Christian Benesch fotografierte Patrick Grüll vor seinem Feinkostgeschäft in der Linzer Innenstadt.

Foto: Christian Benesch

Am Augartenspitz im zweiten Wiener Gemeindebezirk ist es laut. Nicht nur, weil sich dort Tabor- und Obere Augartenstraße treffen oder die Wiener Sängerknaben in ihrer Konzerthalle proben. Es ist ein Ladenlokal, aus dem Musik dröhnt, lautes Lachen und das Geräusch des Mahlwerks, das die Kaffeebohnen zu feinem Pulver vermahlt, bevor sie als italienischer Espresso in der Tasse zu landen. Der Kaffee ist aber nicht der einzige Grund, warum Passanten immer wieder stehenbleiben und einen Blick in das kleine Feinkostgeschäft mit blauen Majolikafliesen an den Wänden und riesiger Glasvitrine im Eingangsbereich riskieren. Dario und Luca Formisano verkaufen hier seit dem Vorjahr sorgfältig ausgesuchte Feinkost aus Italien.

Die Vitrine ist prall gefüllt mit allerlei Köstlichkeiten wie Porchetta aus der Toskana oder Schinken vom italienischen Cinta-Senese-Schwein. Industrieware kommt dem aus Neapel stammenden Brüderpaar nicht ins Geschäft. "Bis der Schinken von diesem Schwein fertig ist, dauert es fünf Jahre. Der Bauer in Urbino schlachtet nur 30 Schweine im Jahr, und wir bekommen einen einzigen Schinken", sagt Luca Formisano.

Feinkost aus Italien gibt es im Monte Ofelio in der Oberen Augartenstraße in Wien.
Foto: Alex Stranig

Aus dem Mandelmehl, das von einem Biohof auf Sizilien kommt, macht eine befreundete Konditorin regelmäßig frische Torta Caprese. Und eingelegtes Gemüse beziehen die Brüder von NCO, einem Sozialprojekt, bei dem unter anderem Langzeitarbeitslose Gemüse auf konfiszierten Feldern der Camorra anbauen.

"Wir möchten kleine lokale Produzenten unterstützen. Die Produkte sind alle natürlich. Unsere Eltern wohnen seit einigen Jahren auf dem Land in Sessa Aurunca. Durch sie haben wir viele Produzenten kennengelernt. Wir hatten also schon ein gutes Netzwerk von Leuten, von denen wir wissen, wie sie arbeiten, und die uns kennen. Das hat uns die Auswahl der Waren sehr leicht gemacht", sagt Dario Formisano, der zuvor in der Modebranche tätig war.

Zurück zu den Wurzeln

Warum sie ausgerechnet in Wien italienische Feinkost verkaufen? Es liege an ihren Wurzeln: Ihre Mutter ist gebürtige Wienerin, und die Stadt ist ihnen nicht unbekannt. Neben tollen Produkten wollen die Neounternehmer aber vor allem das Dolce Vita in die Hauptstadt bringen.

"Das typisch italienische Grätzelgefühl gibt es auch in Wien. Und es funktioniert gut. Die Leute mögen es, wenn man sich kennt", sagt Luca Formisano. "Wir bedienen natürlich das italienische Klischee: Wir sind laut, und wir denken die ganze Zeit an Essen. Vielleicht ist es das, was unsere Kunden so gern mögen", ergänzt sein Bruder, während gerade ein Anruf aus Italien eingeht – es gibt frische Trüffel, die prompt bestellt werden.

Brot mit vielerlei Köstlichem aus Italien im Monte Ofelio.
Foto: Alex Stranig

Wesentlich ruhiger, aber keineswegs weniger lukullisch geht es bei Lorenz Schrei zu. Der junge Unternehmer, der zuvor lange Zeit in einem italienischen Feinkostgeschäft in der Wiener Innenstadt Delikatessen verkaufte, tut dies nun im eigenen Geschäft in der Schönbrunner Straße in Margareten.

