Im Winter, wenn der dicke, gelbgraue Smog über der Stadt hängt, kann es jeder Mensch in den eigenen Lungen spüren. Fährt man auf die Hügel über Sarajevo, merkt man den Unterschied beim Atmen, fährt man wieder hinunter, beginnt man unwillkürlich zu husten. Die Messstationen in der bosnischen Hauptstadt zeigen oft das Vielfache der erlaubten Feinstaubgrenzwerte an. Vergangenen Dezember, als der Wert um das Zehnfache überschritten war und man niemandem ernsthaft mehr raten konnte hinauszugehen, erließ man kurzerhand ein Fahrverbot für die Hälfte der Autos, das gleich wieder aufgehoben wurde. Die bosnische Politik bewegt sich rund um völkisch-nationalistische Debatten und kümmert sich um eines der gefährlichsten Probleme des Landes nicht: die Luftverschmutzung.

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In Sarajevo sind es vor allem das schlechte Heizmaterial (Hausmüll, Autoreifen, Plastik) und die alten Autos, die zu der Verpestung führen. Sie ist auch eine Folge der Armut. Im Sommer ist die Situation, weil nicht geheizt wird, besser. Doch es gibt andere Städte in Bosnien-Herzegowina, in denen man gerade in der warmen Jahreszeit einem Risiko ausgesetzt ist, wegen der vergifteten Luft an Atemwegserkrankungen oder Lungenkrebs zu erkranken. In Bukinje, einem Vorort der Industriestadt Tuzla, zeigen bereits die Todesanzeigen, die am Ortseingang an Holztafeln hängen, dass viele Menschen hier früh sterben.

Höchste Luftverschmutzung

Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2016 ist Tuzla die Stadt in Europa mit der höchsten Luftverschmutzung. Goran Stojak, der Ortsvorsteher von Bukinje, erzählt von zahlreichen Lungenkrebserkrankungen in der Umgebung. In der Arbeitersiedlung herrscht tiefe Armut. Viele bauen hier ihr Gemüse selbst an, weil sie sonst gar nicht überleben könnten. Tuzla war einst eine stolze Industriestadt, nun sind hier viele arbeitslos, die anderen stehen unter großer Abhängigkeit von den Arbeitgebern. Wer aufmuckt, kann leicht seinen Job verlieren.

Die riesigen Türme des Kohlekraftwerks sind als Erstes zu sehen, wenn man in die Stadt hineinfährt, sie liegen genau gegenüber von Bukinje. Das Kraftwerk wurde in den 1960ern erbaut. In Bosnien gibt es insgesamt vier Kohlekraftwerke. In Tuzla bringen türkise riesige Rohre die verdünnte Schlacke auf die Hügel oberhalb der Stadt, dort wird die Schlacke in riesigen Seen in die Natur entlassen. Das Gras rundherum ist bleich und gelblich gefärbt, die Bäume abgestorben.

Goran Stojak, Präsident der Ortsgemeinschaft Bukinje, sagt: "Anderswo bekommen sie Grippe, bei uns Krebs."
Foto: Sarah Brugner

Stinkendes Gebräu

Aus den Rohren wird fortwährend graues, stinkendes Gebräu gepumpt. Wenn die Schlacke im Sommer trocknet, dann weht der Staub durch die Luft, den die Menschen, die im Umkreis wohnen, einatmen. Die Schlacke dringt auch in das Grundwasser. Und natürlich verunreinigt sie auch die Erde in den Vorgärten.

Nurka Pranic von der medizinischen Fakultät in Tuzla hat erst kürzlich eine Studie zu den gesundheitlichen Auswirkungen gemacht. "Viele Krankheiten stehen mit der Luftverschmutzung in Zusammenhang", erzählt sie dem STANDARD. "Die Anzahl der Lungenkrebserkrankungen ist in der Umgebung der Schlackendeponien und des Kraftwerks viel höher." Laut dem Zentrum für Investigative Berichterstattung (CIN) in Sarajevo lag die Zahl der Menschen, die 2011 an Lungenkrebs starben, in Tuzla sechsmal höher als in anderen Kantonen.

Höhere Unfruchtbarkeit

Im Vergleich mit anderen Stadtteilen von Tuzla ist in der Umgebung des Kraftwerks auch die Rate der Unfruchtbarkeit höher. Menschen leiden eher an Schilddrüsenentzündungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen aber auch an Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität. Pranic meint, dass neben der Luft und dem Wasser auch die Verunreinigung des Gemüses aus den hauseigenen Gärten zu den Erkrankungen beitrage. "In den Haaren der Anwohner kann man die Schwermetalle nachweisen", sagt sie.

