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Zana Ramadani: "Versuche, mich zu vereinnahmen, gab es schon immer. Sei es von der CDU oder von den Grünen ..."

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Zana Ramadani, "Die verschleierte Gefahr". € 18,90 / 264 Seiten. Europa-Verlag, 2017

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Der Vater kommt gut weg, die Mutter weniger. Muslimische Mütter seien die "größten Unterdrücker der Töchter", schreibt Zana Ramadani in ihrem ersten Buch, in dem sie ihre eigene Familiengeschichte als Blaupause nimmt für eine leidenschaftliche Abrechnung mit der Religion ihrer Eltern. Die Feministin Ramadani geht vor allem mit den Frauen hart ins Gericht: Nur durch deren Mittäterschaft ließe sich ein patriarchales System aufrechterhalten, dessen Nutznießer ausschließlich Männer seien.

Ramadani wurde in Skopje, Mazedonien, als Tochter albanischer Eltern geboren und kam im Alter von sieben Jahren nach Deutschland. In Wilden, einem kleinen Dorf in Westfalen, ließ sich die Familie nieder. Vater, Mutter, Tochter lernten bald Deutsch und fanden mühelos Anschluss an die Dorfgemeinschaft. Als Jugendliche trat Ramadani der CDU bei, die in Wilden das Sagen hatte. Die Familie galt als mustergültig integriert.

Zum Bruch mit der Mutter kam es, als Ramadani sich von den strengen Vorschriften ihrer Religion löste und ihr Recht einforderte, das Leben einer jungen westlichen Frau zu führen. Als 18-Jährige flüchtete sie in ein Frauenhaus. Später wurde Ramadani Mitbegründerin von Femen Deutschland: Barbusig protestierte sie gegen Prostitution, Menschenhandel und die Einladung islamistischer Prediger zu Podiumsdiskussionen. Inzwischen hat sich die werdende Mutter von der Gruppe losgesagt, sie ist weiterhin Mitglied der CDU.

STANDARD: Hat Ihre Mutter das Buch gelesen?

Ramadani: Nein, hat sie nicht. Aber meine Mutter weiß, dass es dieses Buch gibt. Und sie weiß auch, was ich darin über sie geschrieben habe.

STANDARD: Sie schildern darin eine Episode aus Ihrer Heimat Mazedonien, als Sie noch ein kleines Mädchen waren, das sich zu erwachsenen Männern setzen wollte. Ihre Mutter zerrte Sie weg und beschimpfte Sie als "Hure". Viele Jahre später, in Deutschland, wollte sie Sie unter Zwang zurück in die alte Heimat verbringen lassen – möglicherweise, um Sie mit einem frommen Muslim zu verheiraten.

Ramadani: Mir ging es in dem Buch nicht darum, meine eigenen Traumata zu verarbeiten. Davon habe ich mich schon vor vielen Jahren gelöst. Diese Geschichten aus meiner Biografie sollen darstellen, was es heißt, als Mädchen in einem islamischen Kulturkreis aufzuwachsen. So kann ich es besser erklären. Ich komme keineswegs aus einer erzkonservativen Familie: Mein Vater ist Atheist, hochsensibel, ein verrückter Künstlertyp, der dem Bild des muslimischen Machos überhaupt nicht entspricht. Ich habe irgendwann verstanden, dass meine Mutter sich selbst viele Freiheiten genommen hatte. An meinem Vater lag es nicht, sie hatte denselben Unterdrückungsmechanismus verinnerlicht wie ihre Eltern oder viele andere Familien. Davon konnte sie sich nicht emanzipieren.

STANDARD: Dennoch war es Ihr Vater, der Sie als junge Frau grün und blau geschlagen hat, weil Sie mit Ihrem westlichen Lebensstil gegen die sittlichen Normen des Islam verstoßen hätten.

Ramadani: Das war nur ein einziges Mal. Mein Vater konnte sich gegen die Dominanz meiner Mutter, ihrer religiösen Werte und Moralvorstellungen nicht durchsetzen. Das zeigt mir, dass Männer nicht das alleinige Übel dieser Welt sind. Auch sie leiden unter diesen Strukturen und sind zum Teil selbst zu schwach, sich daraus zu befreien. Wenn die Community stark ist, werden alle auf irgendeine Art und Weise zu Tätern und Opfern gleichermaßen.

STANDARD: Welchen Grund haben Frauen, ein System zu stärken, das ihre und die Würde ihrer Töchter verletzt?

Ramadani: Sie haben es so stark verinnerlicht, dass sie es als richtig empfinden. So wie eine Puffmutter, die Zwangsprostituierte beschäftigt. Oder denken Sie an Saudi-Arabien. Die Frauen bei der Sittenpolizei kontrollieren viel aggressiver als die Männer – obwohl gerade sie wissen müssten, wie sich das für die Betroffenen anfühlt. Frauen sind keine besseren Menschen, sie sind allerdings besser darin, Dinge unter den Tisch zu kehren.

STANDARD: Vor der Beantwortung der Frage nach der Mittäterschaft der Frauen am patriarchalen System drücken sich viele Feministinnen.