Viele Produzenten kommen persönlich vorbei, um den Feinkosthändler von ihren Produkten zu überzeugen. "Letzte Woche war ein junger Mann da, der eigentlich in der Medienbranche arbeitet, aber nebenbei richtig gutes Kürbiskernöl produziert. So etwas finde ich toll. Es gibt aber auch Produkte, die nicht zu mir passen. Ich verkaufe nichts, was ich nicht selbst auch kaufen würde", sagt Schrei.

Belegte Brote

Vom Verkauf der Produkte alleine könne er aber nicht leben, wie er sagt. Also gibt es auch kleine Platten mit allerlei kalten Köstlichkeiten oder großzügig belegte Brote. "Ich bin Gastgeber und zeige den Kunden gerne, wie die Produkte schmecken. Im Moment kommen 70 Prozent der Gäste vorbei, um etwas zu trinken und zu essen. Natürlich nimmt der eine oder andere auch ein Produkt mit nach Hause", sagt Schrei, während er den luftgetrockneten Schinken vom Fleischer Hödl hauchdünn auf einem Brot mit frischem Kren drapiert.

Dass man mit dem Verkauf von Lebensmitteln alleine nicht mehr überleben kann, zeigt das viel zitierte Greißlersterben. Neben dem Preisdruck können kleine Lebensmittelgeschäfte auch bei Auswahl und Frische betrifft kaum mit den Großen mithalten. Man ist es gewohnt, in einen Supermarkt zu gehen und alles zu kaufen, was man für den Kühlschrank und die Speisekammer braucht. Und weil gerade Aktionswochen sind, wird der Kugelgrill auch gleich mit nach Hause genommen.

Bei Delikatessengeschäften sieht es mitunter nicht viel besser aus. Selbst alteingesessene Feinkostgeschäfte in Wien sperren der Reihe nach zu. Unlängst räumte Feinkost Böhle in der Wiener Wollzeile seine Räumlichkeiten. Zuvor schmiss der bekannte Delikatessenhändler Gourmet Cornelius das Handtuch.

Alleinstellungsmerkmal

Kleine Geschäfte müssen erfinderisch sein, um Kunden zu gewinnen und vor allem zu halten. Sie brauchen ein Alleinstellungsmerkmal, um zahlungskräftige Kunden anzulocken. Das Brot von Holzofenbäcker Helmut Gragger zum Beispiel hat es in Wien mittlerweile zum Must-have des ernährungsbewussten Städters geschafft. Menschen stehen am Wochenende teilweise Schlange, um einen der begehrten Laibe zu ergattern.

Seit kurzem gibt es das Brot auch in der neuen Warenhandlung, einem Feinkostgeschäft in der Marxergasse. Die Schwestern Stephanie Wanits und Christiane Wenighofer haben sich neben ausgesuchten Produkten wie Gemüse, Milch und Eiern bewusst dafür entschieden, auch Graggers Brot in ihrem offenen und sehr modern anmutenden Laden zu verkaufen.

Mit Brot Kunden anlocken

"Das Brot ist ein Zugpferd, weil viele Kunden es kennen und deshalb hereinkommen. Gutes Brot ist den Leuten wichtig. Allein mit der Greißlerei wäre es wahrscheinlich schwieriger", sagt Wanits. Auch kleines Gebäck wie das Buttersalzstangerl, das Helmut Gragger unlängst Prinz Charles bei dessen Wien-Besuch in die Hand drückte, wird hier feilgeboten. Das "royale" Stangerl, wie der Bäcker es selbst nennt, wird in einem Steinofen direkt im Geschäft aufgebacken. "Die zwei Mädels haben mich sofort begeistert. Es hat persönlich gleich gepasst", sagt Gragger, der gerade auf einen Überraschungsbesuch vorbeischaut.

