Innenminister Wolfgang Sobotka setzt alles daran, den Koalitionspartner und allen voran Kanzler Christian Kern zu provozieren. Selbst in der ÖVP vermuten viele, dass Neuwahlen sein Motiv sind.

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Wien – Am Montagabend machte ein Gerücht die Runde, nicht das erste Mal, aber schon wieder: ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner soll genug haben. Sein Rücktritt stehe bevor. Eine Bestätigung dafür gab es vorerst nicht, die Dementis klangen vorsichtig. In einem "ZiB 2"-Interview sagte Mitterlehner schließlich: "Das ist ein Gerücht, und Gerüchte sind eben so, dass Fakten und Wahrheit was anderes sind." Tatsache ist, dass Mitterlehner sauer ist. In erster Linie auf seine Parteifreunde, hier wiederum besonders auf Innenminister Wolfgang Sobotka, der ihn als Parteichef quasi ignoriere.

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Der jüngste Anlass für Mitterlehners Verstimmung ist ausgerechnet die Attacke, die Sobotka auf Bundeskanzler Christian Kern geritten hat. In dieser Schärfe sei die Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner nicht hilfreich, das schade letztlich der ÖVP. Und dass Mitterlehner bei solchen Vorstößen Sobotkas gar nicht erst eingebunden, nicht gefragt und nicht einmal informiert werde, schade wiederum Mitterlehner selbst. Ein solch eigenmächtiges Vorgehen – Sobotka hatte immerhin die Koalition infrage gestellt – stelle die Autorität des Vizekanzlers massiv infrage.

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Dass Mitterlehner tatsächlich zurücktreten könnte, wollte in der ÖVP niemand bestätigen, auch in der SPÖ hieß es, man rechne nicht mit dem Schlimmsten. Gerüchte, wonach Mitterlehner bereits einen Termin bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen habe, ließen sich ebenfalls nicht bestätigen.

Der scharfe Angriff, den Sobotka auf Kern geführt hatte, sorgte in ÖVP offenbar für mehr Unruhe als in der SPÖ. In den ÖVP-geführten Bundesländern steigt die Unzufriedenheit mit der Bundespartei. In Tirol, Niederösterreich, Salzburg und Kärnten wird kommendes Jahr gewählt, da kommt Negativwerbung aus Wien besonders ungelegen: "Die Performance ist wirklich kontraproduktiv, manche Funktionäre verhalten sich geradezu parteischädigend. Wenn wir schon keinen Rückenwind bekommen, soll die Bundespartei wenigsten damit aufhören, Gegenwind zu blasen", sagt ein Tiroler Schwarzer. "Im Grunde machen die unsere Arbeit kaputt."

Einer dieser Funktionäre ist eben Innenminister Sobotka. Er warf Kern "Versagen als Kanzler" vor. Außerdem drohte er damit, ein Veto gegen die Bildungsreform einzulegen. Die Maßnahmen zur Abschaffung der kalten Progression will Sobotka mit einer Reform des Sozialsystems verknüpfen – der Koalitionspartner erfuhr das aus den Medien, ebenso wie Sobotkas Parteichef Mitterlehner. Eine Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz schickt Sobotka nun in Begutachtung, ohne das mit der SPÖ – oder mit Mitterlehner – akkordiert zu haben.

"Täglich grüßt das Murmeltier"

Die rot-schwarzen Streitereien würden "in erster Linie dem generellen Ansehen der Politik schaden", sagt Hermann Muhr, Sprecher von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Würden sich die Wahlen auf Bundes- und Landesebene zeitlich überschneiden, sei das "nicht optimal", das Problem habe dann aber vor allem die Bundespartei: "Wenn es ums Land geht, rennen die Funktionäre mit hundertprozentigem Einsatz, der Bund müsste schauen, was übrigbleibt."

In der SPÖ will man den Rundumschlag Sobotkas nicht groß kommentieren, um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen. Kern zeigte sich verhalten, er forderte am Montag "Vernunft" vom Koalitionspartner. "Wenn diese Regierungszusammenarbeit von Einzelnen aufgrund persönlicher, egoistischer Eigeninteressen mutwillig zerstört wird, dann muss allen bewusst sein, dass man hier der Freiheitlichen Partei den roten Teppich in die nächste Regierung ausrollt. Das muss jeder für sich verantworten, ob er das für richtig hält oder nicht", sagte Kern im Ö1-"Mittagsjournal". Kanzleramtsminister und SPÖ-Regierungskoordinator Thomas Drozda kommentierte Sobotkas Kritik trocken auf Twitter: "Fast täglich grüßt das Murmeltier."

