Den Begriff Supermarkt hört Oscar Farinetti gar nicht gerne. "In einem Supermarkt werden Sie neben einem Apfel nur eine einzige Information finden, nämlich seinen Preis", sagt der Gründer der Lebensmittelkette Eataly. Und in einem Eataly-Markt? "Bei uns erfahren Sie die gesamte Geschichte des Apfels – wo er herkommt, wer ihn gepflanzt und gepflückt hat und zu welchem Zeitpunkt man ihn am besten isst. Und wenn Sie Glück haben und zum richtigen Zeitpunkt erscheinen, treffen Sie sogar den Landwirt, der den Apfel erzeugt hat und Ihnen das alles selbst erklärt."

Der Unternehmer empfängt in einem seiner Weingüter, der historischen Azienda Fontanafredda, einem prachtvollen Gebäudekomplex, umgeben von sanft geschwungenen Weinbergen in der Nähe der berühmten piemontesischen Trüffelstadt Alba, mit ehemaligen Stallungen, Bediensteten- und Arbeiterunterkünften. Allesamt prachtvoll renoviert. Und sogar mit eigenem Kirchlein, wo bis heute Trauungen gesegnet werden.

Oscar Farinetti ist ein eher kleinwüchsiger und etwas untersetzter 60-Jähriger mit mehr als schütterem Haar und kleinem Schnurrbärtchen. Wie ein erfolgreicher und innovativer Firmengründer und Manager sieht er nicht gerade aus. Und wie ein klassischer Bonvivant genauso wenig. Eher wie der Betreiber eines bescheidenen Krämerladens in einer italienischen Kleinstadt. Und doch nennen sie ihn in seiner Heimat den Steve Jobs der Lebensmittelbranche. Oder auch den Magier des "Made in Italy".

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Oscar Farinetti (62) hört den Begriff "Supermarkt" für seine Eataly-Märkte gar nicht gern.
Foto: reuters/rellandini

Vor der Krise

Das Projekt Eataly startete er im Jahr 2004. Bereits zuvor hatte er, aufbauend auf dem Erbe, das ihm sein Vater vermachte, ein Vermögen mit Elektroartikelmärkten verdient. Zwei Jahre später, kurz vor der Finanzkrise, eröffnete der erste Eataly-Markt in der piemontesischen Hauptstadt Turin. "Es ging von Anfang an darum, uns von traditionellen Feinkostläden abzuheben, indem wir die Hemmschwelle abschafften, die solche üblicherweise haben", sagt Farinetti.

Tatsächlich geht es bei dem Konzept weniger um exklusive Gourmetdelikatessen gewohnter Natur, sondern eher um das beste Preis-Leistungs-Verhältnis wie etwa bei Olivenöl oder um nichtindustrielle Erzeugung wie etwa bei Prosciutto. Oder um Handwerkliches wie etwa das Brot, das wie die Pizza aus Sauerteig und in einem Holzofen gebacken wird. Vieles kann man in einem der eingegliederten Restaurants vor Ort konsumieren, zudem werden Vorträge von Spezialisten und Erzeugern abgehalten und Verkostungen veranstaltet.

Das Konzept ging auf, und dem Turiner Markt folgten zahlreiche weitere, darunter etliche in Italien, aber unter anderem auch in Tokio, Chicago, Dubai und São Paolo. Und in New York, wo sich Eataly über 5.000 Quadratmeter in der Fifth Avenue und damit in absoluter Bestlage ausbreitet, wurde vergangenen Sommer ein zweiter Markt im neu errichteten World Trade Center eröffnet.

Das beste Preis-Leistungs-Verhältnis ist gefragt.
Foto: Georges Desrues

Food-Disneyland

Sein derzeitiges Projekt ist sein bisher größtes überhaupt und soll im Oktober nahe Bologna eröffnet werden. Da will er auf 80.000 Quadratmetern eine Art "Lebensmittelpark" schaffen, manche sprechen auch von einem Food-Disneyland, zu dem neben einem Markt auch 16 Restaurants gehören, eines für jede Region Italiens, die sich vorwiegend mit lokal erzeugten Lebensmitteln versorgen. "Wir erwarten zwei Millionen ausländische und vier Millionen italienische Touristen pro Jahr", sagt Farinetti und lächelt zufrieden. Bologna habe man dafür ausgewählt, weil die zentral gelegene Stadt in Italien als Hochburg der guten Küche und als Treffpunkt zwischen nord- und süditalienischen Kochstilen gelte.

In der Zwischenzeit breitet sich das Netz der Eataly-Märkte auch in Europa außerhalb Italiens aus. 2015 eröffnete der erste in München, wo man sich die gesamte Schrannenhalle nahe dem Viktualienmarkt einverleibte. Es folgten Istanbul und die Foodie-Stadt Kopenhagen. Auf die Frage, wieso es ausgerechnet München als Erstes traf, antwortet Farinetti: "München schien uns von Anfang an der ideale Standplatz im deutschsprachigen Raum zu sein, die Münchner sind in der Mehrheit sehr italienfreundlich, ich habe auch gehört, dass sie oft von ihrer Stadt als der nördlichsten Italiens sprechen, und das gefiel mir."

Eataly in Österreich

Auch für Wien gebe es bereits Pläne und einen Partner. Es bestehe die Hoffnung, dass man in den nächsten zwei Jahren eröffnen werde. Wann genau das sein wird, könne er allerdings noch nicht sagen. Natürlich habe man sich auch für Berlin interessiert, nur musste man das Projekt dort wieder fallen lassen, weil die Berliner offenbar weniger bereit seien, für hochqualitative Lebensmittel den angemessenen Preis zu zahlen, beklagt er.

