Österreich steht leider nicht zu Unrecht im zweifelhaften Ruf, die "Avantgarde" der Normalisierung des Rechtsextremismus in Europa zu sein. Angesichts der aktuellen Zunahme von Re-Nationalisierungsbestrebungen sowie der Wahlerfolge autoritärer Kräfte stellt ein Phänomen vom Schlage der FPÖ gegenwärtig zwar kein Alleinstellungsmerkmal mehr dar. Die "österreichischen Zustände" – wesentlich geprägt von den Folgen des Opfer-Mythos der Zweiten Republik – und ihre hohe "Toleranzschwelle" für menschenfeindliches Gedankengut sind jedoch bis heute von besonderer Qualität.

Generell gilt leider: wer sich hierzulande "gegen Rechts" engagiert, wird oftmals als Dauernörgler abgestempelt, als Netzbeschmutzerin oder Nestbeschmutzer stigmatisiert oder, zunehmend häufig, auch von Rechtsextremen bedroht. Dies ist auch jenen vertraut, die sich mit dem Thema wissenschaftlich auseinandersetzen – was auch mit der Randständigkeit zusammenhängt, welche die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und den diversen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bis heute aufweist.

Für ein interventionistisches Wissenschaftsverständnis

Die Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) ist ein 2011 gegründeter Zusammenschluss von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern in Österreich, die zu diesen Leerstellen arbeiten. Unser gemeinsames Forschungsinteresse ist die Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichheit (Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, Antifeminismus, Ableismus, Sozialchauvinismus und andere mehr) und den sie tragenden politischen Akteuren und Akteurinnen. Insofern definiert sich FIPU nicht über den Forschungsschwerpunkt "extreme Rechte", sondern über die Auseinandersetzung mit antiegalitären Ideologien und Praxen – gleichgültig, ob diese rechts, in der vielbeschworenen gesellschaftlichen "Mitte" oder in linken Kontexten artikuliert werden.

Ausschlaggebend dafür, uns als Kollektiv zu organisieren, waren die fehlende akademische Institutionalisierung einschlägiger Forschung und Vermittlungsarbeit in Österreich sowie die daraus folgende Vereinzelung und Prekarität der Wissensarbeitenden. Darüber hinaus teilen wir die Überzeugung, dass kritische Sozialforschung auch zu intervenieren hat: Angesichts aktueller Systemkrisen und des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks – einer aktuellen Studie zufolge sehnen sich rund 43 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher nach Führung durch einen "starken Mann" – kann Wissenschaft sich weniger denn je als "neutrale" beziehungsweise "objektive" Beobachterin des Geschehens verstehen. Sich ihres unhintergehbar politischen Charakters bewusst zu sein beziehungsweise diesen dementsprechend zu reflektieren, steht nicht im Widerspruch zu Anforderung nach kritischer Distanz zum Gegenstand, sondern ist vielmehr deren Voraussetzung.

FIPU forscht unter anderem zu den Themen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Homophobie.
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Wider den Ellbogenzwang

Als Konsequenz aus der Randständigkeit der Forschung zu Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus entsteht das Gros der themeneinschlägigen Forschung hierzulande im Rahmen von unbezahlten oder unter prekären Bedingungen verfassten Qualifikationsarbeiten (Diplomarbeiten, Dissertationen, et cetera). Diesem strukturellen Problem wollen wir mit unserem Zusammenschluss etwas entgegen setzen. Daher steht bei FIPU auch wechselseitige Unterstützung und die Frage nach den Möglichkeiten solidarischer Wissensarbeit im Vordergrund.

Dabei verstehen wir uns jedoch nicht als eine weitere Selbsthilfegruppe, in der eins sich fürs akademische Prekariat fit hält, sondern als Raum für kollektive Wissensproduktion, in dem wir uns den Imperativen der Selbstvermarktung und Konkurrenz isolierter Ich-AGs zumindest ein Stück weit entziehen.

FIPU ist eine Plattform zur Vernetzung und Förderung von Forschung, die zu einem guten Teil "nebenher" oder "auch noch" passiert und von Personen getragen wird, die schon allein deshalb keine rein akademischen Norm-Lebensläufe aufweisen können. Da zudem im akademischen Konkurrenzbetrieb Frauen und institutionell nicht Angebundene überdurchschnittlich oft auf der Strecke bleiben, gilt bei FIPU der Anspruch, monetäres und symbolisches Kapital (Vortrags- und Artikelanfragen, Forschungsprojekte, et cetera) inner- und außerhalb der Gruppe je nach Privilegien umzuverteilen. Bei Vorträgen und Artikeln steht dabei in erster Linie das Geschlechterverhältnis im Vordergrund, da Frauen seltener als Expertinnen wahrgenommen werden und auch dementsprechend weniger Anfragen erhalten.

Von der Forschung zur Vermittlung

Ein zweites strukturelles Problem, dem unser Zusammenschluss entgegenzuarbeiten versucht, betrifft die aus unserer Sicht suboptimale bis überhaupt fehlende Übersetzung akademischer Wissensproduktion in politische Bildungs- und Vermittlungsaktivitäten. Allein im vergangenen Jahr wurden von FIPU-Mitgliedern mehr als hundert Workshops und Vorträge an Schulen, bei Jugendorganisationen und in diversen Einrichtungen der Erwachsenenbildung durchgeführt.

Von diesen Erfahrungen begleitet, entstanden in den vergangenen Jahren zwei Sammelbände zu Rechtsextremismus, bei denen Fragen und Probleme der Extremismus-Theorie sowie die Möglichkeiten von Prävention und politischer Bildung im Fokus standen. Darüber hinaus versuchen wir unter anderem über Zeitungskommentare, Fachartikel sowie unseren Blog, forschungsbasiert politisch zu intervenieren. In diesem Sinne freuen wir uns, zukünftig auch am STANDARD-Blog zu aktuellen Entwicklungen und Debatten in unseren Themenfeldern Stellung beziehen zu können. (Julia Edthofer, Matthias Falter, Judith Goetz, Eva Grigori, Carina Klammer, Karin Kuchler, Elke Rajal, Heribert Schiedel, Bernhard Weidinger, 16.5.2017)

Weiterführende Literatur

Link

Zum Thema

Aufgrund der Leserlichkeit und redaktionellen Richtlinien wird in diesem Blog auf die nicht-binäre Schreibweise (Akteur_innen und dergleichen) verzichtet.