Ramadani: Ich erlebe das immer wieder. Vor allem die jüngere Generation von Feministinnen hält den weißen Mann für das einzige Übel. In meiner Welt sieht das nicht so aus, da hat mich wohl die Geschichte meines Vaters sensibilisiert. Männer sind die Nutznießer. Aber wenn Frauen das nicht unterstützen würden, könnten sie es ändern. Wir hätten die Macht dazu, immerhin sind wir die Hälfte der Menschheit.

STANDARD: Wie stehen Sie heute zu Ihrer Mutter?

Ramadani: Das Verhältnis ist einmal besser, einmal schlechter. Es läuft alles sehr neutral ab, sie weiß nicht viel von meinem Leben. Sie sieht mich auf Facebook und hat sogar einen Twitter-Account eingerichtet, damit sie immer über mich auf dem Laufenden ist. Ich bin ihr schon lange nicht mehr böse, seit ich verstanden habe, dass sie mir nie Leid zufügen wollte. Sie bekam Druck von ihrer Familie, so in der Art: "Lass Zana nicht so werden wie die Deutschen, die Sex haben und sich prostituieren."

STANDARD: Ist sie inzwischen ein wenig stolz auf Sie?

Ramadani: Ich glaube, sie wäre glücklicher, wenn ich auf eine andere Art und Weise berühmt geworden wäre. Aber sie hält sich zurück – wohl aus Angst, dass ich mich komplett zurückziehe und sie gar nichts mehr von mir hat.

STANDARD: In Ihrem Buch rechnen Sie mit der These ab, dass nicht der Islam, sondern bloß der Islamismus das Problem sei. Sie widersprechen: Der gelebte Islam lasse sich nicht vom grassierenden Terror unterscheiden. So etwas könnte auch von der Pegida, der AfD oder der FPÖ kommen. Wie gehen Sie mit deren Vereinnahmungsversuchen um?

Ramadani: Wissen Sie, Versuche, mich zu vereinnahmen, gab es schon immer. Sei es von der CDU oder von den Grünen, weil ich mich als Veganerin für Tierschutz engagiere. Ich bediene keine Parteien, Störungen oder gar einzelne Personen.

STANDARD: Die Vereinnahmung durch die CDU, deren Mitglied Sie sind, und jene durch die extreme Rechte sind für Sie gleichwertig?

Ramadani: Nein, auf keinen Fall! Für die CDU, die Grünen oder die SPD würde ich auf ein Podium steigen. Bei AfD oder Pegida würde ich mich niemals zeigen, das widerspricht komplett meinen Wertvorstellungen. Ich bediene keinen von denen, auch wenn sie mich zitieren oder Artikel von mir verteilen.

STANDARD: Auf Youtube kursiert ein Video von einem Vortrag von Ihnen, den Sie in Wien gehalten haben – auf Einladung des Akademikerbundes, der ein extrem rechtes Weltbild vertritt.

Ramadani: Ich habe während der Veranstaltung einige Ansichten, die definitiv nicht meine sind, gehört und habe mich auch dagegengestellt. Ich hatte diesen Verein vorher nicht gekannt. Ich hatte gewusst, dass er konservativ ist – aber das ist ja nicht rechts. In meinem Buch und bei meiner Arbeit distanziere ich mich klar und deutlich von rechter Art der Politik.

STANDARD: In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit dem mangelnden Respekt muslimischer Männer vor den Deutschen. Sie schreiben: "Die einzigen Deutschen, die ein muslimischer Mann respektiert, sind Neonazis." Was meinen Sie damit?

Ramadani: Diese rechten Gruppierungen von Männern haben noch eine archaische Dominanz, die sie leben und äußern. Die meisten anderen Männer in der westlichen Welt haben dieses Gockelgehabe abgelegt, weil es unnötig ist und man damit nicht mehr weiterkommt. Aber in einem hochpatriarchalischen Kulturkreis verschafft man sich dadurch Respekt. Ein Islamist hat vor einem gebildeten Deutschen keinen Respekt, weil er ihn für ein Weichei hält, das sich von den Weibern auf der Nase herumtanzen lässt. Einen Neonazi oder Hooligan respektiert er hingegen, obwohl er ihn eigentlich hasst.

STANDARD: Gestehen Sie dem Islam eigentlich Reformierbarkeit zu?

Ramadani: Dem Islam nicht, den Muslimen schon. Das Christentum wurde auch erst reformiert, nachdem sich die Gläubigen von den negativen Religionsinhalten getrennt hatten. Dazu mussten sie im Neuen Testament nichts schwärzen. Auch der Koran wird nie umgeschrieben werden. Ich kenne viele Muslime, die sich selbst als tiefgläubig bezeichnen und sich trotzdem von allem gelöst haben, was nichts mit einem spirituellen Glauben zu tun hat. (Josef Bichler, Wolfgang Rössler, Album, 30.4.2017)

Zana Ramadani reagiert auf Facebook mit weiteren Mitstreiterinnen auf die kürzliche Aussage Alexander van der Bellens über das Kopftuch.