Steil und kurvig schlängelt sich die Straße zum kleinen Bergdorf Solicchiata am Nordhang des Ätnas. Verkehrsschilder weisen darauf hin, bei winterlichen Verhältnissen Schneeketten anzulegen. Mitten in Sizilien.

Während die restliche Insel von mediterranem Klima mit milden Wintern und brütend heißen Sommern geprägt ist, herrscht am Ätna Kontinentalklima. Auch im Sommer hat es hier oben immer einige Grade weniger als in der Ebene, und nachts wird es empfindlich kühl. Die beste Voraussetzung für feingliedrige Weine. Etna ist das einzige "Cool Climate"-Anbaugebiet in Süditalien. Es ist nicht der einzige Vorzug.

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Immer wieder raucht und spuckt er: Der Ätna am 11. April 2017.
Foto: ap/allegra

Neue Qualität

Die vulkanischen Böden, hochkomplexe Gemische aus Asche, verwitterter Lava und Sedimenten, sind besonders reich an Mineralstoffen. Ein einzigartiges Terroir mit Lagen knapp über 1.000 Meter. Erkannt hat das bis vor kurzem niemand. Zwar wird hier seit 20.000 Jahren Wein angebaut, allein die Qualität blieb bescheiden.

Und plötzlich, wie aus dem Nichts, brach der Etna-Hype aus. Der Trend zu regionaltypischen Weinen machte Experten auf die winzige Anbauregion aufmerksam. Den Stein ins Rollen brachte Giuseppe Benanti, der Ende der 1990er-Jahre mit einem Etna-Weißwein – aus der bislang weitgehend unbekannten Rebsorte Carricante – vom italienischen Weinguide "Gambero Rosso" die Höchstwertung erhielt. Von da an richteten sich alle Augen auf den Vulkan.

Einer der Ersten war der Belgier Frank Cornelissen, ein ehemaliger Weinbroker. Er fühlte sich sofort magisch angezogen von dem einzigartigen Terroir am Vulkan. Seine Rebstöcke sind teilweise über hundert Jahre alt und wurden noch vor der Reblausplage gepflanzt, sind also wurzelecht. Eine Rarität. Kleine knorrige Bäumchen, gestützt nur von einem Pfosten ohne Drahtgestell.

Alte Erziehungsmethode

Cornelissen hat die traditionelle Alberella-Erziehung beibehalten. Sie bringt geringe Erträge und wurde daher weitgehend eliminiert. Die Reben stehen nicht wie bei anderen Erziehungsformen in Reih und Glied, sondern wachsen scheinbar wahllos im schwarzen Lavasand – zwischen Oliven, Mandelbäumen, Gemüse, duftender Bergminze und wildem Fenchel. Wie vor hundert Jahren, als Weinbau noch keine Monokultur war.

Der Belgier ist nicht gerade das, was man einen gesprächigen Menschen nennt. Erst bei einer Tour durch die Weinberge taut er auf: Stolz zeigt er jede einzelne seiner Lagen auf teilweise 1000 Metern – eine Höhe, die als Anbaugrenze für Wein gilt. Behände klettert er über steile Terrassen aus Vulkangestein. Im Hintergrund spuckt der Ätna Feuer – er ist wieder aktiv.

Früher handelte Cornelissen mit erlesenen Bordeaux-Weinen, die ihn zunehmend langweilten. Jetzt lebt er in einem bescheidenen Häuschen am Ätna und trotzt den alten Weinbergen alles andere als langweilige Gewächse ab: Weine, so wild wie der unentwegt brodelnde Vulkan. Sie bekommen keinen Gramm Schwefel zur Stabilisierung, denn gezähmte Weine sind so gar nicht seine Sache. Der Topwein "Magma", ein Nerello Mascalese, ist Cornelissens Verbeugung vor dem Ätna.

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Am Ätna gibt es noch die Alberella-Erziehung der Reben. Dabei steht der Wein nicht in Reih und Glied, sondern wild zwischen anderen Pflanzen.
Foto: Getty Images / Domenico Pellegriti

Neuer Pinot Noir?

Auch Marco de Grazia mit seinem Weingut Tenuta delle Terre Nere hat früh das Potenzial der Region erkannt und sich eingekauft. Der italoamerikanische Weingroßhändler ist kein Unbekannter in der Szene: In den 1990ern hat er für weltweiten Ruhm piemontesischer Weine gesorgt.

Einer der wichtigsten Protagonisten am Ätna ist aber Franco Foti: Sein Weingut I Custodi delle Vigne dell'Etna liegt inmitten eines Eichenwaldes, in dem schwarze Nebrodi-Schweine nach Futter wühlen. Der Önologe begründete die Gruppe Vigneri, die sizilianische Winzer traditionelle Anbaumethoden lehrt und kleine lokale Betriebe animiert, hochwertige Weine auszubauen.

Foti setzt ebenfalls auf regionale Rebsorten wie Nerello Mascalese, den Weinexperten gar als den neuen Pinot Noir handeln. Nerello könne genau wie die edle Burgundersorte feinste Nuancen des Terroirs transportieren. "Die autochthonen Sorten sind das Kapital des Etna", ist er überzeugt. "Sie haben das Potenzial ganz großer Weine."

Als er kam, konnte man die Weingüter am Ätna an einer Hand abzählen, heute sind es weit mehr als hundert. Irgendwann rochen auch bekannte sizilianische Betriebe wie Planeta oder Tasca den Braten. Einst produzierten sie opulente Weine kalifornischen Zuschnitts aus internationalen Sorten. Jetzt schicken sie ihre besten Önologen zum Ätna, um mit bislang unbekannten Sorten zu reüssieren.

Nichts für schnelle Geschäfte

Alberto Graci, ehemaliger Banker in Mailand, glaubt nicht an einen Ausverkauf der Region: "Etna ist nichts für Spekulanten", meint der gebürtige Sizilianer. "Schnelle Geschäfte funktionieren hier nicht." Die Weingärten seien alt und nur mit aufwendiger Handarbeit zu bewirtschaften, die Erträge gering. Das tun sich nur Idealisten an. Sein Nerello Mascalese "Quota 1000" zählt zu den besten Rotweinen Italiens. Der Hype um die Region lockt auch abgewanderte Sizilianer in ihre Heimat zurück, die die Weingärten ihrer Eltern oder Großeltern übernehmen. Händler reißen ihnen die filigranen Gewächse förmlich aus der Hand.

Aber der Ätna ist kein Kinderspielplatz. Der 3.300 Meter hohe Vulkan ist der größte und aktivste Europas. Die Sizilianer nennen ihn "monjibeddu", den "schönen Berg" – vielleicht, um ihn besänftigen. In seinem Innern brodelt es wie in einem Hexenkessel. Ab und zu raucht er oder spuckt Feuer, um daran zu erinnern, dass er jederzeit alles zunichtemachen kann, was sich die Menschen aufgebaut haben. Weinbau am Ätna ist ein Tanz auf dem Vulkan. (Christina Fieber, RONDO, 20.5.2017)

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