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Während viele noch eine Deflation fürchten, sorgt sich Ned-Davis-Chefstratege Timothy Hayes bereits um das Gegenteil: die mittel- und langfristige Rückkehr des Inflationsgespensts.

Foto: Reuters/Lucas Jackson

STANDARD: Als wir uns Anfang 2011 trafen, hatten Sie für Sommer korrekt einen schwachen Aktienmarkt prognostiziert. Haben Sie wieder schlechte Nachrichten dabei?

Hayes: Nein. Wir haben im Februar die Aktiengewichtung zurückgefahren, weil unsere Indikatoren eine Korrektur signalisierten. Diese dürfte nun vorüber sein – und selbst wenn sie noch andauern sollte, sehen wir keine unmittelbare Gefahr eines Bärenmarkts bis Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres.

STANDARD: Warum rund um den Jahreswechsel?

Hayes: Der Konjunkturzyklus und jener der Unternehmensgewinne werden dann weiter fortgeschritten sein, ebenso die Bewertungen. Außerdem würde der vorangegangene Bärenmarkt ungefähr zwei Jahre zurückliegen, was der normalen Zeitspanne entspricht.

STANDARD: Wir reden aber nicht über das Ende der langfristigen Aufwärtsbewegung?

Hayes: Nein, das wird ein zyklischer Bärenmarkt in einem übergeordneten Bullenmarkt. Dieser hat in unserem Szenario 2009 begonnen.

STANDARD: Der übergeordnete Bullenmarkt läuft also schon acht Jahre. Wie lange kann das noch weitergehen?

Hayes: Der Letzte hat 18 Jahre gedauert und der zuvor 24. Wichtiger ist die Tatsache, dass die wirtschaftliche Erholung und der Anstieg am Aktienmarkt schrittweise erfolgt sind. Unserer Ansicht nach wird das bis Ende des Jahrzehnts weitergehen. Dazwischen wird es unausweichlich Korrekturen geben. Aber es sollte bis ins nächste Jahrzehnt dauern, bis der Inflationsdruck zur Bedrohung wird. Deshalb habe ich zuletzt Gold empfohlen, denn wenn die Leute verstehen, dass man besser aus Anleihen gehen sollte, werden viele in Aktien investieren, aber sich auch manche denken, dass Gold die bessere Alternative ist, wenn man auf Inflation zusteuert.

STANDARD: Aber bisher gibt es nur schwache Anzeichen für Inflationsdruck.

Hayes: Das ist richtig. Die zweite Hälfte des Vorjahrs war zwar insofern bedeutsam, weil weite Teile der Weltwirtschaft deutlich an Schwung gewonnen haben. Aber es stimmt schon, die Inflationierung steht noch am Anfang.

STANDARD: Viele sagen, die US-Notenbank Fed erhöhe die Zinsen zu zögerlich. Sehen Sie das auch so?

Hayes: Das trifft auf alle Notenbanken zu. Ich glaube, die Fed macht es absichtlich, sie will Inflation sehen. Unglücklicherweise wird es gelingen – dann hat sie das Problem, das sie den Geist, den sie gerufen hat, nicht in die Flasche zurückbekommt. Inflation kann eine Bedrohung werden, die uns lange beschäftigen wird. Nicht unmittelbar, aber mittel- bis langfristig.

STANDARD: Wie sieht es kurzfristig aus? Der sogenannte Trump-Trade hat die Börse rasch nach oben geführt, bevor die Korrektur kam. Geht es nun wieder aufwärts?

Hayes: Mit Trumps Wahl haben sich die Erwartungen verändert. Es bedeutete Infrastrukturausgaben, fiskalische Stimuli, Steuersenkungen und Deregulierung – alles sehr positive Entwicklungen für den Aktienmarkt. Nach der Amtseinführung hat man gemerkt, dass Trump dabei mit der eigenen Partei Probleme bekommt und vieles nach hinten verschoben wird. Das hat eine Neubewertung ausgelöst, was der Grund für die Marktkorrektur war. Dadurch ist die Bewertung zurückgekommen, das Wachstum ist da und das Momentum der Unternehmensgewinne auch. Das kann dazu führen, dass wir einen weiteren Auswärtsschub des Marktes sehen.

STANDARD: Die Börsenweisheit 'Sell in May' ist heuer also die falsche Vorgangsweise.

Hayes: Ich würde sagen: Nicht im Mai verkaufen, sondern kaufen.

STANDARD: Aber mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von etwa 20 ist die Wall Street recht hoch bewertet. Sind Sie deshalb nicht besorgt?

Hayes: Vom Start der vergangenen Hausse im Jahr 1982 bis zum Top im Jahr 2000 ist das KGV von einstelligem Niveau auf über 50 gestiegen. Das geht so lange, bis Überoptimismus vorherrscht und die Wirtschaft heißläuft – wenn man dazu extrem überzogene Bewertungen sieht, wäre das ein deutliches Warnsignal. Derzeit ist die Bewertung nicht so hoch, dass sie den übergeordneten Bullenmarkt in Gefahr bringt. Ich sehe Potenzial, sowohl in absoluten Zahlen als auch im Vergleich zu den Anleihenrenditen noch auf deutlich höhere Bewertungen zu kommen. Jede Korrektur ist bis dahin eine Kaufgelegenheit und eine Möglichkeit, aus dem Renten- in den Aktienmarkt zu wechseln.

STANDARD: Hat der Rentenmarkt den Hochpunkt also überschritten?

Hayes: Es kann lange dauern, bis sich solche Entwicklungen umkehren. Wenn man aber überlegt, was in den nächsten drei bis fünf Jahren kommen wird, merkt man, dass der Rentenmarkt und die Notenbank unbesorgt sind in Bezug auf eine Inflation, das sieht man an den tiefen Realzinsen. Es bestehen noch Ängste, dass Deflation die größere Bedrohung ist. Das ist leichtsinnig, denn am Ende des Tages werden wir wahrscheinlich Inflation sehen, was einen Bärenmarkt bei Anleihen unterstützt und die Renditen in die Höhe treibt.

STANDARD: Europas Börsen sind der Wall Street lange hinterhergehinkt. Kann sich das jetzt umdrehen?

Hayes: Nach der Finanzkrise hat Europas Schuldenkrise die Erholung verzögert. Dann ist die politische Risikoprämie über Europa gehangen, aber heuer haben die Anleger begonnen, über die französische Wahl hinauszublicken, und die Kapitalströme, die zuvor aus Europa hinausgegangen sind, haben sich umgekehrt. Die Firmengewinne entwickeln sich besser, der tiefe Euro stimuliert die Wirtschaft, und die EZB hat nicht einmal begonnen, die Geldpolitik zu straffen. Möglicherweise hat Europa heuer den nachhaltigeren Lauf. Es sieht deutlich besser aus als noch im vierten Quartal. (Alexander Hahn, 7.5.2017)

Timothy Hayes ist seit 1986 für das unabhängige US-Analysehaus Ned Davis Research tätig und übt die Position des Chefstrategen aus. Das Gespräch fand auf Einladung der Kathrein-Bank statt, die einen Fonds auf Basis der Vermögensallokation von Ned Davis anbietet.
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