Gezeichnet von neun Wochen Hungerstreik: Die Hochschullehrerin Nuriye Gülmen will ihren Job zurückhaben. Der wurde ihr per Notstandsdekret gekündigt.

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Ankara/Athen – Dem türkischen Premier sagten die Namen nichts. "Sind sie im Gefängnis?", soll Binali Yıldırım gefragt haben. Auch für Regierungssprecher Numan Kurtulmuş, der als das soziale Gewissen in der konservativ-islamischen Regierungspartei gilt, waren das Neuigkeiten. Dabei sitzen die Hochschullehrerin Nuriye Gülmen und ihr Kollege Semih Ökçak seit einem halben Jahr vor dem Denkmal für Menschenrechte in der Yüksel Caddesi, einer der Café- und Restaurantstraßen im Zentrum Ankaras. Seit neun Wochen sind sie im Hungerstreik.

Gülmen und Ökçak sind nicht die Einzigen in der Türkei, die gegen die politischen Säuberungen und Massenentlassungen protestieren. Doch der Gesundheitszustand der beiden gefeuerten Lehrer verschlechtert sich nun so sehr, dass eine Welle der Solidarität durchs Land geht.

"Hungern nach Gerechtigkeit"

Die türkische Popsängerin Sezen Aksu stellte sich hinter die Hungerstreikenden, ein Dutzend prominenter Schauspieler meldete sich per Video mit einer Solidaritätsadresse an Gülmen und Ökçak zu Wort. "Sie hungern nicht nach Essen, sondern nach Gerechtigkeit", lautet ihre Botschaft an die türkische Bevölkerung. Twitter in der Türkei läuft seit Tagen über mit unterstützenden Aufrufen für das Duo. In der Türkei von Tayyip Erdoğan, wo die Behörden längst genau protokollieren, wer im öffentlichen Raum was sagt und schreibt, ist das keine Kleinigkeit. Alles kann in einer Gerichtsakte landen.

An der Istanbuler Bosporus-Universität begannen Studenten am Donnerstag mit einem Hungerstreik. Vier Abgeordnete der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP taten dies am Vortag, wenn auch nur für 24 Stunden. Es war der Parteivorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu, der Premier und Regierungssprecher diese Woche am Rande einer Zeremonie gefragt hatte, ob der Fall der beiden Lehrer denn nun überprüft worden sei. Kılıçdaroğlu traf auf ahnungslose Gesichter, so berichtete die regierungskritische Zeitung "Cumhuriyet".

Job per Notstandsdekret verloren

Die 35-jährige Dozentin Gülmen begann schon im November vergangenen Jahres ihren Protest in der Fußgängerzone in der Innenstadt von Ankara. Ökçak, ein Grundschullehrer aus Mardin im kurdischen Südosten, schloss sich ihr an. Gülmen, eine Literaturwissenschaftlerin, hat den Ruf einer streitbaren, politisch links stehenden Hochschullehrerin. An ihrer früheren Universität gewann sie einen Prozess um Wiederanstellung.

Als sie 2016 eine neue Stelle an einer Uni in Konya in Zentralanatolien antrat, wurde sie einen Tag später bereits suspendiert – wegen angeblicher Zugehörigkeit zum Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen. Ein absurder Vorwurf, sagt Gülmen. Ökçak wiederum wird beschuldigt, für die PKK zu arbeiten. Beide Lehrer verlieren am Ende per Notstandsdekret ihren Job. 130.000 Beamten ist es seit dem Putsch vom Juli vergangenen Jahres so ergangen. (Markus Bernath, 12.5.2017)