In der Serie "Hexachromes" (2005, im Bild: "H1") befasst sich James Welling mit der Farbwahrnehmung des menschlichen Auges. Dafür lichtete er eine Agave mit sechs verschiedenen Farbfiltern ab.

Foto: James Welling, courtesy Marian Goodman

"Bilder, die sich weder beschreiben noch erinnern lassen", hatte Welling mit der Serie "Aluminium Foil" (1980–81) im Sinn.

Foto: James Welling, courtesy David Zwirner, New York/London

Experimentierfreudiger Erforscher des Mediums Fotografie: James Welling.


Foto: Jason Schmid

Wien – Man hielte es für möglich, dass man sich in einer Gruppenausstellung befindet, wenn man die Retrospektive des Fotografen James Welling im Wiener Kunstforum betritt: So vielfältig und heterogen präsentieren sich die Ansätze, die der 1951 geborene US-Amerikaner bisher verfolgte.

Da kommt eine 1987 begonnene, dokumentarische Serie über die Eisenbahn neben einer 1986 gestarteten zu hängen, die gänzlich gegenstandslose, an Gemälde Mark Rothkos erinnernde Farbflächen und -verläufe zeigt. Und neben tänzerisch-poetischen Bildern von Textilien (Torsos, 2005–2008) ist hier auch für die Serie Choreograph (2014) Platz. Sie zeigt Bilder von Architekturen und Tänzern in farbkräftigen Tableaus, für die tief, tief in die Photoshop-Trickkiste gegriffen wurde. Fast erschrickt man ein wenig angesichts dieses, nun, psychedelischen Kitsches.

Was sämtliche in der Schau gezeigten Serien zusammenhält? Sie verstehen sich als Versuche des Künstlers, sich in ganz verschiedene Beziehungen zu seinem Medium zu setzen. Die Fotografie sei, sagte Welling einmal, ein perfektes Medium für einen Bauchredner: "Hier kann ich verschiedenen Arten von Bildern meine Stimme leihen, in verschiedenen formalen Sprachen sprechen." Worauf es ankommt, sind die Verwandlungen, die Wellings Sprache durchläuft. Sie fügen sich zu einem Werk, das darauf aus ist, das Medium an sich zu hinterfragen.

Malerei versus Fotografie

So stellt Welling Reflexionen über die Wahrnehmung an, untersucht aber auch die technischen Gegebenheiten des Mediums – etwa wenn er sich mit dem "Fotogramm" befasst. Bei diesem u. a. von Man Ray benutzten Verfahren werden direkt beim Belichten Gegenstände auf das Fotopapier gelegt. Zentral sind aber auch mediengeschichtliche Fragen, insbesondere zum Spannungsverhältnis von Fotografie und Malerei.

So verstehen sich jene an Rothko erinnernden Farbverläufe (Degradés, 1986–2006) etwa als Versuche, sich malerischer Abstraktion just in jenem Medium zu nähern, dem man traditionell die größere Realitätstreue zutraut. Diese Stoßrichtung hatte Welling schon mit jener Serie verfolgt, mit der er 1981 in New York angetreten war, nachdem er in den 1970ern Malerei und Skulptur, kurzzeitig Tanz sowie bei John Baldessari am California Institute of Fine Arts studiert hatte: Die Serie Aluminium Foil zeigt zerschnudelte Alufolie, die mitunter an ein TV-Bildrauschen denken lässt. Er habe Bilder schaffen wollen, die man "weder beschreiben noch erinnern kann, wiewohl sie scharf sind", so kommentiert Welling den medienkritischen Impetus.

Tiefer hinab in die Geschichte verweisen oben genannte Rail road Photographs: Insofern sowohl Fotografie als auch Eisenbahn Erfindungen des 19. Jahrhunderts sind, korreliert Welling hier zwei verschiedene technologiegesteuerte Aneignungen des Raums – die physische und die bildliche. Andernorts ließ er sich von der Definition des Fotografiepioniers William Henry Fox Talbot, Fotografie sei "Lichtzeichnung", inspirieren und fotografierte eben diverse Lichtquellen.

Verführerische Grundtonalität

Ja, und keine Berührungsängste kennt Welling eben auch betreffs digitaler Technologien. Voller Experimentierlust scannte er etwa für Fluid Dynamics (2009–2012) Bilder, die er durch direkten Auftrag von Chemikalien auf Fotopapier hergestellt hatte, um ihnen durch die Ausarbeitung mittels Tintenstrahldrucker eine spezifische Ästhetik zu verleihen. Und auch dies nicht, ohne sie zuvor mit Photoshop bearbeitet zu haben.

Trotz Momenten ästhetischer Irritation und trotz aller Stilvielfalt durchzieht Wellings Schau eine verführerische Grundtonalität. Sie rührt nicht zuletzt daher, dass Welling immer wieder an seine persönliche Geschichte anknüpft. Neben einer Serie, in der er sich des Tagebuchs seiner Ururgroßmutter annahm, besticht das Video Seascape (2015).

Dafür kolorierte er Filmaufnahmen von der Atlantikküste, die sein Großvater gemacht hatte, digital. Abgesehen davon, dass ein Blick aufs Meer nie ganz für die Fisch’ sein kann, berührt die emotionale Unterfütterung: Ein Enkel sieht durch die Augen des Großvaters in Farbe. Die entspannende Musik stammt indes von Bruder Will Welling. (Roman Gerold, 8.5.2017)