In der Umgebung des Kraftwerks von Tuzla ist auch die Rate der Unfruchtbarkeit höher.
Foto: Sarah Brugner

Die Deponien in den Hügeln oberhalb des Kraftwerks gibt es bereits seit Jahrzehnten, allerdings werden die Ablagerungen mit der Zeit natürlich immer größer. Ganze Gräben wurden mit der Schlacke aufgefüllt. Der Umweltschutzexperte Abdel Dozic von der Universität Tuzla warnt vor der Verunreinigung des Grundwassers. Im Sommer, wenn der Schlackenstaub durch den Wind fortgetragen werde, steige zudem die Feinstaubkonzentration extrem an, so Dozic zum STANDARD.

Arsen, Nickel und Blei

In der Kohleasche befänden sich vor allem Arsen, Cadmium, Chrom, Kupfer, Nickel und Blei. "Bisher hat es aber noch keine groß angelegte Untersuchung dieser Elemente vor Ort gegeben. Die Kohleasche wird deshalb nicht als gefährlicher Abfall angesehen."

Foto: Wölfl

Auffallend ist, dass der Boden unter der Schlackendeponie nicht durch Folien geschützt wird. "In Bosnien-Herzegowina gibt es keine Verordnungen, die vorschreiben, wie eine solche Deponie gebaut werden muss", so Ðozic. Eine Untersuchung des Bodens, 2015 von der NGO Zentrum für Energie und Ökologie in Tuzla (CEETZ) durchgeführt, zeigte, dass in der Siedlung Pogorioci der Arsenanteil bei 32,8 Milligramm pro Kilo lag – der Grenzwert liegt bei zehn Milligramm. Die Nickelwerte sind noch erschreckender. Sie lagen in der gleichen Siedlung bei 209,5 Milligramm pro Kilo – erlaubt sind höchstens 50. Ähnlich ist die Chromverseuchung des Bodens. Erlaubt sind höchstens 100 Milligramm – in Pogorioci lag der Anteil bei 325,9 pro Kilo.

2,5 Mio. Tonnen Schlacke

Die NGO schätzt, dass allein zwischen 2010 und 2013 2,5 Millionen Tonnen an Kohleschlacke in der Umgebung deponiert wurde. CIN zufolge entspricht der Gesamtumfang der Deponien 250 Hektar oder 330 Fußballstadien. Die Deponien wurden nur mit einer dünnen Schicht an Erde bedeckt. Nur ein paar Zentimeter darunter tritt die Schlacke zutage.

Wasserproben ergaben eine sehr hohe Verseuchung mit Kupfer und Blei, aber auch mit Cadmium und Chrom.
Foto: Adelheid Wölfl

Das Abwasser läuft zuweilen über einen Kanal in den Fluss Jala in Tuzla. Deshalb kann das Arsen auch das Grundwasser vergiften, Cadmium beschädigt die Leber, Blei wiederum hat negative Effekte auf das Immunsystem und das Nervensystem. Untersuchungen der Luft der NGO CEETZ ergaben, dass der Arsenanteil mancherorts ein Fünffaches über dem Grenzwert lag. Die Wasserproben ergaben eine sehr hohe Verseuchung mit Kupfer und Blei, aber auch mit Cadmium und Chrom.

704 Stunden über Grenzwert

Denis Zisko vom CEETZ weist darauf hin, dass es zwar einen Plan gebe, die Schadstoffemissionen in Bosnien-Herzegowina zu begrenzen, dieser müsse aber erst in zehn Jahren voll umgesetzt werden. "Bei Inversionswetter ist vor allem die Verunreinigung mit Schwefeldioxid ein Riesenproblem. Die politisch verantwortlichen Ebenen spielen den Ball aber hin und her, und so passiert nichts", so Zisko. Die Schwefelstickstoffkonzentration lag laut CEETZ in Tuzla im Jahr 2016 insgesamt 704 Stunden über dem zulässigen Grenzwert. In den vergangenen Jahren hat die Verschmutzung zugenommen.

Daten nicht publiziert

Anes Podic von der NGO Eko akcija (Ökologische Aktion) verweist darauf, dass es keine Informationen darüber gebe, ob die Emissionskontrolle des Kraftwerks aus dem Jahr 2014 effektiv sei. Die EU habe zwar viel für die Software dieses Kontrollsystems bezahlt, aber die Daten seien niemals publiziert worden. Trotz mehrmaliger Anfragen an das Management des Kohlekraftwerks hat dieses dem STANDARD nicht geantwortet. (Adelheid Wölfl aus Tuzla, Video: Sarah Brugner & Michael Luger, 11.5.2017)