Die von den Astronomen "Bucht" bezeichnete Struktur könnte die Folge einer sogenannten Kelvin-Helmholtz-Welle sein.

Foto: NASA Goddard Space Flight Center / Stephen Walker et al.

Greenbelt – Galaxiencluster zählen zu den größten Strukturen des Universums. Einer dieser Giganten liegt in 240 Millionen Lichtjahren Entfernung und heißt Perseushaufen. Die elf Millionen Lichtjahre große Ansammlung von bis zu 1.000 Galaxien zählt zu den nächstgelegenen Clustern unserer galaktischen Umgebung. Wie bei den meisten seiner Art besteht der Großteil der sichtbaren Materie im Perseushaufen aus Millionen Grad heißem Gas, das nur im Röntgenlicht sichtbar wird.

Beobachtungen mit dem Chandra Röntgenteleskop der Nasa haben in diesem Gas eine Anzahl interessanter Formen erspäht, darunter gigantische Blasen, die von supermassiven Schwarzen Löchern aufgeblasen werden. Die Ursache einer weiteren Gasstruktur, die von den Astronomen "Bucht" getauft worden war, ist dagegen weit weniger offensichtlich.

In die falsche Richtung gewölbt

Die konkave Einbuchtung hat offenbar nichts mit Schwarzen Löchern zu tun, dafür gibt sie nicht genug Strahlung ab, wie Untersuchungen mit dem Radioobservatorium Karl G. Jansky Very Large Array in New Mexico zeigten. Und noch etwas ist seltsam an dem Phänomen: Dem anerkannten Standardmodell zufolge sollten sich vergleichbare Strukturen in die andere Richtung wölben und nicht in die, die man bei der "Bucht" beobachten kann.

Eine Gruppe um Stephen Walker vom Goddard Space Flight Center der Nasa könnte dem Rätsel um die riesige Struktur nun jedoch auf den Grund gekommen sein. Die Wissenschafter sammelten ältere hochaufgelöste Chandra-Aufnahmen des Perseushaufens und kombinierten sie mit Weitwinkelbildern, die einen Energiebereich von 700 bis 7.000 Elektronenvolt abdecken. Das Resultat durchlief noch einen Filter, um die Konturen der "Bucht" hervorzuheben, und wurde dann einer Reihe von Computersimulationen von verschmelzenden Galaxienclustern gegenüber gestellt.

Simulation mit erstaunlichen Parallelen zum Perseushaufen
NASA Goddard

Bei einer der virtuellen kosmischen Kollisionen wurde das Team fündig: In der betreffenden Simulation hatte sich das Gas zu Beginn in zwei Komponenten aufgeteilt, einer "kühlen" Zentralregion mit Temperaturen von 30 Millionen Grad Celsius, und eine Randregion, wo das Gas dreimal so heiß war. An dem Cluster ließen die Wissenschafter einen kleinen Galaxienhaufen knapp vorbei schrammen. Die Passage sorgte für gravitative Turbulenzen und wühlte das Gas auf, wie Obers, das man in einen heißen Kaffee einrührt. Dabei entstand eine expandierende Spirale aus kühlerem Gas.

Größte Kelvin-Helmholtz-Welle

Nach rund 2,5 Milliarden Jahren hatte sich das Gas um 500.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt und dabei an seiner Peripherie gewaltige Wellen aufgeworfen, ganz ähnlich den sogenannten Kelvin-Helmholtz-Wellen, die entstehen, wenn zwei Medien mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aufeinander treffen. Solche Wellengebilde findet man im Ozean ebenso wie in Wolken auf der Erde und auf anderen Planeten. "Wir sind uns sicher, dass die 'Bucht' im Perseushaufen Teil einer solchen Kelvin-Helmholtz-Welle ist – womöglich sogar die größte, die jemals beobachtet wurde", meint Walker.

Darüber hinaus fanden die Astronomen einen Zusammenhang zwischen der Größe der Welle und der Stärke des Magnetfelds innerhalb des Galaxienclusters: Ein schwaches Magnetfeld führt zu Wellen, wie die nun beobachtete, starke Magnetfelder dagegen lassen sie gar nicht erst entstehen. Damit haben die Forscher nun auch erstmals eine Möglichkeit gefunden, die Magnetfelder ganzer Galaxienhaufen zu bestimmen. (red, 14.5.2017)