Dan Shechtmans Arbeiten zu Quasikristallen waren zehn Jahre lang von einem großen Teil der Fachwelt abgelehnt worden. Schließlich sollte er aber 2011 den Chemienobelpreis für die Entdeckung bekommen.

Foto: Corn

Wien – "Quasiwissenschafter" ist keine Bezeichnung, die man als seriöser Forschender angehängt bekommen möchte. Besonders nicht von einer unumstrittenen Größe der Naturwissenschaften, dem Chemie- und Friedensnobelpreisträger Linus Pauling. Dan Shechtman ist mit seiner überraschenden Entdeckung quasiperiodischer Kristalle, einer bis in die Achtzigerjahre unbekannten Art der Materie, nicht darum herumgekommen. Nach seinem fruchtlosen Antritt zu den israelischen Präsidentschaftswahlen 2014 wurde der emeritierte Professor der Materialwissenschaften entsprechend "Quasipräsident" genannt.

Von Beginn an erfolgreich war jedoch seine Vorlesung am Technion in Haifa über Unternehmer im technologischen Bereich, mit der er seinen Beitrag zur "Start-up-Nation" Israel leistete. Heute referiert er in aller Welt über Unternehmensgründung und wissenschaftliche Bildung – so auch kürzlich in Wien.

STANDARD: Ihre Geschichte liest sich wie ein grundlegendes Beispiel dafür, wie ein Wissenschafter die Welt verändert, aber lange seine kontroversen Erkenntnisse verteidigen muss. Wie sind Sie damit umgegangen?

Shechtman: Als Erstes muss ich eines klarstellen: Anfangs war ich tatsächlich allein. Nachdem ich und meine Kollegen aber die ersten Forschungsarbeiten dazu veröffentlicht hatten, schlossen sich auch viele Wissenschafter aus der ganzen Welt unseren Annahmen an. Wir waren eine schnell anwachsende Gruppe. Nichtsdestoweniger dauerte die Ablehnung von einem großen Teil der Fachwelt zehn Jahre. Das war schon bedeutsam, besonders weil der Hauptgegner auch der größte Chemiker des 20. Jahrhunderts war, Professor Linus Pauling.

STANDARD: Wie standen Sie zu Pauling?

Shechtman: Ich teile das gewissermaßen in drei Episoden ein. Am Anfang war es mir unangenehm, dass dieser wichtige Mann mich – sogar persönlich! – und mein ganzes Konzept angreift. Und er war ein großartiger Redner, wie ein Politiker. Später, in der zweiten Phase, habe ich sogar begonnen, es zu mögen. Die Leute haben sich gefragt: Was geht da vor sich? Pauling und Shechtman streiten miteinander! Das war irgendwie aufregend. Und zum Schluss hatte ich Mitleid mit ihm. Die International Union of Crystallography änderte die Definition eines Kristalls basierend auf meiner Entdeckung. Alle Fachexperten waren sich also einig. Er blieb stur.

STANDARD: Was ist zu berücksichtigen, wenn man eine solche Opposition gegen sich hat?

Shechtman: Regel Nummer eins ist: Sei professionell. Kämpfe nicht für die Anerkennung von etwas, von dem du nicht sicher bist, dass es stimmt. Wenn du ein Experte auf einem Gebiet bist, kannst du den Leuten sagen: Wenn ihr nicht mit mir konform geht, wiederholt mein Experiment und zeigt mir, was falsch ist. Oder, wenn man Theoretiker ist: Wiederholt meine Berechnungen. Aber sagt mir nicht, dass das in den Fachbüchern anders steht! Wenn man nur glaubt, was schon in Büchern steht, gibt es keinen Fortschritt, oder? Man muss sich nur die heiligen Schriften anschauen, an die die Menschen tausende Jahre lang geglaubt haben und die Fortschritte zurückgehalten haben.

STANDARD: Für seine Sache zu kämpfen und mit Rückschlägen zurechtzukommen klingt auch nach einem guten Rat für Start-ups und Unternehmer. Sie haben vor dreißig Jahren erstmals an Ihrer Universität einen Kurs über Unternehmertum ins Leben gerufen, der großen Erfolg hatte. Was hat sich daraus entwickelt?

Shechtman: Das Auditorium hatte sechshundert Plätze, aber achthundert Personen sind gekommen. Und die Vorlesung gibt es immer noch, mit hunderten Studierenden jedes Jahr. Wir forschen gerade nach, was mit den zehntausend Menschen passiert ist, die bis heute meinen Kurs besucht haben. Das Endergebnis steht noch nicht fest, aber wir wissen, dass ein Viertel von ihnen ein Start-up gegründet hat. Das ist eine riesige Zahl!