Was den Unternehmerinnen neben gutem Brot noch wichtig war: das möglichst verpackungsfreie Einkaufen im Sinne des Zero-Waste-Gedankens. Im hinteren Bereich des Ecklokals stehen riesige Spender mit Nudeln und Getreide. Tee oder Kuvertüre kann man aus einem großen Glas in kleine Behälter füllen. Und selbst Milch und Joghurt werden in Pfandgläsern ausgegeben. Aus der Gastronomie kommt keine von beiden. Das Geschäft sei aber eine logische Konsequenz gewesen, wie sie sagen. "Unsere Eltern waren totale Genussmenschen. Das haben sie uns mitgegeben. Bewusste Ernährung war immer ein Thema", sagt Christiane Wenighofer.

Eines haben die Schwestern mit allen übrigen Feinkosthändlern gemein: die üppig gefüllte Glasvitrine, aus der sie Schinken, Wurst oder Käse entnehmen und frisch aufschneiden. Sie ist quasi das Herzstück und unterscheidet ein Feinkostgeschäft von einem klassischen Gemischtwarenhändler. Manche gehen noch einen Schritt weiter und bereiten sogar warme Gerichte in ihrem Geschäft zu, wie Patrick Grüll, der in der Linzer Innenstadt seit zwei Jahren Delikatessen verkauft.

Patrick Grüll beim Zubereiten von "worauf man Lust hat".
Foto: Alex Stranig

"Diese zwei Induktionsplatten hat mir ein Freund geborgt", sagt Grüll. Im selben Atemzug wirft der junge Mann mit Tattoos und Piercing eine Lammhüfte in die heiße Pfanne, als hätte er nie etwas anderes gemacht. "Die habe ich gerade frisch bekommen." Eine Karte sucht man in "Patricks Feinkost" vergebens. Gekocht wird, worauf man gerade Lust hat und was gerade da ist. Das Produktsortiment hat sich mittlerweile drastisch verkleinert, weil Grüll gemerkt hat, dass die Leute lieber Zeit in seinem Geschäft verbringen, als schnell ein Produkt zu kaufen.

"Ich habe irgendwann begonnen, das zu machen, was mir und den Gästen Freude bereitet: kleine Gerichte mit ausgewählten Zutaten aus dem Geschäft kochen und dazu ein Glas Wein oder Bier servieren. Schnell geht hier gar nichts. Ich zwinge die Leute, sich Zeit zu nehmen. Das ist wichtig, wenn es um bewussten Genuss geht."

Austern und Kaviar

Das Highlight sind die bretonischen Austern, die in einem riesigen Becken im Geschäft liegen und die der Feinkosthändler mit Limette oder selbstgemachter Vinaigrette serviert. Zwei bis acht unterschiedliche Sorten sind immer frisch verfügbar. Und natürlich gibt es auch den Kaviar von Vater Walter Grüll, dem bekanntesten heimischen Kaviarproduzenten, in dessen Betrieb der Sohn nicht mitarbeiten wollte.

"Mein Vater hat mich gelehrt, ein Freigeist zu sein. Ich glaube, das hat er irgendwann bereut. Viele Dinge habe ich damals nicht verstanden und wollte meinen Kopf durchsetzen. Heute weiß ich, dass mein Vater sehr viel richtig gemacht hat. Trotzdem bin ich froh, dass ich mein eigenes Ding durchgezogen habe", sagt der Unternehmer stolz, der sich selbst erst einen Namen in der oberösterreichischen Hauptstadt machen musste. Viel laufe über Mundpropaganda, ist er überzeugt.

Das Persönliche ist wichtig

Die ist auch für Wiener Feinkosthändler wichtig. Vor allem, wenn sie sich nicht in den bekannten Bobo-Bezirken ansiedeln. Die gebürtigen Grazerinnen Michaela Haas und Susanne Leder stellten sich der Herausforderung und eröffneten ein Feinkostgeschäft weit oben im 18. Wiener Gemeindebezirk. Gerade haben sie frischen Bröseltopfen von der Biokäserei Höflmaier aus Lochen in Oberösterreich bekommen. "Die Leute lieben den Topfen. Beim nächsten Mal müssen wir mehr bestellen", sagt Susanne Leder.

