Seit vielen Jahrzehnten schreibt Florjan Lipuš unbeirrt an einer slowenischsprachigen Chronik der Verletzlichkeit: Literatur von europäischem Rang aus dem Süden Österreichs.

Foto: Marko Lipus

Klagenfurt – Ginge es nach der bisherigen Kärntner Landesverfassung, dürfte es ihn überhaupt nicht geben. Florjan Lipuš, Kärntner Autor, slowenischsprachig. Und wenn Peter Handke 1981 gemeinsam mit Helga Mračnikar den Zögling Tjaž (Zmote dijaka Tjaža, 1972) nicht ins Deutsche übertragen hätte, wäre Florjan Lipuš vielleicht wirklich bis heute einer jener Kulturschaffenden, die im Kärntner Süden von Gemeindezentrum zu Gemeindezentrum gereicht, von den Ballungszentren jedoch ignoriert werden.

Aber die Realität hat in diesem Fall die Politik überrollt. Das Musil-Archiv in Klagenfurt plant gerade, den Vorlass des Schriftstellers zu erwerben. Dafür musste er nur ein halbes Jahrhundert lang Bücher schreiben und seit Donnerstag 80 Jahre alt sein.

Schwindende Zahl

Man könnte es auch anders sehen. Von 30 Prozent um 1900 sank der Anteil der slowenischsprachigen Kärntner Bevölkerung inzwischen auf 2,5 Prozent. Das Bewusstsein, Teil einer sich in Assimilierung verflüchtigenden Kultur zu sein, hat Lipuš Anfang der 80er-Jahre erstmals zum Ausdruck gebracht. Damals legte er die Leitung der von ihm 1961 mitbegründeten streitbaren Kulturzeitschrift Mladje (Jungholz) nieder. Er wolle nicht länger für Nachbarn sprechen, die gar keine Fürsprache wünschen.

Im lebendigen Widerspruch dazu steht das literarische Werk des Autors. Es ist nicht nur künstlerisch von internationalem Rang, sondern in seiner Gesamtheit ein beklemmendes Denkmal des Kärntner Slowenentums.

Zeit und Züchtigung

Der "Graben" durchzieht als das enge heimatliche Karawankental sieben Romane. Konstanten sind die Wortkargheit der entlegenen Schauplätze, die Züchtigungen, die Strenge der moralischen Regeln, die Unheiligkeit der Kirche und die Gräuel, die der Nationalismus im 20. Jahrhundert angerichtet hat.

Dazu kommt immer wieder eine Figur, die reflektierend aus ihrer Umgebung wächst, um am Ende zu scheitern: Der aufmüpfige Schüler Tjaž stürzt sich nach seiner Entlassung aus dem Priesterseminar von einem Hochhaus, dem Pensionisten Franz Buterna (Srčne pege / Herzflecken, 1991) hat Helena, die sein von Unterdrückung und Verzicht geprägtes Leben erlösen soll, ihre tödliche Herzkrankheit verschwiegen. Nur von Boštjan (Boštjanov let / Boštjans Flug, 2003) fällt wirklich alles Leiddurchtränkte ab, sodass er fliegt, als er Lina findet. Da obliegt es den Frauen, wie in Handkes Der Sturm oder in Maja Haderlaps Engel des Vergessens, in der Finsternis der Wirklichkeit eine lichtvolle Perspektive zu eröffnen.

Der Tod der Mutter im KZ Ravensbrück – sie hatte verkleidete Gestapo-Männer für Partisanen gehalten und bewirtet – hat den sechsjährigen Florjan Lipuš mit der Grausamkeit der Welt bekannt gemacht.

Abgebrochenes Studium

Sein Theologiestudium am Klagenfurter Priesterseminar hat er abgebrochen, als Hinweis auf die Gründe dafür kann der Roman Die Regenprozession (Prošnji dan, 1987) über einen anachronistischen Hexenprozess dienen. Seit der Pensionierung als Volksschullehrer lebt er, der mit Seelenruhig in diesem Herbst noch eine Autobiografie vorlegen wird, zwischen Garten- und Schreibarbeit bescheiden und zurückgezogen an einem Waldrand in Sele/Sielach. Wie Handke schreibt er mit Bleistift. Und nach jedem fertigen Buch sagt er sich: "Schluss damit, nie mehr! Immer wieder das Gleiche, das macht ja krank." (Michael Cerha, 4.5.2017)