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In Osteuropa sind die impliziten Vorurteile am stärksten ausgeprägt.

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Abbildung: figshare (CC-BY 4.0)/Quelle: Harvard University

Wien – Die Bedeutung des Begriffs "Vorurteil" ist wie bei seinem lateinischen Vorbild "praeiudicium" abschließend erklärt, wenn man ihn bloß in die Wortbestandteile zerlegt: ein Urteil, das man vor einer umfänglichen Meinungsbildung trifft – oder, wie es der deutsche Philosoph Johann August Eberhard Ende des 18. Jahrhunderts formulierte: "Ein Vorurtheil ist eine Meynung, die man ohne hinlängliche Gründe angenommen hat; aber darum ist es noch kein Irrthum."

Um zu den Vorurteilen zu gelangen, haben Forscher der US-Universität Harvard ihren Testteilnehmern gar keine Zeit zur Meinungsbildung gelassen: Die Probanden sollten in Sekundenbruchteilen den auf dem Bildschirm aufflackernden Wörtern und Bildern positiv oder negativ besetzte Begriffe zuordnen. Das Studiendesign sei so angeordnet, dass eine bewusste Verfälschung nur schwer möglich ist.

Der Sozialpsychologe Anthony Greenwald entwarf diesen sogenannten Implicit Association Test (IAT) ab 1995 an der Universität Washington. Kollegen in Harvard griffen die Methode 2002 auf und konnten bis 2015 weltweit mehr als zwei Millionen Menschen zur Teilnahme an ihrem "Project Implicit" gewinnen. Nun veröffentlichten sie die gesammelten Ergebnisse, und die große Zahl an Testpersonen lässt laut den Forschern auch für die meisten europäischen Staaten valide Aussagen zu.

Mit "Lachen" und "Hass" zur Unvoreingenommenheit

288.076 Personen absolvierten den Test in Europa, davon 1.924 in Österreich, die sich in einem Auswahlmenü selbst als "weiß" bezeichneten. Beim White-Black/Positive-Negative IAT bekamen sie Fotos von hell- und dunkelhäutigen Menschen zu sehen und mussten sie in verschiedenen Modi mit negativen Begriffen wie "Hass" oder "böse" beziehungsweise positiven Ausdrücken wie "nett" oder "Lachen" verknüpfen.

Während ein daraus resultierender Wert von null gänzlicher Unvoreingenommenheit entspricht, steht minus eins für die größtmögliche positive Assoziation mit dunkel- und plus eins für die größtmögliche positive Assoziation mit hellhäutigen Gesichtern. Bei ±0,35 haben die Wissenschafter die Grenze zwischen "leichter Bevorzugung" und "moderater Bevorzugung" gezogen, bei ±0,65 die Grenze zwischen "moderater Bevorzugung" und "starker Bevorzugung".

Die Werte aller europäischen Staaten liegen deutlich über null. Der Durchschnitt der österreichischen Teilnehmer beträgt 0,349. Nur sechs von 37 Staaten erreichten näher bei null liegende Messergebnisse, und ihre Bewohner könnten demnach als unvoreingenommener bezeichnet werden. Die niedrigsten Werte erzielten Bewohner von Serbien (0,298), Slowenien (0,302), Bosnien und Herzegowina (0,335) sowie Kroatien (0,346). Irland und das Großbritannien liegen mit 0,347 beziehungsweise 0,348 nahezu gleichauf mit Österreich und Norwegen (0,349). Dahinter folgen, in regionale Räume gegliedert, Nord- und Mitteleuropa, Süd- und Westeuropa sowie Osteuropa. Die Bewohner Tschechiens (0,447), Litauens (0,444) und Weißrusslands (0,435) erreichten die höchsten Werte.

Kinder bevorzugen Leute wie sie selbst

Eine frühere Auswertung der Testergebnisse von Bewohnern der USA ergab laut "Washington Post" einen Maximalwert von 0,456 im Bundesstaat Mississippi und einen Minimalwert von 0,341 in New Mexico. Resultate, die umgekehrt Auskunft über die Vorbehalte von sich selbst als "schwarz" bezeichnenden Menschen gäben, lassen sich für Europa aufgrund der geringen Teilnehmerzahl aus diesem Pool nicht treffen. Laut Greenwald zeigten Tests in den USA "immer wieder fast gleiche Anteile Schwarzer, die eine Pro-weiß-Tendenz zeigen, wie Schwarzer, die eine Pro-schwarz-Tendenz zeigen". Bei Kindern entspreche das Resultat fast immer der Bevorzugung jener Gruppe, der sie sich selbst zugehörig fühlen.

Die Studienautoren geben allerdings zu bedenken, dass das Sample für keinen Staat repräsentativ ist, da es aus Personen besteht, die Englisch sprechen, vorwiegend jünger, gebildeter und internetaffin sind und von sich aus freiwillig an einem Test über Vorurteile teilnahmen. Der implizite Rassismus könnte demnach in der Gesamtbevölkerung der einzelnen Staaten jeweils höher sein, die sich im internationalen Vergleich ergebenden Muster besitzen aber Aussagekraft. Sie weisen außerdem darauf hin, dass die Resultate nicht unbedingt mit jenen Weltbildern korrespondieren müssen, die sich die Teilnehmer selbst attestieren würden – auch viele, die sich als links oder progressiv einschätzen, seien sich ihrer unkontrollierten Vorurteile oft nicht bewusst. (Michael Matzenberger, 18.5.2017)