Wien wird regelmäßig bescheinigt, die lebenswerteste Stadt der Welt zu sein. Aus Wirtschaftsperspektive sieht die Sache jedoch anders aus.

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Wien gilt laut Mercer-Studie als lebenswerteste Stadt der Welt. Beurteilte man jedoch den Wirtschaftsstandort, wären Wien wie auch Österreich ziemlich abgeschlagen. Dabei ist die Ausgangslage in vielen Punkten sehr gut. Zehn Punkte, wie Österreich sein Potenzial voll ausschöpfen könnte.

Qualifizierte Arbeitskräfte: Wachsen kann man nur, wenn man ausreichend viele gut ausgebildete Mitarbeiter findet, und zwar auf allen Ebenen. Wir brauchen mehr exzellente Akademiker, qualifizierte Fachkräfte, Technik- und IT-Experten und auch gute Lehrlinge, um in der künftigen Arbeitswelt zu bestehen und Wachstum zu generieren. Die entsprechende akademische und berufliche Ausbildung muss passende Antworten auf die Anforderungen aus der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung parat haben. Die Verfügbarkeit einer ausreichenden Anzahl gut qualifizierter Arbeitskräfte ist somit der Standortfaktor Nummer eins schlechthin. Bildungspolitik ist damit auch entscheidend für die Standortpolitik.

Flexiblere Arbeitszeit: Globaler Handel, dynamische Entwicklungen und webbasierte Geschäftsmodelle brauchen flexible Mitarbeiter. Wenn es die Auftragslage erfordert, müssen Arbeitnehmer mehr arbeiten dürfen, um Nachfragespitzen abzufangen und Marktchancen zu nutzen. Schnelles und effizientes Reagieren auf dynamische Bedürfnisse von Kunden und Lieferanten ist ein essentieller Wettbewerbsfaktor, von dem Unternehmer wie Arbeitnehmer profitieren. Die aktuell diskutierte Änderung bei der Tageshöchstarbeitszeit ist hier sicher ein wichtiger Schritt, für sich alleine aber noch lange keine Gesamtlösung.

Niedrigere Lohnnebenkosten: Die indirekten Arbeitskosten für Unternehmen sind im Standortvergleich zu hoch. Damit überlegen Unternehmen zweimal, ob sie in Österreich investieren und ob sie hier weitere Mitarbeiter einstellen. Dass die Entwicklung des Arbeitsmarktes immer ein gutes Stück hinter der Entwicklung der Wirtschaft nachhinkt, ist zu einem Gutteil auch darin begründet. Damit gehen in Aufschwungphasen Chancen verloren. Die Reduktion von Lohnnebenkosten schafft aber nicht nur zusätzliche Arbeitsplätze, auch Arbeitnehmer profitieren beim Nettogehalt, was sich wiederum im Konsum niederschlägt. Zusätzlich wäre eine weitere Entlastung des Faktors Arbeit wünschenswert, damit Österreichs Unternehmen im internationalen Wettstreit um mobile und hochqualifizierte Arbeitskräfte reüssieren können.

Entrümpelung von Vorschriften: Der Staat muss einen funktionierenden Rahmen für Unternehmer bieten, anstatt ihre Aktivitäten durch überbordende Vorschriften und undurchsichtige Regeln zu behindern. Dazu muss zum Beispiel die Gewerbeordnung entrümpelt und in vielen Regelungen auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden. Die steigende Zahl an legistischen und administrativen Hürden erzeugt Verwaltungsaufwand, der sich für Österreichs Wirtschaft als ärgerlicher Hemmschuh erweist und de facto niemandem etwas bringt. Das gilt nicht nur für Waxing-Studios, sondern für alle Branchen. Entrümpeln ist damit das Gebot der Stunde.

Praktikabler Rahmen für Digitalisierung: Österreich ist bei der Digitalisierung gerade im öffentlichen Bereich in vielem Vorreiter. In der Ausgestaltung der digitalen Möglichkeiten wurde aber zu viel auf die althergebrachte Rechtsordnung und zu wenig auf Praktikabilität im Wirtschaftsleben fokussiert. E-Signatur, E-Rechnung und elektronische Dokumentenzustellung werden aufgrund des viel zu komplexen Rahmens von den Unternehmen bisher nur spärlich genutzt. Digitalisierung ist aber nur sinnvoll, wenn sie uns das Leben erleichtert, nicht erschwert.

