Peter Meier-Hüsing, "Nazis in Tibet – Das Rätsel um die SS-Expedition Ernst Schäfer". € 25,55 / 288 Seiten. Theiss, Darmstadt 2017

Theiss

Vor fünf Jahren geriet die sogenannte Tibet-Expedition von Ernst Schäfer zum letzten Mal in die Medien: Forscher beschrieben 2012 in einem wissenschaftlichen Fachblatt eine ihrer Einschätzung nach uralte Buddha-Statue, die ein verkehrtes Hakenkreuz zierte und vor allem: aus dem sogenannten Chinga-Meteoriten gefertigt war. Angeblich war die mysteriöse Statue 1939 von Schäfer und seinen vier SS-Kameraden aus Tibet nach Deutschland mitgebracht worden, so die Autoren.

Wie sich nach bald nach der Veröffentlichung herausstellte, wurde der seltsam vollbärtige Buddha zwar tatsächlich aus dem seltenen Meteoritengestein herausgemeißelt. Doch alles andere dürfte eine jüngere Fälschung sein: Vor allem die Angabe eines Mittelsmanns, die Plastik von Schäfer erhalten zu haben, entsprach wohl nicht den Tatsachen. Denn im akribisch geführten Verzeichnis der Mitbringsel tauchte die Statue nicht auf.

Okkulte Verbindungen nach Tibet

Die Geschichte dieses "Nazi-Buddha aus dem Weltall" ist typisch für den Seriositätsgrad all jener Theorien, die in Tibet die Ursprünge des Ur-Ariertums vermuten und bis heute okkulte Verbindungen zwischen rechten Ideologien und Tibet herstellen wollen, wo das Hakenkreuz als Glückssymbol gilt. Einiges von diesem esoterischen Humbug geht auf die deutsch-russische Okkultistin Helena Blavatsky zurück.

Für die Nazis war dann aber der Wiener Esoteriker Karl Maria Wiligut bedeutender, ein bekennender Tibet-Schwärmer. Der ehemalige k.k.-Oberst mit einschlägiger Drogenkarriere wurde unter dem Pseudonym Weisthor zum direkten Einflüsterer Heinrich Himmlers, seines Zeichens Reichsführer SS und Leiter der von Pseudowissenschaftern durchsetzen Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe.

Gemeinsame und gegenläufige Interessen

Als Himmler davon hörte, dass der junge deutsche Ornithologe Ernst Schäfer nach zwei Forschungsreisen in den Himalaya seine erste Expedition nach Tibet plante, kam es zwischen den beiden zu einem Zweckbündnis – trotz ihrer ungleichen Interessen am abgelegenen "Dach der Welt".

Während Himmler in Tibet, das damals eine abgeschottete Festung und bis auf die Briten für Ausländer tabu war, nach Ur-Ariern und einer kälteresistenten Pferderasse suchen lassen wollte, konnte der Naturwissenschafter Schäfer mit dem Okkultismus in der Stiftung Ahnenerbe wenig anfangen: Er wollte vor allem als erster Deutscher nach Lhasa vordringen, den unerforschten Osten Tibets bereisen und zoologische Entdeckungen machen.

Als der damals 28-jährige Schäfer mit seinen Kollegen im April 1938 startete, waren alle fünf teilnehmenden Forscher zwar zu SS-Offizieren befördert worden, und die gesamte Expedition stand unter der Schirmherrschaft Himmlers. Doch auch aufgrund der inhaltlichen Spannungen zwischen den Vorstellungen des "Ahnenerbes" und jenen von Schäfer holte sich dieser die Finanzierung von anderer Stelle.

Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik

Was dann folgte, war keine gut koordinierte SS-Kommandoaktion oder ein esoterischer Trip zu den Geheimnissen Tibets, wie in späteren Mystifizierungen von Neonazi-Esoterikern immer wieder suggeriert wurde. Die Expedition war eher eine improvisierte Forschungsreise und erfolgreiche Trophäenjagd im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Ideologie.

Das ist jedenfalls der Eindruck, den der deutsche Religionswissenschafter und Journalist Peter Meier-Hüsing in seinem neuen Buch "Nazis in Tibet" vermittelt, das die Forschungsreise auf Basis vieler bekannter und einiger unbekannter Quellen rekonstruiert. Mit dem Untertitel "Das Rätsel um die SS-Expedition Ernst Schäfer" tappt dieses lesenswerte Werk freilich selbst in die Mythenfalle: Denn wie Meier-Hüsing selbst zeigt, wurde allenfalls später so Manches in den SS-Trip hineingeheimnisst oder beharrlich verschwiegen.

Von Beginn an lief die Sache nicht ganz rund: Schäfer hatte keine Einreisepapiere für Britisch-Indien. Dennoch schafften es die argwöhnisch beäugten Forschern zunächst nach Sikkim, und dank der Überredungskunst des Zoologen erhielten sie sich Ende 1938 nach langem Warten an der Grenze auch Zutritt nach Tibet, was den Briten gar nicht gefiel. Das "Visum" wurde eigentlich nur für 14 Tage erteilt, das Erlegen von Tieren oder Untersuchungen wurden untersagt. Doch daran hielten sich die deutschen Forscher nicht, die sich auch durch zahllose Geschenke und einige Trinkgelage die Gunst der tibetischen Beamtenschaft sicherten.