Gedanken macht man sich in der SPÖ allerdings über die Heftigkeit, mit der Sobotka seine Kritik am Kanzler formuliert. Ende der Woche feiert Kern sein einjähriges Amtsjubiläum, und offenbar wolle ihm die ÖVP keinesfalls gönnen, dass es mit der Regierungsarbeit so halbwegs laufe. Der Streit, der die Koalition beherrsche, möge auch die Porträts, die über den Kanzler zu diesem Anlass geschrieben werden, dominieren.

Sobotka gegen Mitterlehner

Selbst in der ÖVP wird über Sobotkas Ausritt gerätselt: Möglicherweise richtet sich dieser gar nicht gegen Kern, sondern gegen den schwarzen Parteichef Mitterlehner, dessen Eintreten für ein konstruktives Miteinander und einen Wahltermin erst im kommenden Jahr hiermit unterlaufen würde.

Mitterlehner machte seinem Unmut auch bei der schwarzen Ministerratsvorbesprechung Luft. Die persönlichen Angriffe Sobotkas auf Kern würden die berechtigte inhaltliche Kritik, die es in vielen Punkten gebe, völlig überdecken. Das sei nicht der Stil, den die ÖVP pflegen wolle. Ein solches Vorgehen halte der ÖVP-Chef für taktisch und strategisch unklug. Auch andere ÖVP-Regierungsmitglieder kritisierten Sobotka, letztendlich schade ein solches Vorgehen der ÖVP mehr als der SPÖ.

Auch das "Retourfoul" mit der nicht akkordierten Vorlage für eine Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes kam nicht bei allen gut an. Vergangene Woche hatte die neue Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) eine Vorlage zu neuen Regeln zur Unterstützung von Kleinbetrieben im Krankheitsfall ohne Abstimmung mit der ÖVP in Begutachtung geschickt. Das hatte die ÖVP kritisiert – zu Recht, wie viele meinen –, und jetzt mache Sobotka das Gleiche mit seiner Novelle.

Mitterlehner soll Sobotka gemahnt haben, wieder mehr inhaltliche Lösungen in den Vordergrund zu stellen. Der totale Konfrontationskurs, den Sobotka suche, sei kontraproduktiv. Am Abend sagte Mitterlehner noch: "Es geht darum, dass wir überall dieses Vorwahlgetue und die Inszenierungen beenden und zur Sacharbeit zurückkehren. Das ist mein Anliegen."

Neuwahlen "realistisches Szenario"

Der Innenminister gilt als einer, der lieber früher als später wählen will. Das auszusprechen bliebe aber dem Kanzler vorbehalten, möglicherweise auch dem Vizekanzler, der dann den Weg für Sebastian Kurz freimachen müsste. Etliche in der ÖVP können eine Amtsübergabe offenbar kaum noch erwarten. Mitterlehner selbst setzt allerdings auf Zeit und will die Koalition nicht platzen lassen.

In der steirischen ÖVP, wo man die aktuelle Lage nicht offiziell kommentieren will, werden Neuwahlen im Herbst jedenfalls als "sehr realistisches Szenario" angenommen. Es sei in jedem Fall opportun, sich auf Herbstwahlen einzustellen, sagt ein führender ÖVP-Politiker. Es gebe in beiden Koalitionsparteien "Lager, die massiv Neuwahlen anstreben und mit ständigen Attacken den Gegner reizen, damit dieser die Nerven wegschmeißt".

Nun gehe es nur noch um die Frage, "wer als Erster die Reißleine zieht", interpretiert der steirische ÖVP-Politiker die Konfliktsituation. Es gebe "viele in der ÖVP, die einen großen Respekt vor Reinhold Mitterlehner haben, auch wie er die Situation jetzt meistert. Es gibt aber niemanden in der ÖVP, der sagt, dass die Partei mit ihm in die nächste Wahl gehen soll." (Katharina Mittelstaedt, Walter Müller, Michael Völker, 8.5.2017)