Kunduz – Im Norden Afghanistans haben die radikalislamischen Taliban am Samstag nach Polizeiangaben einen Distrikt nahe der Stadt Kunduz erobert. Die Sicherheitskräfte hätten sich nach mehr als 24-stündigen schweren Kämpfen aus Kala-i-Sal zurückgezogen, um weitere zivile und militärische Opfer zu vermeiden, sagte ein Polizeisprecher in Kunduz.

Die Taliban erklärten, die Aufständischen hätten die Polizeizentrale des Bezirks, die Residenz des Gouverneurs und alle Checkpoints der Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen eineinhalb Jahren war es den Taliban zwei Mal gelungen, kurzzeitig das Stadtzentrum von Kunduz einzunehmen, der zweitwichtigsten Stadt im Norden.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte unterdessen vor einem übereilten Abzug des ausländischen Militärs vom Hindukusch. Sie halte es für ausgesprochen wichtig, dass der sehr langfristige Einsatz in Afghanistan, bei dem auch Deutschland Verantwortung übernommen habe, nicht zu früh beendet werde, sagte sie in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft. "Die Ereignisse, wie wir sie jetzt erleben, zeigen auch, dass unsere Anwesenheit, auch unsere Unterstützung im Sinne der Beratung und im Sinne des Trainings, noch dringend erforderlich ist." Momentan sind noch knapp 1.000 deutsche Soldaten als Teil des Beratungseinsatzes der NATO in Afghanistan.

Bis 2013 hatte die deutsche Bundeswehr in Kunduz ein Feldlager betrieben, in dem zeitweise knapp 2.000 deutsche Soldaten stationiert waren. Es war der gefährlichste Einsatzort der Truppe: 18 deutsche Soldaten starben in der Region durch Anschläge und im Gefecht. Seit die Taliban Kunduz im Herbst 2015 erstmals überrannten, ist fast ständig wieder eine Handvoll deutscher Soldaten vor Ort, um die afghanischen Kommandeure in deren Lager oberhalb der Stadt zu beraten.

Nach Jahren des Abzugs erwägen die USA derzeit einen Kurswechsel und die Entsendung von 3.000 bis 5.000 zusätzlichen Soldaten an den Hindukusch. Das Thema dürfte auch beim NATO-Gipfel am 25. Mai eine Rolle spielen. Aktuell kontrollieren die Regierungstruppen nach US-Schätzungen nur noch 60 Prozent des Landes. Seit Jahresbeginn wurden demnach mehr als 1.000 afghanische Sicherheitskräfte getötet. (APA/Reuters, 6.5.2017)