Klosterneuburg – Die Entwicklung von Gehirnzellen folgt einem präzise orchestrierten Programm. Kommt es dabei zu Störungen, drohen Fehlbildungen. Forscher des Institute of Science and Technology (IST) Austria berichten nun im Fachjournal "Neuron" über die entscheidende Rolle des Gens Lgl1 bei der Produktion von Neuronen und Gliazellen.

Muster der Entwicklung

Der Neurobiologe Simon Hippenmeyer vom IST Austria in Klosterneuburg (NÖ) und sein Team haben vor einigen Jahren das Programm entschlüsselt, nach dem sich Gehirnzellen des Neocortex entwickeln. Beim Menschen ist das der größte Teil des Gehirns, der alle höheren kognitiven Funktionen wie Denken, Bewegungskontrolle oder Sinneswahrnehmung kontrolliert.

Am Beginn der Entwicklung stehen Stammzellen, sogenannte Radiale Gliavorläuferzellen (RGP). Sie produzieren die Mehrheit der Neuronen und Gliazellen im Neocortex. Nach einem präzisen Programm wird von jeder einzelnen RGP eine vordefinierte Menge an Neuronen und Gliazellen hergestellt. Das stellt sicher, dass das Gehirn zu seiner normalen Größe heranwächst.

Die MADM-Methode

Die Wissenschafter nutzen für ihre Untersuchungen eine Technologie namens "Mosaic Analysis with Double Markers" (MADM). Mit dieser hochauflösenden Methode können sie im dichten Gehirngewebe einzelne Neuronen und ihre feinen Äste rot und grün einfärben und dann mit dem Fluoreszenzmikroskop ihre Entwicklung verfolgen.

Mithilfe von MADM untersuchte Hippenmeyer mit Postdoktorand Robert Beattie und Kollegen nun, welche Mechanismen den exakten Output der RGP kontrollieren. "Wir haben dazu die Rolle des Gens Lgl1 analysiert, dessen Funktion bei der Maus bisher nicht erforscht war", erklärte Hippenmeyer. In verschiedenen Phasen der Entwicklung eliminierten die Forscher das Gen in einzelnen RGP oder in allen.

Symphonische Vergleiche

Bei den Auswirkungen zeigten sich große Unterschiede: "In der ganz frühen Embryonalentwicklung gleicht Lgl1 dem Dirigenten, der das Orchester so im Takt hält, dass es die normale Anzahl an Nervenzellen produziert, nicht zu viele, nicht zu wenige", so Hippenmeyer. Fehlt es in einzelnen Radialen Gliavorläuferzellen, können die anderen dies kompensieren. Nur wenn Lgl1 in allen RGP entfernt wird, kommt es zu Missbildungen wie dem "Double Cortex Syndrome".

Anders stellt sich die Funktion des Gens im postnatalen Gehirn, also gleich nach der Geburt dar. Die RGP haben sich zu dieser Zeit bereits zu adulten Stammzellen weiterentwickelt, und zwar solche, die Neuronen produzieren, und solche, die Gliazellen bilden. "In dieser Phase ist die Funktion von Lgl1 sehr spezifisch, ähnlich dem Solisten eines Orchesters", sagte Hippenmeyer. Nur in jenen Stammzellen, die gerade Neuronen oder Gliazellen produzieren, wird das Gen benötigt. Fehlt es dort, werden etwa viel zu viele Gliazellen produziert.

Hippenmeyer ist überzeugt, dass das Ergebnis Einfluss auf die zukünftige Analyse der Rolle von Genen während der Entwicklung haben wird. In Zukunft werde man präzise analysieren und trennen müssen, welche Rolle ein Gen quasi als Orchestermitglied und als Solist spiele. (APA, red, 4. 5. 2017)