Der große irre Gift-Yogi aus Las Vegas: Gonjasufi.

Foto: David Visnjic/donaufestival

Krems – Mit über 50 Jahren Mucke auf dem Buckel, schlechten Hotels und miesem Essen (unter spezieller Berücksichtigung der am Boden liegenden Gastronomie in Krems) wird man zwar irgendwann vielleicht trotzdem kurz gelassener. Der deutsche Saxofon- und Free-Jazz-Altmeister Peter Brötzmann geht aber nicht nur während seines gemeinsamen Konzerts mit der US-Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh gewohnt von null auf hundert überblasene Töne pro 15 Sekunden.

Während sich das Publikum beim Donaufestival am Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein in der komplett abgedunkelten Minoritenkirche gegenseitig im wahrsten Sinn auf Hände und Füße steigt, grummelt der alles andere als altersmilde Alte nach dem Konzert darüber, dass er das Publikum, gegen das er seit einem halben Jahrhundert vorrückt, auch gerne sehen würde, nachdem er auf dem Weg zur Bühne Blinde Kuh spielen musste.

Es fallen dabei Worte, die der Free Jazz gut zu vertonen weiß. Falls irgendjemand einmal ein paar Ikea-Lampen für die Seitenschiffe kaufen würde, damit man nicht herumtappt wie in einem Darkroom für Liebhaber strenger Musik, wäre die altehrwürdige Minoritenkirche ein toller, beeindruckender Veranstaltungsort. Derzeit kriegt man dort rein atmosphärisch Lebensmüdigkeit.

Rock mit Jazz-Matura

Später in der Wellblechbude auf dem Kremser Messegelände führt das US-Quartett Horse Lords in Rockbestzung mit Hupe nachdrücklich vor, dass ein akademischer Zugang zum Rock dank einer Jazz-Matura und mathematischer Kenntnisse auf Universitätsniveau nichts Schlechtes bedeuten muss. Okay, das Saxophon honkt immer wieder störend dazwischen. Die präzise wie eine Stanzmaschine im Zeichen des variationsreichen Minimal Rock ablaufenden Instrumentalstücke erinnern aber an eine Mischung aus Talking Heads in ihrer guten Phase zwischen "Fear of Music" und "Remain in Light". Die deutschen Robotromantiker Kraftwerk werden mit zwei Männern an den polyrhythmisch auch mit Kuhglocke versehenen Drums nach Afrika geschickt.

In zwei Jahren werden die vier jungen Herren im adretten Harvard-Outfit eigene Kanzleien eröffnen oder die Firma der Familie übernehmen, heute klingt so ein bezahlter musikalischer Europatrip allerdings noch wirklich toll.

Danach ist bei Gonjasufi das exakte Gegenteil von Disziplin angesagt. Zwar hält der große irre Gift-Yogi aus Las Vegas zwischen knarzenden Elektrobeats, Hip-Hop und diversen musikalischen Spielarten, zu denen man die Hände in die Luft werfen kann, als ob man sich um nichts scheren würde, die Zügel im Rahmen des Viervierteltakts halbwegs unter Kontrolle.

Unterhaltsame Freakshow

Als über die Bühne zischender und hoppelnder Duracell-Hase im forcierten Tempobereich findet er im Saal mit seiner unterhaltsamen Freakshow über den Weltuntergang, das Leben an sich, aber auch den Weltuntergang und die Apokalypse allerdings eine gemähte Wiese vor. Trotz katastrophaler Tonabmischung völlig ohne Bässe: tolle Show. Allerdings ist Yoga angesichts dieses verstrahlten Meisters eine bezüglich ihrer Sinnhaftigkeit reichlich diskussionswürdige Freizeitbeschäftigung.

Die Dröhnrocker Gnod kommen aus dem bei Manchester gelegenen Reihenhausstädtchen Salford und müssen sich ihre Herkunft mit einigermaßen relevanteren Vorgängern wie Joy Division und The Fall teilen. Ihr aktuelles Album trägt den bescheidenen Titel "Just Say No to the Psycho Right-Wing Capitalist Fascist Industrial Death Machine". Mit dem kann man heutzutage vielleicht noch Tante Erna hinter ihrer "Kronen Zeitung" hervorlocken.

Das Breitwand-Noiserock-Brett mit geiferndem Gesang, das hier (endlich einmal bei diesem Festival) bei Hosenflatterlautstärke geboten wird, sorgt, so wie früher, trotzdem für Begeisterung unter der aus Wien angereisten Weltjugend.

Danach wird es erst richtig hart. Die norwegischen Black-Metal-Legenden Ulver haben über Kreuzwegstationen (das Kreuz ist selbstverständlich auf den Kopf gestellt!) wie Pink Floyd, Eela Craig und unheilige Oratorien für den Totengott, der sagt, dass es ihn nicht gibt, derzeit zum Synthiepop gefunden. Zum Entsetzen der nicht unbedingt nibelungentreuen Fans hält man derzeit bei schwermütigen Balladen zwischen Achtziger-Jahre-Krachern wie Alphavilles "Forever Young" oder Chris Normans und Dieter Bohlens "Midnight Lady". Ausgeführt von vollbärtigen Antichristen mit kulturellem Hägar-der-Schreckliche-Background hat das natürlich etwas. Es ist halt nicht sehr gesund. (Christian Schachinger, 1.5.2017)