Wien/Alpbach – Sebastian Kurz ist offenbar bereit, die ÖVP zu übernehmen, aber nicht zu jedem Preis, wie es heißt. Noch werde parteiintern gar nicht über dessen Bedingungen verhandelt, im Vordergrund steht die Frage, ob die ÖVP überhaupt bereit ist, die Koalition mit der SPÖ fortzusetzen. Stand Donnerstag: eher nein. Das war auch der Tenor bei der Landeshauptleutekonferenz im Tiroler Alpbach.
Man habe "die Nase voll von Zank und Streit", sagte deren Vorsitzender Günther Platter. Das Angebot von Kanzler Christian Kern, mit Kurz eine Reformpartnerschaft einzugehen, sei komplett unglaubwürdig, so der Tenor der VP-Landeschefs. Das deckt sich mit der Meinung der meisten Regierungsmitglieder auf schwarzer Seite, auch jener von Kurz. Er bereite sich bereits auf ein Neuwahlszenario vor.
Sebastian Kurz gibt am Freitag um 11 Uhr eine Erklärung ab. DER STANDARD wird in einem Liveticker berichten.
Im Gespräch mit der "Zeit im Bild 2" forderte der Tiroler Landeshauptmann Platter für Kurz eine "zentrale Rolle" in der Partei: "Es gibt selten einen Politiker, der ein so hohes Ansehen hat, der aber auch schwierige Themen anspricht und Entscheidungen trifft."
Finanzminister Hans Jörg Schelling bringt es auf den Punkt: "Die bisherige SPÖ-Strategie 'Alle gegen Kurz' ist kein inhaltliches Programm. Kerns Angebot zur Reformarbeit ist völlig unglaubwürdig. Kern und die ganze SPÖ haben seit Amtsantritt Sebastian Kurz als Zielscheibe. Kurz persönlich und seine Arbeit. Dabei war jedes Mittel recht, wie die vergangenen Tage gezeigt haben."
Auch Schelling nimmt dabei Bezug auf jenes Posting von Kerns Sohn Niko, in dem dieser der Kurz mit dem ugandischen Diktator Idi Amin verglichen hatte: "Kern hat es kommentarlos zugelassen, dass Kurz mit einem Massenmörder verglichen wurde. Einen Tag später bietet er eine Reformpartnerschaft an", ärgert sich Schelling. "Das ist unglaubwürdig und zeigt, wie unehrlich Kern agiert."
Dass mit dem Wechsel von Reinhold Mitterlehner zu Kurz nun alles besser werde, glaubt Schelling nicht. "Wer, wenn nicht Mitterlehner, ist für Sacharbeit und Konsens gestanden? Trotzdem hat die SPÖ hauptsächlich blockiert. Jetzt plötzlich soll alles anders sein? Das glaubt doch nicht mal Kern selbst, wenn er ehrlich wäre."
Hälfte im Verzug
Auch inhaltlich sei in der Regierung nichts mehr weitergegangen, argumentiert Schelling. Der Finanzminister glaubt nicht, dass sich in der Regierungsarbeit noch etwas zum Besseren wenden könne: "Bei Kerns Dauerwahlkampf blieb die Sache auf verlorenem Posten. Das Regierungsprogramm ist mehr als die Hälfte im Verzug. Und auch das, was im Regierungs-Update vereinbart wurde, wie die kalte Progression als Steuerentlastung, hat die SPÖ danach wieder blockiert." Schelling: "Was will Kern nun also Neues anbieten, was mit Mitterlehner nicht zu schaffen war?"
Kurz selbst ist zwar bereit, den Posten des ÖVP-Chefs zu übernehmen, möglicherweise aber nur, um die Partei in vorgezogene Neuwahlen zu führen. Den Vizekanzler, sollte die ÖVP dann überhaupt noch einen haben, könnte etwa Schelling übernehmen. Möglich ist aber auch, dass Kern nach einem Koalitionsbruch eine Minderheitsregierung installiert.
Ebenso wie die anderen Regierungsmitglieder glaubt Kurz nicht daran, dass mit der SPÖ eine echte Partnerschaft möglich sei. Diese Frage wird derzeit in der ÖVP intensiv diskutiert, eingebunden seien die Regierungsmannschaft, die Landeschefs der Partei und die Chefs der Bünde. Kurz berät sich auch intensiv mit seinen Vertrauten aus der Jungen Volkspartei, die er offenbar maßgeblich in die Gestaltung eines Wahlkampfes einbinden will.
Die Überlegung, den Parteivorstand vorzuverlegen, wurde wieder verworfen, erst am Sonntag soll die endgültige Entscheidung fallen. Diese könnte am Montag der Öffentlichkeit präsentiert werden. Auch Kanzler Kern stellt sich bereits auf Neuwahlen ein.
Kurz stellt Bedingungen
Kurz will die Partei freilich nicht ohne Bedingungen übernehmen. So, wie die ÖVP derzeit aufgestellt sei, wo jeder nur seine Pfründe verteidige und Partikularinteressen im Auge habe, könne es jedenfalls nicht weitergehen. Sollte die Partei ihrem Wunschkandidaten nicht entsprechend entgegenkommen, gebe es für diesen auch einen Plan B: Ausstieg aus der Politik, möglicherweise ein Jahr USA.
Der 30-Jährige will zwar nicht die ÖVP auf den Kopf stellen und die Bünde gänzlich abschaffen, deren Einfluss aber zurückdrängen. Bei Personalentscheidungen müsse er freie Hand haben, ohne darauf achten zu müssen, wer aus welchem Land oder welcher Teilorganisation kommt. Bei der inhaltlichen Linie will Kurz zwar auf die innerparteiliche Diskussion setzen, der Volkspartei dabei aber Vorgaben nach seinen Vorstellungen machen. Das hieße auch, die Partei zu öffnen.
Die Landeshauptleute der ÖVP haben sich am Donnerstagabend klar für Kurz ausgesprochen. Niederösterreichs Johanna Mikl-Leitner kann ihn sich "als Bundesparteiobmann vorstellen". Oberösterreichs Thomas Stelzer wurde noch deutlicher: "Wir brauchen einen starken Parteiobmann, der die ÖVP führt." Dazu müsse Kurz "entscheidungsfähig sein". Im Vorfeld der Konferenz haben die VP-Landeshauptleute vereinbart, ihm die Möglichkeit einzuräumen, die Partei zu gestalten, sagt Platter. Wie weit die Gestaltungsmöglichkeiten gehen sollen, blieb offen. Einig war man sich, dass Kurz entscheiden müsse, ob er die Rollen des Parteiobmannes und Vizekanzlers einnehmen wolle.
Partei oder Bewegung
Kurz hat bereits seine Sympathien für eine Wahlbewegung, wie sie Emmanuel Macron in Frankreich gegründet hatte, durch blicken lassen. Bekannt ist auch, dass Kurz vor einiger Zeit mit den Neos und der ehemaligen Prä sidentschaftskandidatin Irmgard Griss über eine gemeinsame Wahlplattform verhandelt hatte, was sich allerdings aufgrund von unterschiedlichen Vorstellungen zerschlagen hat. Auch damals schon wollte Kurz Durchgriff auf die Listenerstellung. Das könnte auch ein Knackpunkt in der ÖVP werden. Der Parteiobmann kann zwar die Bundesliste nach seinen Vorstellungen gestalten, hat aber keine Möglichkeit, bei der Erstellung der Landeslisten für eine Nationalratswahl einzugreifen. Das will Kurz, hat hier aber teilweise den Widerstand der Länder (noch) gegen sich. (Michael Völker, Steffen Arora, 11.5.2017)