"Majestät und Mutter": Gerti Dressl als Maria Theresia zum 300. Geburtstag am 13. Mai.

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Dass die Kaiserin einer europäischen Großmacht viel zu tun hatte, davon musste man ausgehen. Aber noch nie ist eine moderne Biografie so klug ins Detail gegangen wie Barbara Stollberg-Rilingers großes Buch über Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Die Regentin, die Österreich (damals noch mit ungarischem "Unterfutter" und zahlreichen Anhängseln) durch den größeren Teil des 18. Jahrhunderts brachte, ist schon vielfach als Identifikationsfigur und natürlich als Landesmutter (heute würde man sagen: "Landesmutti", und zwar weit darüber hinaus, dass sie fast "alle Zeit gesegneten Leibes" war, also ständig schwanger) betrachtet und gelesen worden.

Doch die kanonische Lebensgeschichte zum Jubiläum wird die der deutschen Ausnahmehistorikerin sein: Barbara Stollberg-Rilinger, Leibnizpreisträgerin im Jahr 2005, Professorin an der Universität Münster, ausgewiesene Kennerin des Alten Reichs, hat in Maria Theresia eine Figur an der Schwelle zur Aufklärung gefunden, die noch tief in den ständischen Ordnungen der alten Regimes verwurzelt war. Aber sie wollte doch gut regieren, und das hieß in der Logik der Zeit: gut verwalten, damit alles möglichst so bleiben konnte, wie es in dem höchst volatilen Europa der dynastischen "Pouissancen" nun einmal vertikal eingerichtet war. Wenn sie nicht gerade Kriege führen musste, wie es das zentrale Metier des Herrschens verlangte, ging Maria Theresia wirklich in die Details.

Anregungen zur Ausrottung der Spatzen

Stollberg-Rilinger erwähnt ein Papier mit der Überschrift "Allerhöchste Entschließungen zur Belebung der Industrie, des Handels, der Fabriken und Manufakturen in den Kayserlich Königlichen Erbstaaten". Heute würde man von einem Konjunkturpaket sprechen, nur mit dem Unterschied, dass damals nicht so sehr Gelder ausgeschüttet wurden als Vorschriften und Anregungen (etwa bezüglich der Ausrottung der Spatzen). Selbst so etwas wie eine verstaatlichte "Industrie" gab es damals schon, wenngleich in kleinerem Maß, und mit einer sozialpolitischen Note: 1751 wurde in Lichtenwörth nahe Wiener Neustadt die Nadelburg eingerichtet, eine Werkssiedlung, in der man auch Waisen aus dem Wiener Bürgerspital unterbringen konnte. Dass die Kaiserin an solchen Projekten höchstpersönlichen Anteil nahm, jedenfalls durch genaue Lektüre der Inspektionsberichte, ehrt sie, und lässt die Leserinnen und Leser der Biografie ihr gleichsam ständig über die Schulter und in ihre Akten schauen.

Die Komplexität frühneuzeitlichen Regierens zeigt sich bei Stollberg-Rilinger immer wieder, zum Beispiel dort, wo Maria Theresia mit Dekreten versuchte, die "Zigani" in "Neusiedler" zu verwandeln – wann hat man, fragt man sich an so einer Stelle, eigentlich zum letzten Mal darüber nachgedacht, warum der Neusiedlersee Neusiedlersee heißt? Eben.

Die Zigani bekamen Land zugeteilt, durften dafür aber keine Kutschen mehr besitzen. So sollten die Zigeuner "domiciliert" werden, was auch den Vorteil mit sich brachte, dass man sie hätte besteuern können. An den südöstlichen Ausläufern waren die Erbstaaten ja noch deutlich vormoderner als in Wien oder in Prag, und nicht immer ging es nur darum, dort die Rationalität zeitgenössischer Betriebswirtschaft einzuführen. Immer wieder musste Maria Theresia auch froh sein, wenn sie einen lokalen "Warlord" ihren regulären Truppen voranschicken konnte.

Versuch einer Entmonumentalisierung

Barbara Stollberg-Rilinger will die Kaiserin entmonumentalisieren, das heißt, in Abkehr von Nietzsches "monumentalischer Historie", die überall Vorbilder sucht, will sie eine Figur nahebringen, die auch fremd bleiben darf – und sich einem "gleichsam ethnologischen Blick" erschließt, der die Differenz zwischen damals und heute nicht verschleift. Das gelingt deswegen so gut, weil sich dauernd Vergleiche zur Gegenwart nahelegen, man dann aber in diesen Vergleichen die Unterschiede besser begreift – das unentwegte Feilschen zwischen Regenten und Ständen mag man mit dem heutigen prozeduralen Alltag einer dauertagenden EU zusammenbringen, es fand aber vor dem Hintergrund eines Weltverständnisses statt, in dem Besitz und Recht in einer hierarchischen, letztendlich von höchster Gewalt herkommenden Ordnung begründet war. Auch der unentwegte Aufschub von ungelösten Fragen hat zugleich etwas Modernes und etwas Altertümliches.

Stollberg-Rilinger bemüht sich nach Kräften, die vielen namenlosen Subjekte, die von der Geschichte dabei zerrieben wurden, nicht zu unterschlagen, aber die Grenzen einer Sozialgeschichte werden gerade auch in einem Buch deutlich, das sich stark auf die Aktenwut einer zunehmend stärker bürokratisierten Staatsführung stützen kann. Selbstverständlich gilt ein erweiterter Aktenbegriff, sodass auch Druckerzeugnisse, die später eine Kakaofirma ihrem Produkt beilegte, und in denen Maria Theresia in einer Schlüsselszene ihrer frühen Herrschaft vor dem ungarischen Landtag 1741 zu sehen ist, berücksichtigt werden. Allzu fremd wird Maria Theresia nach diesem grundvernünftigen Buch nicht mehr sein, das man (mit einem zweifelhaften, aber aus der Epoche gut herleitbaren Witz) als Ausdruck preußischer intellektueller Tugenden verstehen könnte. Dass sich dafür so zahlreiche Leserschaft findet, dass das Buch sogar auf Bestsellerlisten auftaucht, ist ein gutes Zeichen nicht nur für den Buchmarkt, sondern für Österreich und Europa. (Bert Rebhandl, 13.5.2017)