Mark Selby hochkonzentriert bei der Arbeit.

Foto: imago/Xinhua

Ding Junhui sieht derweil entspannt zu.

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Sheffield – Rund um das Crucible Theatre in Sheffield ist alles auf Snooker zugeschnitten: Selbst die beiden Hecken neben der Eingangstür sind so kunstvoll zurechtgestutzt, dass sie das Bild eines sich zum Stoß neigenden Spielers zeigen. Die Gesichter aktueller und vergangener Größen des Spiels werden auf den umliegenden Plätzen überlebensgroß auf Werbetafeln präsentiert. Informative Schilder weisen den Flaneur nicht auf konventionelle Schönheiten der Stadt, sondern auf Höhepunkte der Snooker-Geschichte hin.

Gegenüber dem Theater, das seit vierzig Jahren einmal jährlich zum Zentrum der Snooker-Welt mutiert, befindet sich eine Public-Viewing-Zone mit großer Leinwand. An diesem Donnerstag ist sie verwaist, was aber kaum an mangelndem Interesse liegen dürfte: Es regnet ganz einfach in Strömen. Den Snooker-Aficionados im geräumigen Wintergarten auf der anderen Seite des Platzes kann das allerdings nichts anhaben. Jeder, der möchte, kann sich hier auf einem Snookertisch im Black Ball Game messen und beweisen, dass er die Schwarze ebenso zwingend zu lochen versteht wie Dennis Taylor einen Steinwurf entfernt im legendären WM-Finale 1985 gegen Steve Davis. Dass Snooker ein Volkssport sein kann, mag in Kontinentaleuropa seltsam anmuten. Hier in Sheffield wirkt es wie eine Selbstverständlichkeit.

Boxen im Theater

Zu Beginn der ersten Halbfinalsession zwischen John Higgins und Barry Hawkins herrscht im Crucible eine Atmosphäre, die das Gefühl einer Theaterpremiere mit der Vorfreude auf einen Boxkampf vereint. Wunderbar sauber und aufgeräumt sieht der riesige, grün bespannte Tisch mit seinen glänzenden bunten Bällen aus. In Kürze wird darauf ein geometrischer Kampf der Extraklasse ausbrechen. Für die Spieler ist der Tisch natürlich in erster Linie Arbeitsgerät. Aber was für eines.

Noch einmal werden die Zuschauer vor Beginn der Partie ermahnt, ihre Mobiltelefone auf lautlos zu schalten, in jedem Match sei es bisher zu Störungen gekommen. Eine junge Journalistin aus Polen, die für einen Radiosender berichtet und außerdem dabei ist, eine steile Karriere als Nachwuchsschiedsrichterin hinzulegen, kennt den Grund für die Handyplage: Betfred, Wettanbieter und Hauptsponsor der WM, legt Wert darauf, dass das Publikum auch während der Partie per Smartphone Wetten platzieren kann. Störsender sind daher ausgeschlossen, Ermahnungen des Moderators die einzige Handhabe.

Die große Stille

Nachdem Hawkins und Higgins mit frenetischem Applaus empfangen wurden, ist es im Moment des ersten Stoßes plötzlich mucksmäuschenstill. Die immerhin mehr als tausend Zuschauer im Crucible Theatre sind so leise, dass man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören könnte. Abgesehen vom Klacken der Bälle nach dem Kontakt und der sonoren Stimme des Schiedsrichters, der das aktuelle Break ansagt, ist es hier womöglich leiser als bei einem Schachturnier.

Eine junge Dame, die irgendwann während des zweiten Frames zur Toilette eilen möchte, erstarrt konsequenterweise zur Salzsäure, als sie befürchtet, John Higgins, der sich in diesem Moment in ihre Richtung wendet, bei der Konzentration auf den nächsten Stoß zu stören. "You can go now, if you want", sagt Higgins, Gentleman, der er natürlich ist, und erntet damit Sympathie und Lacher im Publikum.

Higgins legt vor, Ding ebenso

Es dauert gar nicht lange, da hat John Higgins auch die ersten vier Frames dieses Halbfinales abgeerntet. Barry Hawkins wirkt, als wäre er noch nicht wirklich im Match, vergibt mehrere relativ simple Bälle und zeigt, in seinem Sessel schmorend, sein knautschigstes Gesicht. Ein paar Mal wird die Turnierruhe von Anfeuerungen durchbrochen: Wenn Higgins ein Stoß misslingt, will das Publikum Hawkins mit lauten "Barry"-Rufen zu seinem ersten hohen Break peitschen. Aber vorerst kann "The Hawk" damit nicht dienen.

Erst nach dem Midsession Interval ändert sich das Bild. Jetzt ist es Higgins, der auf einmal ein wenig verunsichert wirkt. Hawkins holt auf, am Ende gelingt ihm sogar noch das versöhnliche 3:5. Beim im Halbfinale angewandten Best-of-33-Frames-Modus ein Rückstand, der sich in der Tat verkraften lässt.

In diesem Sinne muss sich auch Mark Selby bis jetzt noch keine großen Sorgen machen. Seine Nachmittagssession gegen O'Sullivan-Bezwinger Ding Junhui gestaltet sich rumpeliger, als der Weltmeister es wahrscheinlich von sich selbst erwartet hat. Erstmals in diesem Turnier ist nicht die Präzisionsmaschine Selby zu sehen, sondern ein Mensch mit Queue und zwei Händen, dem hin und wieder ein Ball saftig danebengeht. Ding hingegen setzt erst einmal dort fort, wo er gegen O'Sullivan aufgehört hat. Das Ergebnis: Auch hier steht es 5:3, allerdings für den Chinesen, was durchaus als kleine Überraschung gewertet werden darf.

Spielplan

Am Freitag und Samstag werden die Halbfinalmatches jeweils ab 11 Uhr MEZ fortgesetzt. Samstagabend respektive -nacht stehen dann die beiden Finalisten fest, die sich am Sonntag und Montag in insgesamt vier Sessions das letzte Gefecht um die Snooker-Krone 2017 liefern werden. (Anatol Vitouch aus Sheffield, 28.4.2017)