Mark Selby, der "Jester from Leicester", ...

Foto: APA/AFP/PAUL ELLIS

... mit dem Ojekt der Begierde.

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Sheffield – An diesem Montagnachmittag, dem 17. und letzten Tag der Snooker-WM, führt nicht mehr der Mark Selby vom Vortag das Queue. Und das sind schlechte Nachrichten für John Higgins, der in der zweiten Session dieses Finales gegen einen neben der Spur agierenden Selby zwischendurch bereits mit 10:4 in Führung gelegen war. Vom 7:10, dem Endergebnis der zweiten Session, aus startet der Weltmeister in Session drei nämlich eine Aufholjagd, die sich gewaschen hat.

Selby dreht auf

Während die ersten paar Frames dieses zweiten Finaltages immerhin noch umkämpft sind, nimmt Selby bald so viel Fahrt auf, dass John Higgins unfreiwillig viel Zeit im Sitzen verbringen muss. Zwar zieht der Weltmeister nicht die ganz hohen Breaks durch, das Spiel ist zumeist von langen Taktikduellen geprägt. Selbys Serie fällt dadurch aber nicht weniger beeindruckend aus: Von den ersten elf Frames des Tages gewinnt er nicht weniger als neun, dreht seinen Rückstand von drei Frames damit in einen 16:12-Vorsprung und sieht zu diesem Zeitpunkt wie der sichere und verdiente Sieger aus.

Aber: Das Schicksal und John Higgins beschließen gemeinsam, es dem Weltmeister in dieser allerletzten Session doch nicht ganz so einfach zu machen. Der 41-jährige Higgins, der am zweiten Finaltag bis zu diesem Zeitpunkt kaum Land gesehen hat, rappelt sich noch einmal auf. In an seinen Altersgenossen, Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko, gemahnender Manier schlägt "The Wizard of Wishaw" unerwartet hart zurück, holt buchstäblich aus dem Nichts drei Frames in Folge und verkürzt damit auf 15:16.

Strittige Entscheidung

Besonders dramatisch geht es im Zuge dieser Aufholjagd im 31. Frame zu. Da will Mark Selby nämlich seinen Gegner snookern, indem er den Spielball möglichst knapp hinter Schwarz verbirgt. Der Plan geht im Prinzip auf, die Frage ist nur: Hat Selby den schwarzen Ball regelkonform mit dem Spielball berührt oder diesen nur ohne Kontakt angenähert und damit ein Foul begangen?

Schiedsrichter Jan Verhaas entscheidet zunächst auf Foul, wird nach Reklamation Selbys aber von seinem Assistenten am Monitor darauf hingewiesen, dass ein Kontakt stattgefunden habe. Gerade als Verhaas seine Entscheidung revidieren will, korrigiert der zweite Schiedsrichter sein Urteil: Der Kontakt sei bei genauerer Betrachtung des Videomaterials nicht mehr eindeutig zu erkennen. So entscheidet Verhaas seinen eigenen Augen trauend kurzerhand doch noch auf Foul von Mark Selby! Der hat damit an seines Gegners statt sich selber gesnookert – Selby verliert den Frame in der Folge und muss John Higgins noch einmal auf Tuchfühlung herankommen lassen.

Ein echter Champion

Umso erstaunlicher, wie es dem Weltmeister danach gelingt, der umstrittenen Entscheidung und seinem wiedererstarkten Kontrahenten zum Trotz die Ruhe zu bewahren und ein letztes Mal in diesem Turnier sein bestes Snooker abzurufen. Selby bleibt spielerisch aktiv, geht im richtigen Moment Risiken ein und macht mit hervorragendem Lochspiel die Big Points zum 17. und 18. Framegewinn.

Damit fährt der aus bescheidenen Verhältnissen stammende 33-jährige Engländer aus Leicester seinen dritten WM-Titel innerhalb von nur vier Jahren ein und muss nun endgültig zu den ganz Großen des Snooker-Sports gezählt werden. Zumal ein Ende seiner Dominanz vorerst nicht in Sicht ist: Selbst Selbys schrittweise Annäherung an Stephen Hendrys Rekord von sieben WM-Titeln wird angesichts seines noch zarten Alters nicht mehr ausgeschlossen.

Stolzer Higgins

Und der Zweitplatzierte? Der nimmt sich auf dem Weg zur Pressekonferenz erst einmal ein Bier aus dem Kühlschrank, bestreitet jede Enttäuschung und gibt an, vor allem stolz zu sein, dem Champion einen guten Kampf geliefert zu haben. "Mark Selby ist der härteste Gegner, den ich je hatte." Der vierfache Ex- und frischgebackene Vizeweltmeister John Higgins aus Schottland – er muss es wissen. (Anatol Vitouch aus Sheffield, 2.5.2017)