Landesrätin Christine Baur (Grüne) und Klubobmann Jakob Wolf (ÖVP) stellten sich der Diskussion.

Foto: Haus der Begegnung

Die Kritik an den geplanten Kürzungen bei der Mindestsicherung in Tirol ist groß.

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Innsbruck – Nach dem Scheitern einer bundesweit einheitlichen Lösung in der Frage der bedarfsorientierten Mindestsicherung haben sieben Bundesländer nun ihre eigenen Regelungen entworfen. In Tirol hat sich die schwarz-grüne Landesregierung, in enger Anlehnung an die in Salzburg geltenden und in Vorarlberg kommenden Bestimmungen, für ein Modell der pauschalen Kürzungen entschieden.

Angesichts steigender Empfängerzahlen, vor allem bedingt durch die Zunahme an Flüchtlingen, seien die Kürzungen unumgänglich, argumentiert die Landesregierung. Doch während diese West-Lösung von der Politik als großer Wurf verkauft wird, laufen die Sozialeinrichtungen Sturm dagegen, weil sie die geplanten Kürzungen ablehnen. Am Dienstagabend hat der Sozialpolitische Arbeitskreis Tirol (Spak) ÖVP-Klubobmann Jakob Wolf und Soziallandesrätin Christine Baur (Grüne) daher zur Diskussion ins Innsbrucker Haus der Begegnung geladen.

Baur: Sparen bei den Ärmsten

In diesem Rahmen legten die Vertreter der beiden Regierungsparteien erstaunliche Offenheit an den Tag. So gestand Baur ein, dass man tatsächlich "bei den Ärmsten" spare und dass die neue Regelung "die Bezeichnung 'bedarfsorientiert' nicht mehr verdient" habe. Genau das hatte der Sprecher der Salzburger Armutskonferenz, Robert Buggler, in seinem Eingangsreferat behauptet. "Die Grünen haben hier einer Regelung zugestimmt, die sie nicht wollen", erklärte Baur. Im Sinne eines Konsenses mit dem Koalitionspartner ÖVP sei das aber nötig gewesen. Letztlich habe auch die Volkspartei einem Kompromiss zugestimmt, den sie so nicht wollte: "Das ist Demokratie."

Auch Klubobmann Wolf betonte, dass er mit der Länderlösung nicht glücklich sei. Die Tiroler VP habe immer auf eine bundesweite Bestimmung gedrängt. Obwohl Tirol seit fünf Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen kann und die niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer aufweist, seien die Kürzungen, die rund 4,5 Millionen Euro im jährlichen Drei-Milliarden-Haushalt bringen sollen, aber unumgänglich. Wolf argumentiert mit der steigenden Zahl an Beziehern in den vergangenen Jahren.

Wolf: Stimmung im Land wurde kälter

Tirol gab 2016 insgesamt 56 Millionen Euro für die Mindestsicherung aus. Der Kreis der Bezieher ist von 11.500 im Jahr 2010 auf mittlerweile 17.000 gestiegen. Nicht zuletzt wegen der Flüchtlinge, die nun als Asylberechtigte ebenfalls Anspruch auf Mindestsicherung haben und bereits rund 38 Prozent der Bezieher ausmachen. Gemäß Wolf rechnet man damit, dass in absehbarer Zeit weitere 5.000 Asylwerber in Tirol in den Kreis der Mindestsicherungsbezieher aufgenommen werden müssen: "Weil nicht anzunehmen ist, dass die alle gleich in den Arbeitsmarkt integriert werden können."

Sowohl Baur als auch Wolf verwiesen auf die noch schärferen Regelungen in anderen Bundesländern, etwa Ober- und Niederösterreich oder dem Burgenland. Zudem, so Wolf, sei die "Stimmung im Land kälter" geworden, was Mindestsicherungsbezieher angeht. Daher sei es wichtig, in der Bevölkerung für Akzeptanz zu sorgen. Auch Buggler von der Armutskonferenz bestätigt, dass die Haltung gegenüber Mindestsicherungsbeziehern ablehnender geworden sei. Er sieht das als Ergebnis der teils einseitigen und vorverurteilenden Diskussionen über das Thema: "Wer Mindestsicherung bezieht, gilt als faul und arbeitsscheu." Ein fatales Stigma, da ohnehin schon viele Menschen, die Anrecht auf diese Sozialleistung hätten, sich nicht trauen würden, sie zu beziehen. Zudem sind allein in Tirol rund 70 Prozent der Bezieher von Mindestsicherung sogenannte Aufstocker, die sich trotz Arbeit oder Verdienst das Leben nicht leisten können.

Breite Kritik an der Reform

In Tirol sind die Kritikpunkte an der Reform mannigfaltig. In rund 50 Stellungnahmen zum Gesetzestext äußern sich so gut wie alle Institutionen – von der Volksanwaltschaft bis hin zur Landwirtschaftskammer – negativ. Vor allem die nach Bezirken gedeckelten Wohnkosten, das Zuweisungsrecht in Sachen Wohnen sowie die Kürzungen bei Mehrkindfamilien stoßen vielen sauer auf. Maria Petersen vom Spak hält das neue Modell für nicht mehr geeignet, die Armut zu bekämpfen, und wundert sich, dass die Politik nicht auf die Kritik der Sozialvereine eingeht: "Aus Sicht der Fachleute gibt es keinen Zweifel. So gut wie alle Stellungnahmen zum neuen Gesetz fielen negativ aus, alle lehnen diesen Entwurf ab."

Kommende Woche soll die Reform im Tiroler Landtag abgesegnet werden. Dass es bis dahin noch zu Anpassungen oder Veränderungen kommt, halten die beiden Politiker für ausgeschlossen. Klubobmann Wolf spricht von der letzten möglichen Kürzung in diesem Bereich: "Damit ist jetzt eine Grenze erreicht, die wir nicht mehr unterschreiten können." (Steffen Arora, 10.5.2017)