STANDARD: Fühlen Sie sich dafür mitverantwortlich?

Shechtman: Natürlich kann man sagen, dass nur Leute meinen Kurs besuchten, die ohnehin in diese Richtung gehen wollten, und das nichts mit meinem Kurs zu tun hat. Aber die Vortragenden, die ich eingeladen habe – Existenzgründer und Berater wie Anwälte und Marketingexperten -, wissen, wo die Stolpersteine liegen und wie man sie vermeiden oder überwinden kann. Das ist zweifellos hilfreich.

STANDARD: Haben Sie persönlich Start-ups gegründet?

Shechtman: Ja, ein paar. Sie waren halbwegs erfolgreich, ich habe nie Geld verloren. Ich habe sie alle in einem sehr frühen Stadium verkauft, weil ich entscheiden musste, ob ich Professor oder Entrepreneur bin. Beide Berufe benötigen natürlich Vollzeitaufwand, gerade wenn ein Start-up zu wachsen beginnt. Es war die richtige Entscheidung für mich, jetzt denke ich aber darüber nach, wieder ein paar Ideen umzusetzen.

STANDARD: Vor drei Jahren kandidierten Sie auch als Präsident des Staates Israel. Wie ist es dazu gekommen?

Shechtman: Zunächst einmal hat der Präsident Israels vor allem repräsentative Funktionen, wie der Präsident in Österreich und ganz im Gegensatz zum Präsidenten der USA. Für mich selbst ist Bildung das Allerwichtigste, daher wollte ich das Bildungssystem in Israel beeinflussen. Ich dachte, von dieser Position aus wäre ich effektiver. Und dass ich gute Arbeit leisten könnte, weil ich mich in der Welt und in vielen Ländern auskenne. Meiner Meinung nach sollte der Präsident kein Politiker sein. Ich denke, dass in Israel Politiker immer mehr eine vom Rest der Bevölkerung abgespaltene Gruppe werden. Und die kann das Volk nicht so gut repräsentieren.

STANDARD: Tatsächlich waren Sie sehr erfolgreich in den Bevölkerungsumfragen, haben aber nur eine der 120 Stimmen aus dem Parlament bekommen, das den Präsidenten wählt.

Shechtman: Ja, ich war sogar Nummer eins oder zwei in den Umfragen. Aber mein größter Fehler war zu glauben, dass ich als Nichtpolitiker Präsident werden könnte. Denn diejenigen, die in Israel den Präsidenten wählen, sind selbst Politiker und wollen die Position für einen von ihnen. Ich bin trotzdem nicht enttäuscht darüber, verloren zu haben. Es war eine neue Erfahrung, und als Präsident hätte ich viele der Freiheiten verloren, die ich jetzt noch besitze.

STANDARD: Stattdessen bereisen Sie die Welt und verbreiten Ihre Ideen über Bildung. Was ist Ihnen dabei ein Anliegen?

Shechtman: Bildung sollte das wichtigste Thema jedes Landes sein, weil sie die Zukunft darstellt. Daher sind Lehrer die wichtigsten Menschen. Sie sollten die besten Löhne erhalten und passend ausgewählt werden. Darüber hinaus brauchen wir mehr technologische Unternehmer, die Innovationen in nutzbare Produkte verwandeln. Und wir benötigen mehr Ingenieure und Wissenschafter. Heutige Generationen junger Leute sind zurückhaltend, was das Studieren dieser Fächer angeht, weil sie denken, dass sie zu schwierig sind. Und sie sind auch schwierig – aber man kann es schaffen.

STANDARD: Wie würden Sie Menschen dahingehend beeinflussen, Forscher und Ingenieure zu werden?

Shechtman: Man muss schon in sehr frühem Alter beginnen. Deshalb habe ich mehrere Programme initiiert, die Wissenschaften in Kindergärten in meiner Heimatstadt Haifa lehren. Das breitet sich jetzt in ganz Israel aus. Ich habe auch zehn kurze Kindersendungen fürs Fernsehen gemacht, "Wissenschafter sein mit Professor Dan" – auf Hebräisch reimt sich das. Leider haben sie mir nicht mehr Sendungen gestattet. Die Theorie hinter all dem ist, Kleinkinder dazu zu bringen, Wissenschaften zu mögen – weil sie verstehen lernen, damit nahezu jedes Mysterium in der Natur erklären zu können, und gut darin werden. Wenn das einmal passiert, muss man diese Fähigkeiten natürlich entwickeln. Aber das lässt sich machen. Man muss nur engagiert sein. (Julia Sica, 5.5.2017)