es soll klargestellt werden, dass die regionalen Zentren für Inklusiv- und Sonderpädagogik nicht abgeschafft werden. Eltern und Lehrer hatten die Auflösung der Zentren befürchtet. "Wir wollen lediglich, dass Experten in den neuen Bildungsdirektionen über den sonderpädagogischen Förderbedarf entscheiden", heißt es dazu aus dem Ministerium. Eine Forderung der Gewerkschaft würde damit erfüllt.

Konflikt zwischen Eltern und Schülern

Nicht nachgeben will Hammerschmid aber bei der Klassenschülerhöchstzahl. "Das ist ein Kernstück der Reform. Wir wollen innovative Konzepte. Zum Beispiel, dass zwei Klassen in eine Vorlesung zusammengefasst werden können und dann in Einzelgruppen unterrichtet werden", sagt eine Sprecherin zum STANDARD. Am 8. Mai wird wieder mit der Gewerkschaft verhandelt.

Die Debatte über das Autonomiepaket hat zu einem Konflikt innerhalb der Eltern- und Schülervertreter geführt. Bundesschulsprecher Harald Zierfuß kritisiert in einem Brief an den Elternverband deren Petition gegen das Paket, in dem es heißt, dass alle Betroffenen gegen die Reform seien. Den Schülern werde unterstellt, dass sie zu ihrer teils positiven Einstellung gegenüber der Reform gezwungen seien. Dies sei "niveaulos", schreibt Zierfuß. "Uns wird unsere Meinung keinesfalls vorgeschrieben." (Lisa Kogelnik, 27.4.2017)