Dialektik von Tun und Nichtstun: "The Artist Is Asleep" von Yelena Vorbyeva, Viktor Vorbyev.


Foto: Anna Blau

Interaktiv: Christine Macel tritt aus einer Installation von Franz E. Walther.

Foto: Anna Blau

Allein in der Eröffnungswoche 40.000 Besucher, übers Jahr verteilt darf man noch eine Null anhängen. Die Biennale ist auch in Zeiten, da fast im Monatstakt ein Kunst-Megaevent um Aufmerksamkeit giert, krisensicher, ebenso wie ihre Finanzierung. Dreizehn Millionen Euro werden durch Sponsoren, Donatoren und Eintrittsgelder eingenommen, man kommt, so sagt Paolo Baratta, langjähriger Biennale-Präsident, stolz, völlig ohne staatliche Subventionen aus.

Das ist für eine Großausstellung, selbst wenn sie an einem der schönsten Plätze der Welt stattfindet, beachtlich. Die 1894 gegründete Urmutter aller Biennalen sei von jeher ein Schauplatz der Recherche, ein Sehnsuchts- und Dialogort für Künstler und Besucher gewesen. "In diesem Jahr", so Baratta, "ist dieser Dialog zwischen Künstlern und Betrachtern sowie jener der Künstler untereinander Inhalt und Programm."

In der Tat wurden in den vergangenen Jahren auf der Biennale Welten gebaut, der Aufklärung gehuldigt, enzyklopädische Paläste errichtet oder alle Zukünfte der Welt vorhergeahnt. Dieses Jahr gibt es für die Hauptausstellung kein Generalthema. Kuratorin Christine Macel hat ihren Rundwanderweg durch den Zentralpavillon und das Arsenale mit der ebenso leidenschaftlichen wie programmatischen Endlosschleife "Viva Arte Viva" grundiert und als Erzählung in neun Kapiteln angelegt. Diese heißen dann Pavillon der Künstler und Bücher, der Freuden und Ängste, der Gemeinschaft, der Erde, der Traditionen, Schamanen, des Dionysischen, der Farben, der Zeit und Unendlichkeit.

Sie betritt damit gefährliches Terrain, denn: Schlagwörter wie Freude, Angst, Wut, Aggression genießen im aktuellen Kunstdiskurs nicht unbedingt das beste Ansehen. Doch auch hochpolitische Gegenwartsbezüge gibt es, etwa im künstlerischen Workshop Green Light von Olafur Eliasson: Migranten stellen nach seinem genauen Plan Lampen her. Deren Verkaufserlös kommt NGOs zugute. Oder bei der hochsensiblen Installation The Mendig Project des Taiwanesen Lee Mingwei mit hunderten bunten Zwirnspulen an der Wand, deren durch den Raum gespannte Fäden tatsächlich Kunst und Alltag, Künstler und Besucher verbinden: Der Künstler repariert und flickt Kleidung, die das Publikum vorbringt.

Bis auf wenige Ausnahmen ist Macels Konzept gelungen, allzu Banales oder auch monströser Kitsch, der eher an die Eingangspforte einer Geisterbahn erinnert (Grotta Profunda, Aprofondita von Pauline Curnier) oder an eine mit Kränzen und Schleifen überladene, in Metall gefasste Aufbahrungshalle (Good Intentions der Russin Irina Korina), inklusive.

Neuentdeckungen

Es ist eine luftige, aufgeräumte Schau, gut ausgeschildert, bestens kontextuiert, kein dichtgedrängtes Best-of angesagter Starkunst, kein Achschonwiedersehen mit den üblichen Verdächtigen, die man sonst auf Großausstellungen prominent vorgesetzt bekommt. Im Gegenteil, diese Biennale – dafür vor allem gebührt der Kuratorin Lob – ist eine der Neu-, mitunter Wiederentdeckungen. Manches ähnelt Bekanntem, wie etwa die Selbstinspektionen des Syrers Marwan jenen Maria Lassnigs; die Fotos des 1980 verstorbenen Ungarn Tibor Hajas erinnern an Brus und Schwarzkogler. Der Afroamerikaner McArthur Binion, dessen abstrakte Bilder bei genauem Hinsehen Abschriften seiner Adressbücher oder Identitätsausweise sind, antwortet auf die Frage, ob der Vergleich mit Jasper Johns zulässig sei: "Wenn er nichts dagegen hat, wunderbar."

Für ihn, ebenso wie für 103 der 120 Künstlerinnen und Künstler, die Macel eingeladen hat, ist die Teilnahme überhaupt eine Venedig-Biennale-Premiere. Franz West ist übrigens der einzige Österreicher darunter. Sein Kabinett ist mit einem Sofa möbliert, an der Wand ein Foto, das Friedl Kubelka vom schlafenden West gemacht hat, sowie Wests Textbild Otium. Um die Dialektik von Tun und Nichtstun, von Grundlagenforschung und auf Effizienz konditioniertem Business geht es in den ersten beiden Kapiteln, daher viele Liegende, Bücher in allen Variationen, gemalt, gestickt, genäht, gebacken, Sofas.

Die US-amerikanische Künstlerin Dawn Kasper ist samt Liegestatt buchstäblich in den Zentralpavillon übersiedelt, um – nichts zu tun. Oder gemeinsam mit Freunden und Besuchern zu performen. (Andrea Schurian, 10.5.2017)