Alle Produkte im Geschäft sind bio, das war den Betreiberinnen wichtig. Und nicht nur das: "Die Kunden sollen bei uns mehr Infos bekommen als in einem normalen Geschäft. Das macht es persönlich und schafft Vertrauen", ist Michaela Haas überzeugt. Auf das frische Fleisch von der Boa-Farm im Weinviertel sind sie besonders stolz. Daniela Wintereder und Fred Zehetner züchten dort unter anderem Galloway- und Aberdeen-Angus-Rinder. Das frische Fleisch gehe vor allem in der Grillsaison sehr gut. Was nicht verkauft wird, verkochen die Unternehmerinnen für das Mittagessen, das es bei den "Marktweibern" täglich frisch gibt. Das bedeutet auch, dass die Tage sehr lang sind.

"Man muss das schon gerne machen. Sonst steht man nicht zwölf Stunden am Tag im Geschäft. Ich komme am Abend nach Hause und bin total glücklich", sagt Susanne Leder. Das Gleiche denken sich wohl die Kunden, die gerade in einem der neuen Feinkostgeschäfte eingekauft haben und die Produkte zu Hause genießen. (Alex Stranig, RONDO, 19.5.2017)

Patrick's Feinkost

Foto: Christian Benesch

Wer steht dahinter:
Patrick Grüll

Besondere Spezialität:
Frische Austern

Ein Rezept mit Produkten aus dem eigenen Geschäft:
Frische Burrata mit Olivenöl und Balsamico, gewürzt mit Zitronenpfeffer, garniert mit Tomaten und Artischocken

Persönliche Empfehlung:
Das kommt auf den Kunden an. Am besten, er setzt sich hin und nimmt sich Zeit, um meine Produkte kennenzulernen.

Patrick's Feinkost
Betlehemstraße 1d
4020 Linz

Warenhandlung

Foto: Christian Benesch

Wer steht dahinter:
Christiane Wenighofer und Stefanie Wanits

Besondere Spezialität:
Brot von Gragger, verpackungsfreies Einkaufen

Ein Rezept mit Produkten aus dem eigenen Geschäft:
Spargel in Olivenöl angebraten auf einer Scheibe Brot mit Ziegenfrischkäse und pochiertem Ei

Persönliche Empfehlung:
Die Rilettes oder Bacon Jam von der Einmacherin

Warenhandlung
Marxergasse 13
1030 Wien

Monte Ofelio

Foto: Christian Benesch

Wer steht dahinter:
Dario und Luca Formisano

Besondere Spezialitäten:
Coppa, Porchetta, Torta Caprese

Ein Rezept mit Produkten aus dem eigenen Geschäft:
Wir essen mindestens einmal am Tag Pasta. Zum Beispiel Spaghetti mit frischen Tomaten aus Kampanien oder mit Thunfisch, Kapern, Oliven und Sardellen.

Persönliche Empfehlung:
Kein Kunde darf das Geschäft verlassen, ohne eine Tasse Kaffee getrunken zu haben. Er kommt von einer kleinen Familienrösterei in Neapel und wird dort auf Eichenholz geröstet.

Monte Ofelio
Obere Augartenstraße 70
1020 Wien

Die Marktweiber

Foto: Christian Benesch

Die Marktweiber

Wer steht dahinter:
Michaela Haas und Susanne Leder

Besondere Spezialität:
Biolebensmittel wie Frischfleisch und Milchprodukte

Ein Rezept mit Produkten aus dem eigenen Geschäft:
Ganz einfach: eine Scheibe Brot mit frischer Rohmilchbutter

Persönliche Empfehlung:
Ein frisches Steak von der Boa-Farm

Die Marktweiber
Gentzgasse 110
1180 Wien

Schrei & Söhne

Foto: Christian Benesch

Wer steht dahinter:
Lorenz Schrei

Besondere Spezialität:
Wein, Schinken von Hödl

Ein Rezept mit Produkten aus dem eigenen Geschäft:
Sizilianische Caponata, kalt mit Mozzarella oder warm als Pasta

Persönliche Empfehlung:
Luftgetrockneter Schinken und Olivenöl

Schrei & Söhne
Schönbrunner Straße 48
1050 Wien