Noch immer haben vorwiegend Frauen die Nachteile von Teilzeitarbeit. Auch über die finanzielle Geringschätzung hinaus wird Arbeit abseits der Lohnarbeit wenig geachtet, meint Gertraud Burtscher.

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Gertraud Burtscher begann mit 63 noch einen neuen Job. Jetzt engagiert sie sich mit der Initiative "Oma-Revolte" für höhere Pensionen für Menschen mit viel Kindererziehungszeiten.

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Die 74-jährige Juristin Gertraud Burtscher ruft unter dem Motto "Oma-Revolte" zum Protest gegen niedrige Pensionen von Frauen auf. Gerechte Berechnung der Kindererziehungszeiten, Auszahlung der errechneten Beiträge an alle Mütter, Einrechnung der Kindererziehungszeiten und Erwerbstätigkeit nach Pensionseintritt in die 30 Jahre, die für eine höhere Ausgleichszulage Voraussetzung sind – so lauten die Forderungen der Initiative. Die erste Demonstration der Initiative "Oma-Revolte" fand letzten Freitag in Bregenz statt, die nächste ist für September in Wien geplant.

STANDARD: Sie haben sieben Kinder großgezogen, hauptberuflich sozusagen. War Ihnen bewusst, was das für Ihre Pension bedeutet?

Burtscher: Ich habe die Erziehungsarbeit äußerst gern gemacht. Dass ich eine derart kleine Pension bekomme, wurde mit erst bewusst, als es so weit war. Ich wollte gern so viele Kinder und war schon immer eine Kindernärrin, ich fühlte mich also nie verpflichtet, Kinder zu bekommen. Aber der Staat hat auch viele Vorteile von Kindern. Deshalb soll das auch der Staat entsprechend honorieren.

STANDARD: Wann entstand die Idee, dass Sie sich für höhere Pensionen für Frauen engagieren wollen?

Burtscher: Es war das berühmte Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen brachte. Ich habe mit 60 begonnen, Jus zu studieren, und habe mit 63 Arbeit in einer Steuerberatungskanzlei gefunden. Zehn Jahre habe ich mich darüber geärgert, wie minimal sich diese späte Berufstätigkeit auf meine Pension auswirkt. Nachdem meine Chefs über 80.000 Euro Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben, erhalte ich nur 101,37 Euro netto mehr. Eigene Pension habe ich rund 600 Euro. Wenn ich nicht berufstätig wäre, wäre ich Ausgleichszulagenempfängerin – aber die Ausgleichszulage bekommt man ja nicht, wenn man berufstätig ist.

Im Jänner las ich dann in einer Zeitung der Arbeiterkammer, dass bei den neuen höheren Ausgleichszulagen von 1.000 Euro die nötigen 30 Jahre auch im EU-Ausland geleistet werden können und davon nur 13 Monate in Österreich eingezahlt werden müssen. Ich habe mich dann bei der Pensionsversicherungsanstalt erkundigt, ob für die höhere Ausgleichszulage auch Kindererziehungszeiten eingerechnet werden, was verneint wurde. Das war das Tröpfchen. Ich muss aber betonen, dass jeder, der Ausgleichszulagen beziehen muss, ein armer Teufel ist – ich will nicht, dass denen etwas weggenommen wird. Bei den Spitzenpensionen aber sehr wohl.

STANDARD: Wo sehen Sie einen wirksamen Hebel. Ausbau der Kinderbetreuung?

Burtscher: Paare müssen völlige Wahlfreiheit haben und sollen sich nicht wegen finanzieller Nachteile für etwas entscheiden. Natürlich braucht es dafür auch Kinderbetreuungseinrichtungen. Aber wenn eine Mutter eine bestimmte Zeit daheim bleiben will, dann soll ihr das finanziell auch entsprechend abgegolten werden. Aber mir geht es vor allem darum, dass mit den Pensionen der Frauen etwas passiert, die jetzt schon im Ruhestand sind. Mütter mit sehr niedrigen Pensionen sollen einen bestimmten Betrag pro Kind im Nachhinein zugesprochen bekommen. Wenn man die teils sehr hohen Pensionen finanzieren kann, muss man das halt auch finanzieren.

STANDARD: Dass viele Frauen so wenig Pension bekommen, liegt auch daran, dass viele Väter Vollzeit arbeiten und die gesamte Betreuungslast aufseiten der Frauen liegt. Gibt es Wahlfreiheit für Frauen nicht erst, wenn Väter ganz selbstverständlich ihren Teil übernehmen?

Burtscher: Ein Sohn von mir teilt sich die Zeit bei seinen Kindern zu Hause mit seiner Frau. Er hat das Kindernärrische von mir geerbt, aber wie viele Männer sind so? Letztlich geht es darum, dass auch ein Mann, wenn er die meiste Zeit die Kinder betreut, finanziell benachteiligt wäre. Ich spreche immer von Müttern, weil es vorwiegend Frauen sind, die das betrifft. Also reden wir lieber von Kinderaufziehern.

STANDARD: Unter Schwarz-Blau wurden 2005 die Durchrechnungszeiten auf das gesamte Lohnarbeitsleben ausgeweitet, was Frauen, die wegen Kinderbetreuung viel Teilzeit gearbeitet haben, noch stärker benachteiligen wird.

Burtscher: Vielen Frauen, mit denen ich geredet habe, ist es völlig egal, welche Partei welche Fehler gemacht hat. Das Entscheidende ist zu schauen, was kann man jetzt für die Frauen tun, die sehr niedrige Pensionen haben wegen Kindererziehungszeiten. Was wir vermeiden wollen, sind Schuldzuweisungen. Stattdessen richten wir die Bitte an alle Parlamentsparteien, sich auf eine Lösung zu einigen – wir bevorzugen hier auch keine Partei. Wir haben von FPÖ, ÖVP, Neos und teilweise von den Grünen Unterstützungen zugesagt bekommen, auch die KPÖ in Graz unterstützt uns auf meine Bitte hin.

Es gibt eine Menge erschütternde Beispiele, viele haben mir aufgrund der Initiative geschrieben. Frauen, die Kinder aufgezogen und Angehörige gepflegt haben und jetzt fast keine Pensionen bekommen. Und es geht auch nicht nur um die finanzielle Anerkennung.

STANDARD: Sondern?

Burtscher: Dass diese demütigende Geringschätzung aufhört. "Ihr habt ja nichts gearbeitet, und jetzt wollt ihr auch noch eine Pension haben. Das bisschen Haushalt und Kindererziehung – das ist doch nix", so etwas hört man immer wieder. Ich kann mich gut an folgende Situation erinnern: Ich habe die ersten sechs Kinder innerhalb von zehn Jahren bekommen und bin mit ihnen jeden schönen Tag ins Schwimmbad gegangen. Ich wollte, dass alle mit Schuleintritt schwimmen können. Ich weiß nicht, ob Sie sich das bildlich vorstellen können: ein Kind im Wagerl, eines war vielleicht gerade dabei, seine ersten Schritte zu machen, das nächste sollte gerade schwimmen lernen. Ich bin keine Minute in der Sonne gelegen, habe keine einzige Länge schwimmen können. Ich war ununterbrochen im Einsatz, dass mir ja keines absäuft oder verlorengeht. Als wir einmal vom Schwimmen nach Hause kommen, sagt der Nachbar zu mir: So gut will ich es auch mal haben, jeden Tag ins Schwimmbad. (Beate Hausbichler, 18.5.2017)