In der Distributionslogistik ist die Digitalisierung noch nicht angekommen, wie Karl F. Dörner feststellt, der sich an der Uni Wien mit intelligenten Methoden und Planungsalgorithmen für komplexe Probleme im Supply-Chain- Management beschäftigt.

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Karl Dörner: "Mobile Hubs haben die besten Chancen, weil sie sich nach der Auftragslage richten."

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STANDARD: Wie wird die Digitalisierung die Logistikbranche aus Ihrer Sicht verändern?

Karl Dörner: Bis die Veränderungen ankommen, wird es noch dauern. Schon durch die Digitalisierung der industriellen Produktion hat sich die Vernetzung der Fertigungsmaschinen als mühsamer erwiesen als gedacht. Jedes größere Industrieunternehmen setzt aber beispielsweise bereits zumindest sogenannte Enterprise Resource Planning (ERP) oder Advanced Planning Systems (APS) ein, die den ganzen Produktionsablauf digital abbilden. In der Distributionslogistik gibt es derartige Standards noch nicht. Auch Tourenplanungssoftware wird erst in einem geringen Ausmaß eingesetzt. In der Produktion ist man schon weiter, die Logistik wird später folgen.

STANDARD: Manche Wissenschafter haben visionäre Ansätze wie das "Physical Internet" auf Lager, bei dem Waren ähnlich Datenströmen über den Globus dirigiert werden. Wie soll das funktionieren?

Dörner: Benoit Montreuil, Logistik-Professor am Georgia Institute of Technology, der dieses Konzept des "Physical Internet" vorschlug, hat damit in der wissenschaftlichen Community viel Erfolg. Es geht darum, dass man Waren über standardisierte Boxen versendet, von denen man nicht genau weiß, welchen Weg sie über den Globus nehmen – auch nicht, ob sie per Schiff, Bahn oder Lkw unterwegs sind. Die Steuerung dahinter funktioniert autonom durch ein intelligentes Routingsystem. Das Prinzip ähnelt der Funktionsweise des Internets: Wer eine E-Mail versendet, weiß auch nicht, über welche Knotenpunkte das läuft.

STANDARD: Glauben Sie, dass ein derartiges System Wirklichkeit werden kann?

Dörner: Man steht dabei etwa vor der Riesenaufgabe, entsprechende Planungsalgorithmen zu entwickeln. Man würde sogenannte intelligente Multiagentensysteme benötigen, die für Millionen Sendungen den besten Weg finden. Die autonom agierenden Agenten würden dann verhandeln, wie Aufträge ausgeführt werden. Davor hat man aber noch ein anderes Problem: Um ein globales Optimum zu erreichen, müssten viele Akteure ihre Daten bereitstellen. Und gerade in der Supply-Chain-Logistik ist es schwierig, Daten von anderen Unternehmen zu bekommen. Dass man das ganze Transportsystem auf ein autonomes Physical Internet umstellt, wird eine Vision bleiben. Einige Aspekte könnten sich aber durchaus auch in der Praxis niederschlagen.

STANDARD: Wie könnten praxisorientierte Ansätze aussehen?

Dörner: Wir haben etwa ein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt laufen, das sich um eine faire und effiziente Verteilung von Ressourcen und Transportaufträgen zwischen Unternehmen dreht. Da geht es zuerst einmal darum, dass zwei Akteure zusammenarbeiten. Später sind es dann drei oder vier. Wir schauen uns an, wie man für alle Beteiligten faire Lösungen erzielen kann, wenn man Information teilt. Dass solche Ansätze in Zukunft Teil der logistischen Praxis sein werden, kann ich mir durchaus vorstellen.

STANDARD: Eine verstärkte Kooperation zwischen Transportunternehmen wird auch im Bereich der City-Logistik diskutiert. Sehen Sie eine Zukunft für gemeinsame Verteilzentren in den Stadtzentren, um den Verkehr zu minimieren?

Dörner: Ich kann mir schwer vorstellen, dass sich gemeinsame Hubs tatsächlich durchsetzen. Viele dieser Projekte sind wieder verschwunden, nachdem die Förderungen ausliefen. Wir versuchen in einem unserer Projekte, einen anderen Weg zu gehen. Wir schlagen darin mobile und temporäre Hubs vor. An diesen Orten wird von Lkws in kleinere Zustellfahrzeuge – etwa auf Elektroautos oder Lastenfahrräder umgeladen. Das kann einfach ein Parkplatz sein, wo sich die Fahrzeuge treffen. Der optimale Ort des Umschlags wird je nach Auftragslage individuell errechnet. So kann man die umweltschonenden Stadtfahrzeuge, für die die Verteilungslager außerhalb der Stadt unerreichbar sind, bestmöglich nutzen. (Alois Pumhösel, 20.5.2017)