Für Sprinter ist die 113 Meter lange und gut acht Meter breite Trainingshalle in der Südstadt groß genug. Für Weißhaidinger insofern auch, als sein Diskus in einem Netz landet.

Foto: ÖOC/Johannes Kernmayer

Weißhaidinger freut sich über den neuen Wurfkreis in der Südstadt.

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Trainer Gregor Högler filmt oft mit und speichert unzählige Daten ab.

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Südstadt – Lukas Weißhaidinger steht in einer Lacke, die Lacke befindet sich auf einer kreisrunden Betonfläche, und der Kreis, ein Wurfkreis mit 2,5 Meter Durchmesser, liegt auf einer Wiese am Rande des Bundessportzentrums in der Südstadt. Einige Meter weiter ist ein Bagger aufgefahren, mit dem Kreis allein ist es schließlich nicht getan, es müssen noch Stützen und ein Netz her, sonst wirft Weißhaidinger seinen Diskus am Ende auf die Triester Straße. Der Innviertler, der im Herbst nach Wien übersiedelt ist, hat derzeit viel Grund zur Freude. In der Südstadt stellen sie ihm eine neue Wurfanlage hin, die er bald schon nutzen kann, und in Schanghai wirft er am Samstag beim ersten Diskusbewerb der großen Diamond-League-Serie mit.

Hinter Schanghai stand lange ein Fragezeichen, Weißhaidinger war zunächst nicht eingeladen. Das hat ihn gewurmt, immerhin hatte er sich als Olympiasechster in Rio de Janeiro im August in der Weltspitze etabliert. Danach gewann er das Istaf-Meeting in Berlin, beim Diamond-League-Finale in Brüssel belegte er ebenso Rang drei wie heuer in Berlin in der Halle. Beim Freiluftsaisonauftakt im März auf Gran Canaria ließ er wieder alle Gegner hinter sich und schaffte mit 65,73 Metern auf Anhieb das Limit für die WM (London, August). So gesehen hat er sich die Schanghai-Einladung redlich verdient.

Allerdings tun in China nur acht Diskuswerfer mit, unter ihnen alle Medaillengewinner von Rio und von der WM 2015, kurz: die Crème de la Crème. In den Diskusbewerben der Golden-League-Meetings in Schanghai, Oslo, Stockholm und London geht es um je 50.000 Dollar Preisgeld, 10.000 streift allein der Sieger ein. Beim Finale in Brüssel werden 100.000 Dollar ausgelobt, die Hälfte davon für den Sieger.

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Für Weißhaidinger klingt das nach sehr viel Geld, ist das sehr viel Geld. Doch nicht nur deshalb ist während des Trainings in der Südstadt immer wieder ein Funkeln in seinen Augen zu sehen. Der 25-Jährige aus Taufkirchen an der Pram fühlt sich in Bestform, fühlt, dass dieses Jahr sein Jahr werden könnte. "Man soll groß träumen", sagt er und fügt hinzu: "Erfolge können schon ein bisserl süchtig machen." Sein Leben verläuft in geordneten Bahnen, auch weil die Freundin, eine angehende Volksschullehrerin, mit ihm nach Wien übersiedelt ist. Weißhaidingers früherer Heimtrainer Josef Schopf, der Sepp, ist in Oberösterreich geblieben, er firmiert jetzt unter Assistenzcoach, gehört "nach wie vor zur Mannschaft", sagt der Werfer.

In der Südstadt wird Weißhaidinger von Gregor Högler betreut. Der ehemalige Speerwurf-Olympiateilnehmer (2000) und jetzige Sportdirektor des Verbands (ÖLV) sorgte mit ÖLV-Generalsekretär Helmut Baudis dafür, dass in Maria Enzersdorf eine Infrastruktur entstand, die den Leichtathleten schon einiges gebracht hat und noch mehr bringen soll.

2015 wurde binnen Monaten eine Trainingshalle aus dem Boden gestampft, der Boden war ursprünglich eine Gstätten zwischen zwei Fußballplätzen. Högler, ein Techniker und Tüftler, hatte die Pläne für die Halle selbst binnen 21 Stunden gezeichnet, sie ist 113 Meter lang und 8,15 Meter breit, ein kleiner Kraftraum, sechs Laufbahnen, eine Weitsprung-, eine Hochsprunganlage und ein Wurfkreis sind sich ausgegangen. Der Diskus oder Speer fliegt nicht so weit wie im Freien, sondern in ein Netz. Zum Aufwärmen und zur Vorbeugung von Verletzungen absolviert Weißhaidinger etliche Übungen, er steigt und springt über Hürden und sprintet die Treppe hinauf, die außen aufs Dach der Halle führt.

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Die 144 Kilogramm sind dem 1,96 Meter großen Athleten nicht anzusehen, weil er durchaus behände daherkommt. "Er ist schnell", sagt Högler, "und er ist nerval ansprechbar." "Ich definiere mich nicht über die Kraft", sagt Lukas Weißhaidinger. "Wir sehen uns als Techniker. Ich gehörte nicht zu den Stärksten, aber ich bin einer der besten Werfer. 90 Prozent unserer Gespräche drehen sich um Technik." Högler: "Der Luky ist in den Beinen so stark, dass ich den Motor von unten aufziehen kann. Und er ist in der Birne stark."

Die Birne, der Kopf, setzt sich mit Physik auseinander. "Physik hat mir Gregor beigebracht", sagt Weißhaidinger. "Physik ist entscheidend", sagt Högler. Der Werfer hat als Maschinenbauer gearbeitet, der Trainer hat Maschinenbau studiert, das ergänzt sich. Weißhaidinger: "Talent allein nützt nichts. Mit Talent wirfst du nicht weiter als 60 Meter."

Sein Rekord liegt bei 67,24 Metern, er hat ihn im August 2015 bei einem eigens in Schwechat angesetzten Meeting und bei günstigem Wind erzielt. In Rio war er mit 65,86 Metern Zweiter der Qualifikation, im Finale kam er auf 64,95 Meter. "Wir sind näher bei siebzig als bei sechzig", sagt Högler. Weißhaidinger ist beim Bundesheer abgestellt, wird von Sponsoren (Energie AG, Rieder Bier), von der Sporthilfe und vom ÖOC unterstützt, dessen "Mobilitätspartner" Toyota ihn mit einem eigenen Auto ausgestattet hat. Weißhaidinger kommt "über die Runden". Högler: "Es bleibt nichts über." Daran könnte die Diamond League etwas ändern. "Niemand wirft Diskus, um reich zu werden", sagt Högler.

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Am Ende des Trainings in der Südstadt steht Lukas Weißhaidinger auf einer Wiese, er nimmt eine vier Kilogramm schwere Kugel in beide Hände. Er steht mit dem Rücken zur Wurfrichtung, beugt sich hinunter und schleudert die Kugel über seinen Kopf nach hinten. Viermal. Alle Kugeln landen nach 27 Metern, eine enorme Weite, innerhalb eines Quadratmeters, eine enorme Konstanz. Die Augen funkeln. Der Körper soll sich in Schanghai nicht groß umstellen. Gestern sind der Werfer und sein Coach ins Flugzeug gestiegen, heute steigen sie aus, am Montag sind sie zurück. Lukas Weißhaidinger ist auf dem Weg. (Fritz Neumann, 12.5.2017)