Neben einem christlichen das zweite Abendmahl des Stücks: Der Gastarbeiter wird skeptisch behandelt.

Foto: Alexi Pelekanos

St. Pölten – Nur 80 Minuten dauert Die Eroberung des Goldenen Apfels fürs Publikum. Länger sitzen die Darsteller auf der Bühne, in einem von Sylvia Riegler in gutösterreichischer Manier hingestellten Tschocherl. Vom Saaleinlass an, in barocker Montur und Frisur, stumm und starr. Musicbox auf der einen, Dartscheibe auf der anderen Seite und eine alpine Geweihtrophäe über all dem. Dahoam statt Goldenes Horn!

Das Tschocherl ist eine Theaterkantine. Handlungskern der Uraufführung von Hakan Savas Mican (Regie) und Emre Akal (Text) am Freitag im Niederösterreichischen Landestheater ist das Warten des Ensembles des Europäischen Friedenschors auf den Auftritt nebenan. Aber er kommt und kommt nicht. Welch Metapher!

Doppelte Bedeutungen

Und eine Zeitlang fragt man sich, ob man nicht lieber in dem anderen, hinter ihnen aufgeführten Stück über die Türkenbelagerung säße, das als Bühnenlärm und in Form von Inspizientenanweisungen ertönt: "Der Muezzin bitte auf den Südturm des Stephansdoms" und "Die 100 Hunde und 259 Elefanten über die Bühne führen".

Aber dann kommt das Ganze in die Gänge. Die Langeweile, in die zunächst bloß der Transgender-Wirt (Michael Scherff) hineinhumpelt und – das Theater muss auf ihn abgefärbt haben – Songs schmettert, ist der Nährboden, aus dem die Wartenden ihre Texte ziehen. Die spielen mit Doppeldeutigkeiten. Was die Figuren sagen, zielt auf das in ihrem Rücken aufgeführte, fiktive Stück Die Türkenbelagerung von 1684, auf die Welt, in der sie heute leben, oder beides.

Schönes wie ein Schnitzel

Dass er erst vergisst, wie er sein Akkordeon spielen muss, und dann seinen Namen, ist die Angst von Stanislaus Dick. 15 Kinder will er, recht durchsichtig, zum Ausgleich für die Angst vor dem Bekannten und Eigenen zeugen. Vidina Popov hat eine unbändige folkloristische Freude an Speisen. Man müsse "das Schöne" doch verteidigen: Sachertorte und Schnitzel, Geschnetzeltes und Käsekrainer. Tim Breyvogel will Krieg führen, lieber eines von jenen heroischen Opfern werden, deren Bilder Geschichte schreiben, als ein Verkehrstoter. Er will Vorräte anlegen, "falls etwas passiert". Zeynep Bozbay will reisen.

Unter den pastellfarbenen Seidenstoffen und gepuderten Perücken trägt jeder seine Ressentiments und Ängste mit sich. "Das ist nicht unser Stück", lautet ein Satz. Zumindest ist es nicht das, auf das sie eingelernt wurden. "Ich möchte auch einmal Hauptdarsteller sein, irgendwann irgendwo vorkommen. Ich beschwer mich nicht, ich stelle nur die Wahrheit fest. Wir sind vergessen", lautet ein aktuell von Diskussionen nicht mehr nur an Stammtischen und in sozialen Netzwerken wohlbekannter.

Clever, aber wenig belastbar

Es ist also ein cleverer Zug, dass der auf seinen Auftritt harrende Friedens- hie und da Siegeschor genannt wird. Und natürlich kann er singen: Menschen, Menschen san ma alle (Qualtinger/Heller) und Wann du durchgehst durchs Tal, so menschen- und volkstümelt es dann am Ende einer Art Dankgebet für die Heimat.

Man darf den Abend nicht mit Erwartung überbelasten. Er verwebt Schlagworte nicht unklug und nicht ohne Witz, doch wird man faktisch nicht viel Neues mitnehmen. Eher bietet er eine atmosphärische Versammlung bekannter möglicher Standpunkte und Klischees. Seine Perspektive ist strikt österreichisch.

Drei historische Stereotype

Die andere Seite tritt nur dreimal auf: Wie zur Beglaubigung des theatralen Schlachtengemäldes hinter der Kantinenwand schlägt dann das Bühnentor auf, und einer von dort (Volkan T. Erroer) verirrt sich zu uns. Beim ersten Mal als kriegerischer Sultan, dann als fleißiger, doch abschätzig beäugter Gastarbeiter, und schließlich ist er der Leiter des Bühnenchors. Ob er Austrotürke sei? Nein, aus Berlin. Drei Epochen, drei Stereotype.

Keine Recherche auf der Straße, sondern Überlegungen des Ensembles liegen dem Abend zugrunde. Dieser Schritt vom Tagespolitischen zurück in die Geschichte ist nicht notwendig verkehrt. Locker und genüsslich sind diese Eindrücke hingestreut. Wer sich aber konkrete Kommentare zu aktuellen Vorgängen erwartet, dem schmeckt er wohl etwas schal. Seine Oberfläche ist, intelligent verschachtelt, in jedem Fall ein großes Vergnügen. (Michael Wurmitzer, 7.5.2017)