Treffen unter Hakenkreuz- und SS-Wimpeln: Die Expeditionsteilnehmer (in der Mitte Ernst Schäfer) mit tibetischen Beamten.
Foto: Bundesarchiv/Ernst Krause

Erfolgreiches Beutemachen

Meier-Hüsing zeichnet im Folgenden die abenteuerliche Tibet-Rundreise der fünf Deutschen nach, die sehr viel länger in der Verbotenen Stadt blieben und dann auch noch den Osten Tibet bereisen konnten. Dabei machten sie überaus erfolgreich Beute: unter anderem brachten sie 400 Schädel und Felle von Säugetieren, 3000 Vogelbälge und 2000 Eier verschiedener Vogelarten, mehrere Tausend Schmetterlinge und Heuschrecken, 2000 ethnologische Objekte, Mineralien, topografische Karten, 7000 Samenproben von Wildblumen und Getreidesorten sowie 40.000 Schwarzweißfotos zurück nach Deutschland.

Um nicht durch Schüsse für Aufsehen zu sorgen, erlegte Schäfer viele der Tiere mit einem eigens angefertigten Katapult. Ärger gab es freilich immer wieder bei den ethnologischen Dreharbeiten – etwa als die Deutschen sogenannte Himmelsbestattungen filmten, bei der Leichen an die Geier verfüttert werden. Diese rituelle Bestattung ist auch ein Hauptteil des Films "Geheimnis Tibet", der 1943 in die deutschen Kinos kam und gleich mehrfach auf YouTube vertreten ist.

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Gewünschte rassistische Messergebnisse

Ideologisch hielten die Forscher über Kurzwellenempfänger Kontakt mit Nazi-Deutschland – entgegen späterer Aussagen, damals völlig abgeschlossen gewesen zu sein. Und auch wenn Schäfer mit der Ahnenerbe-Esoterik wenig am Hut hatte, so gehörte seinem Quintett doch auch der berüchtigte Anthropologie Bruno Beger an. Der hatte mit dem Ur-Arier-Mythos keine Probleme und kam nach Vermessung von rund 300 Tibetern, Kopf- und Handabformungen ideologiekonform zum Schluss, dass sich ein "arisches Rasseelement" vor allem noch im Adel zeige, was die Tibeter zu einer Art Partnervolk der Deutschen machen würde.

Ideologiekonformes Forschen: Bruno Beger vermisst eine Tibeterin.
Foto: Bundesarchiv/Ernst Schäfer

Drei Wochen vor Kriegsausbruch endete die Expedition dieser ,,Wikinger der Wissenschaft", wie es danach in der NS-Propaganda heißen sollte. Himmler und das Ahnenerbe vereinnahmten die Expedition, und Schäfer wurde im August 1939 mit dem SS-Totenkopfring und dem Ehrendegen ausgezeichnet.

Zwar kamen weitere geplante Expeditionen aufgrund des Kriegsausbruchs nicht zustande, Schäfer erhielt aber 1943 die Leitung des "Sven Hedin-Reichsinstituts für Innerasien und Expeditionen", das im gleichen Jahr von München ins Schloss Mittersill in Salzburg übersiedelte. Das war aber nicht der einzige Österreich-Bezug: Im steirischen Schloss Lannach, damals Außenstelle von Mittersill und heute im Besitz der Familie Bartenstein, forschten NS-Genetiker mithilfe von Zwangsarbeiterinnen an den mitgebrachten Getreidesamen aus Tibet.

Involvierung in NS-Verbrechen

1943 geschah jenes Verbrechen, das nachträglich ein besonderes Licht auf Schäfer und vor allem Beger warf: Der Anthropologe selektierte im Vernichtungslager Auschwitz 115 hauptsächlich jüdische Häftlinge. 86 von ihnen wurden im elsässischen KZ Natzweiler-Struthof ermordet, um für die Skelettsammlung des Anatomen August Hirt präpariert zu werden. Beger hatte dabei allem Anschein nach aber auch "mongolische Typen" ausgesondert, wozu ihm Institutsleiter Schäfer schriftlich gratulierte.

Dennoch wurde der Zoologe Schäfer nach 1945 ohne Gefängnisstrafen entnazifiziert, erhielt eine Professur in Venezuela und kehrte 1960 unbehelligt nach Deutschland zurück. Beger stand erst 1970 wegen Beihilfe zum 86-fachen Massenmord vor Gericht, wurde 1974 aber bloß zur Mindeststrafe von drei Jahren verurteilt. Er war später Duzfreund des österreichischen Tibet-Reisenden Heinrich Harrer, der ansonsten nichts mit der Tibet-Expedition Ernst Schäfer zu tun hatte, und traf auch den Dalai Lama.

Nachwirkungen in Österreich

In Österreich hatte die Tibet-Expedition zumindest zwei weitere längere Nachwehen : Bereits 1943 wurde im Haus der Natur in Salzburg, das der Zoologe und SS-Sturmbannführerkollege Eduard Paul Tratz leitete, eine Tibet-Schau eröffnet, die auf den Mitbringseln von Schäfer und Kollegen basierte und die in Auszügen jahrzehntelang ohne jeden Begleitkommentar im Naturkundemuseum zu sehen war. Erst mehr als 50 Jahre danach wurden die nötigen Informationen nachgetragen.

Und auch der rechte Tibet-Okkultismus der Nazis, der wichtige Wurzeln in Wien hatte, ging hier nach 1945 munter weiter, wie Meier-Hüsing am Ende seines gelungenen Buchs erwähnt: Protagonisten der esoterischen Neonazi-Szene trafen sich in den 1950er Jahren in einem Atelier in Wien-Wieden. Zu diesem Kreis zählte neben Ex-SS-Mann Rudolf Mund auch ein gewisser Wilhelm Landig, der eine 1800-seitige Thule-Trilogie verfasste, die den Tibet-Mythos weiterspinnt. Diese drei Bücher laufen unter anderem darauf hinaus, dass die esoterische Ahnenerbe-SS weiterexistiert: nämlich in unterirdischen Basen in der Antarktis. (tasch, 30.4.2017)