Dennoch hatte das Konzept von Eataly jenen Erfolg, für den es heute steht. "Aus dem einfachen Grund, weil ich mir immer vor Augen hielt, dass meine Landsleute 75 Prozent des Einkommens für andere Dinge ausgeben. Davon wollte ich Anteile zurückgewinnen", so der Firmengründer.

Natürlich sei ihm dabei auch entgegengekommen, dass alles, was mit Essen zu tun hat, heutzutage stark im Trend liegt, wie sich allein schon am starken Interesse für Kochsendungen zeige und am Hype um die Spitzenköche und ihre Restaurants. "Aber auch hier muss ich mich manchmal wundern, wenn es heißt: Geben sie zwei Löffel Olivenöl Extra Vergine dazu. Dann frage ich mich immer: Ja gut, aber was für ein Olivenöl? Ein scharfes, ein mildes, ein fruchtiges?"

Der Eataly-Markt in Bari gehört zu einem von 14 Märkten in Italien. Die restlichen Filialen befinden sich unter anderem in Tokio, Dubai, Istanbul, München und New York.
Foto: Georges Desrues

Und wie hat er es geschafft, die Italiener ausgerechnet in Zeiten der Wirtschaftskrise dazu zu bewegen, mehr für Lebensmittel auszugeben? "Ganz einfach, weil die Leute eher dazu bereit sind, bei anderen Dingen zu sparen als bei Lebensmitteln, mit denen sie sich um vergleichsweise wenig Geld viel Freude machen können. Vorausgesetzt, man überzeugt sie mit Qualität und bringt ihnen die Geschichten näher, die hinter den einzelnen Produkten und ihren Erzeugern stehen", antwortet Farinetti.

So sei es ihm etwa gelungen, tausenden Menschen bewusst zu machen, dass der Preisunterschied zwischen einer schlechten und exzellenten Pasta gerade einmal ein paar Cent beträgt. Auch wäre ganz Italien gut damit beraten, mehr in die Produktion und den Export von Lebensmitteln zu investieren. Denn das würde zudem den Tourismus ankurbeln, und schon wäre die Krise bewältigt, glaubt der Unternehmer, der übrigens als enger Freund und Unterstützer von Expremierminister Matteo Renzi gilt.

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Die Filiale im Eataly in New York.
Foto: ap/lennihan

Scharfe Kritik

Kritisiert wird er aber nicht nur wegen dieser Freundschaft, sondern immer wieder und für alles Mögliche. Etwa dafür, dass er zu viele Traditionsweingüter aufkaufe und ihrer Identität beraube; dass er seine Angestellten nur geringfügig anstelle und mit einem Bruttolohn von acht Euro abfertige; dass er die Lieferanten von Eataly, in einigen Fällen Kleinbauern- oder -produzenten, ganz im Stil von konventionellen Handelsketten, zu sehr unter Druck setze und deren Preise drücke; dass er die Slow-Food-Bewegung nur ausgenutzt habe, um bei deren Gründung seiner Firma ein nachhaltiges Image zu verpassen.

Auf alle diese Vorwürfe will der Unternehmer im Einzelnen nicht eingehen, lächelt sie weg und tut sie als null und nichtig ab. Und als rufschädigende Versuche von Neidern, die ihm und der Kette den Erfolg einfach nicht gönnten. So seien die Italiener eben, sagt er achselzuckend.

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Regalreihen im Eataly in Mailand.
Foto: REUTERS/Alessandro Garofalo

Die Marke Italianità

Nur bei einem Zwischenfall hat er einmal die Nerven verloren. Da ging es um die Expo 2015 in Mailand und um den Vorwurf, es seien ihm 4.000 Quadratmeter für 20 Restaurants auf dem Expo-Gelände einfach zugeteilt worden, ganz ohne Ausschreibung. Daraufhin hat er kurzzeitig mit totalem Rückzug von der Veranstaltung gedroht. Heute lächelt er auch darüber. "Das war ziemlich surreal. Niemand außer uns in ganz Italien hätte so eine Fläche überhaupt bespielen können. Wozu sie also ausschreiben?", sagt er und macht eine typisch italienische Handbewegung, die für Ratlosigkeit steht.

"Wir Italiener beklagen uns viel zu viel", fährt er fort, "dabei beneiden uns alle dafür, dass wir im schönsten Land der Welt leben." Genau das erkläre auch den Erfolg, den Eataly im Ausland hat. Es erkläre aber auch, wieso italienische Lebensmittel so oft kopiert werden.

"Wir sind die glücklichen Besitzer einer Marke, die es zu verteidigen gilt, nämlich die Italianità", sagt Farinetti. Überall auf der Welt finde man qualitativ minderwertige Kopien italienischer Nahrungsmittel, die sich dennoch gut verkauften. Weil es nämlich schon reiche, dass etwas italienisch klingt, damit die Leute es kaufen. Darum sollten sich die Italiener auch ihrer wahren Fähigkeiten besinnen.

"Im Ausland belächelt man häufig unseren mangelnden Bürgersinn und unsere chaotische Logistik", erklärt er, "aber unseren Lebensstil liebt man." Deswegen wäre Italien gut beraten, in erster Linie danach zu trachten, die Schönheit des eigenen Landes zu exportieren. Nämlich in Form von Mode, von Design, von Kunsthandwerk – und eben von Lebensmitteln.(Georges Desrues, RONDO, 30.5.2017)

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René Benko als Pizzaflitzer – Schmeck's-Besuch von Eataly in Lingotto im Herbst 2015