Gleiche Regeln für traditionelle und neue Akteure: Mehr und mehr Branchen werden von neuen Akteuren erobert und revolutioniert. Das ist grundsätzlich positiv und stimulierend – für einen fairen Wettbewerb sollte aber Waffengleichheit herrschen. Wenn Banken unter mehr und mehr Regularien stöhnen, während Fintechs davon unbeirrt Erfolge feiern, wenn die Ubers und Airbnbs dieser Welt Schlupflöcher nutzen, während sich Hoteliers und Taxifahrer mit tausenden Vorschriften herumschlagen, dann ist das nicht gegeben. Die Wirtschaft braucht gleiche Regeln für traditionelle und für neue Akteure. Hier muss der Gesetzgeber nachschärfen und für Chancengleichheit zwischen den Akteuren sorgen, alleine schon, um seine eigenen Steuereinnahmen sicherzustellen.

Re-Fokussierung der Banken auf Kunden und Märkte: Für einen attraktiven Standort brauchen wir stabile Banken, die sich auf die Bedürfnisse der Kunden konzentrieren anstatt 90 Prozent ihrer Energien in die Erfüllung von Regularien zu verschwenden. Die Vorschriften mit Ziel auf höhere Eigenkapitalquoten waren sicher wichtig. Wohin allzu deregulierte Finanzmärkte führen, hat man in der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich gesehen. Gerade bei Geschäftsbanken hat das Pendel aber nun zu stark in die andere Richtung ausgeschlagen – jetzt sollte wieder das Kerngeschäft in den Fokus rücken. Wenn nicht jede kleine Bank als systemrelevant gesehen und nicht jede Einlage garantiert wird, können Banken zudem Sicherheit und Stabilität auch wieder als Differenzierungsfaktor nutzen. Statt weiterer Regulierungen sollten Banken vielmehr neue Freiräume bekommen, um auf Basis der von ihnen verwalteten Daten neue Geschäftsmodelle und Services zu entwickeln.

Sicherung des Europäischen Marktes: Europa ist für österreichische Unternehmen mit Abstand der wichtigste Markt. Dies zu erhalten und weiter zu entwickeln ist oberste Priorität. Den aktuellen Renationalisierungstendenzen, im Rahmen derer die EU-weite Gleichbehandlung der Akteure von mehr und mehr Ländern wieder Schritt für Schritt eingeschränkt wird, ist mit Nachdruck entgegenzuwirken – das gilt für Einschränkungen des freien Arbeitsmarktes genauso wie für diskriminierende und protektionistische Gesetzesvorhaben auf nationaler Ebene. Die vier Grundfreiheiten sind das Fundament, auf dem die EU gegründet wurde. Wird dieses Fundament eingeschränkt, besteht auch das Risiko dass das darauf stehende Gebäude einstürzt.

Aktive Süd-Osteuropapolitik: Die CEE-Region war ein wesentlicher Treiber für Österreichs Erfolgsstory nach dem EU-Beitritt. Die Entwicklung in diesen Märkten war zwar langsamer als erhofft, dennoch ist ihr Potenzial nach wie vor groß. Unsere Nachbarschaftspolitik sollte darauf ausgerichtet sein, die Länder in dieser Region zu verstehen und sie bei der EU-Integration aktiv zu unterstützen. Natürlich sollen wir entschieden gegen autoritäre Tendenzen auftreten, die die europäische Demokratie gefährden. Ebenso sollten wir aber nicht wegen populistischer, innenpolitischer Kalküle die traditionell guten Beziehungen belasten und uns so Chancen in diesen Märkten verbauen.

Eine positive Grundstimmung: Last but not least beruht eine positive Konjunktur nicht nur auf Fakten sondern auch auf dem Zutrauen, der positiven Grundstimmung, die vieles möglich macht, was oft erst unmöglich erscheint. In diesem Sinne muss gute Standortpolitik in erster Linie auch Hoffnung machen und Optimismus verbreiten. Kleinkrieg um Peanuts und das kulturell immanente Krankjammern machen nichts besser aber vieles schlechter. Nachrichten etwa über den Jobmotor bei Magna Steyr oder über die Trendwende am Arbeitsmarkt sind gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Natürlich sind diese Punkte nicht von heute auf morgen umsetzbar. Es braucht aber ein klares Bekenntnis und den politischen Willen für Maßnahmen, die den Wirtschaftsstandort Österreich langfristig stärken und im globalen Wettbewerb zur Spitze führen. Dass es jetzt wieder vermehrt Politiker gibt, die aufgrund ihrer beruflichen Praxis wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen und nicht nur vom Hörensagen kennen, stimmt hier zumindest positiv. (Stefan Bergsmann, 9.5.2017)